Spiegeln der GesellschaftDichter Innenteil

Erste Szene: Eine junge Frau, völlig fertig, verzweifelt, wird in einen Arrestwagen befördert. Ich weiß nicht, warum, denn ich komme gerade hinzu, als dieser Teil der Szene beginnt. Sie weint, sie will raus, sie wird zurückgedrängt. Keiner spricht mit ihr. Nur: Gengans eine da. Führn sa se net so auf. Ich schaue der Frau, die ich nicht kenne, ins Gesicht. Verzweifelte Augen schauen mich an. Ich versuche eine Kontaktaufnahme mit ihr: Was ist los? Mischen ssich da nicht ein, wir wissen schon, was wir tun. Der Wagen wird verschlossen, die Frau schaut mich durchs Fenster nochmals Hilfe suchend an. Ich kann nichts mehr tun.

Dann nehme ich eine ältere Frau, zirka 70 Jahre, mit Stock wahr. Daneben ein jüngerer Mann. Er sagt zu der älteren Dame: Und das Ganze wegen Ihnen! Dass Sie sich nicht genieren! Ich bin ein junger arbeitender Mensch. Ich zahle Ihre Pension mit. Ich muss Sie mittragen. Die Straßenbahn ist da, beide sind weg.

Ich denke nach: Warum diese Ungeduld? Warum sprach keiner beruhigend auf die sichtbar verschreckte junge Frau ein? Warum erklären ihr die Polizisten nicht in Ruhe, was jetzt passiert? Warum erklären sie ihr nicht, dass sie dann jemanden anrufen darf? Warum beruhigen sie sie nicht?

Weil Gefühle des anderen nicht mehr wahrgenommen werden? Weil jeder nur seine Pflicht tut? Es wäre doch auch Pflicht, auf die Gefühle eines Menschen zu achten, sie wahrzunehmen, darauf zu reagieren, oder? Wenn Gefühle heutzutage keinen Stellenwert mehr haben, wenn sie vom Verstandesdenken niedergemetzelt werden, wenn es nur mehr um Leistung und Erfolg geht, warum sollte das bei der Polizei anders sein? Die Pflicht der Festnahme und des Abtransportes wurden erfüllt. Mensch, was willst du mehr?

Vielleicht ein bisschen wahrgenommen werden in der Ganzheit, mit Körper, Geist und Seele vielleicht siehst du in mir dann etwas anderes als nur EINE, DIE ?!

Was sicher ist: Der Beitrag, die Gesellschaft ein bisschen humaner und gewaltfreier, weniger beängstigend zu gestalten, wird uns kaum großartige Lorbeeren und

Beförderungen mit Gehaltserhöhungen einbringen, aber vielleicht das Gefühl, ein MENSCH gewesen zu sein, einen Verängstigten, vielleicht auch Gestrauchelten ein Stück Vertrauen und Sicherheit zurückgegeben zu haben, damit er vielleicht sogar wieder Fuß fassen kann.

Denkt mal darüber nach! Auch euch kann mal was angehängt werden vielleicht vom Schicksal , etwas, das euch tief trifft, seis im Bereich Beruf, in der Gesundheit, im Privatleben vielleicht braucht ihr dann auch ein Stück Verständnis und Zuspruch. Ihr nicht?! Doch, ich denke schon und vielleicht gehts auch mal mit Gespräch und ohne Polizei!

Verdächtiges tschechisches Kennzeichen


Zweite Szene. 1210 Wien, Brünner Straße in Wien: In der Hauptverkehrszeit wird eine Ampelreparatur vorgenommen. Ich muss die Straße überqueren, denn ich sollte in die Arbeit fahren, mit der Straßenbahn. Den Autofahrern ist der Zebrastreifen völlig egal. Er erstrahlt ja nicht mehr im Licht der Ampel, also kann man ihn ja auch ignorieren. Ich setze einen Fuß vorsichtig auf die Fahrbahn, um ein Auto zu stoppen. Ich sehe, dass der Fahrer reagiert und abbremst. Ich brauche den Fuß daher nicht mehr zurückzunehmen. Jetzt stehe ich vor dem stehenden Auto. Mir sehr bewusst, dass ich vorsichtig sein muss, denn wer sagt mir, dass die Autos in der zweiten Spur auch halten. Ja, okay, schaut so aus, aber ein Autofahrer fängt fürchterlich zu hupen an und schert aus.

Wäre ich nicht stehen geblieben ! Ja, ich hätte einen Umweg machen können bis zur nächsten geregelten Kreuzung, aber der Herr mit dem Stock, der hinter mir stand und ebenfalls die Straße überqueren wollte, hätte sich äußerst schwer getan, deswegen ! Ich denke mir: Jetzt reichts Ich rufe die Polizei an und bitte, den Fußgängerübergang mittels Polizei zu sichern. Die Antwort: Dafür haben wir nicht ausreichend Personal! Aber, wenn es zu einem Unfall kommt und dadurch zu einem gewaltigen Stau, dann wird noch mehr Personal benötigt als jetzt. Die Antwort war Schweigen. Vielleicht kam dann doch wer, ich weiß es nicht. Ich überquerte die Straße an einer sichereren Stelle, der alte Mann murmelte etwas von Doch lieber wieder nach Hause und schade.

Dritte Szene. Drei Tage später. Irgendetwas war beim Supermarkt passiert. Möglicherweise der Verdacht auf ein Eigentumsdelikt. Am Parkplatz befindet sich unter anderem ein Auto mit tschechischem Kennzeichen sowie DREI Polizeistreifenwagen samt Besatzung. Ein vierter Streifenwagen kommt noch hinzu, die Besatzung steigt ebenfalls aus. Das vorhin erwähnte Auto wird zerlegt, der Fahrer, ein schmächtiger Mann, zeigt umringt von etlichen Polizisten die Fahrzeugpapiere her.

VIER Streifenwagen samt Besatzung für einen ausländischen PKW und einen einzigen Mann.

Was jetzt? Zu wenig Personal? Oder doch genug Personal? Wäre es nicht so traurig, es wäre fast zum Lachen. Oh du lieber Augustin, Augustin, Augustin, alles ist hin …

H. D.