Spielregelntun & lassen

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«Wenn der erste Spieler sich sofort alle großen Straßen unter den Nagel reißt und die anderen nur noch abzockt, dann können die das kaum mehr aufholen.» Marcel-André Merkle entwickelt Brettspiele.Weltweit zählt er zu den innovativsten Spielemachern. Der Startvorteil der ersten Spieler gehört zu den größten Herausforderungen für Spiele-Entwickler. Die Dynamik des Spiels führt oft dazu, dass sich ein Vorsprung über die Spieldauer verstärkt und ab einem bestimmten Punkt kaum mehr umkehrbar ist. Es werde als frustrierend und ungerecht erlebt, erklärt Merkle, wenn der Verlauf davon abhängt, wer als erstes beginnt. Die Spiele-Gestalter_innen haben darauf mit unterschiedlichen Strategien reagiert. Wenn zum Beispiel in jeder Runde neues Kapital ausgegeben werde, dann sinke die Gefahr massiv, dass einzelne Spieler den Anschluss verlieren. „Zentral ist das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Menschen müssen das Gefühl haben, dass ihr Handeln Einfluss auf den Verlauf des Spiels hat.“ Der Spiele-Gestalter testet seine Regeln mit mehreren Gruppen, bevor ein Spiel produziert wird. Dabei beobachtet er, welche Wirkung die Regeln haben, und ob sich die Spieler_innen an die Spielanleitung halten. Ein Spiel, das als gerecht empfunden wird und dessen Regeln anerkannt werden, verbindet laut Merkle auf ideale Weise Elemente des Zufalls, der Geschicklichkeit und des „sozialen Ausgleichs“. Abgeschlagene Spieler_innen, die die Regeln als ungerecht empfinden, können sich Brettspiel-Macher einfach nicht leisten.

Wie läuft das Spiel zur Zeit? Der bisherige Kurs der europäischen Regierungschefs hatte den Abbau sozialstaatlicher Leistungen und Infrastruktur zur Folge und brachte Druck auf die Löhne. Die verabschiedeten europäischen Rechtsakte zementieren die finanzpolitischen Ungleichgewichte zu Lasten der sozialen Stabilität. Sie stehen damit auch im Widerspruch zum offiziellen EU-Ziel der Armutsbekämpfung, wie es im Zuge der Europa-2020-Strategie formuliert wurde.

Lippenbekenntnisse für ein soziales Europa reichen eben nicht aus. Europa wird den Ausgleich schaffen, oder es wird nicht mehr sein. Soziale europäische Standards könnten beispielsweise in Korridoren definiert werden. Damit die einzelnen Länder ihre sozialen Systeme entwickeln können ohne gute Standards zu nivellieren. Die zur Zeit einzigen direkten sozialpolitischen Instrumente der EU – die Strukturfonds – sollten stärker für Armutsbekämpfung genützt und in den Ausbau sozialer Dienste investiert werden. Die zukünftige Linie der Sozial- und Wirtschaftspolitik muss sich an einem breiteren volkswirtschaftlichen Verständnis orientieren. Indikatoren und Scoreboards waren und sind ein mächtiges Steuerungsinstrument europäischer Politiken. So wie bisher kann das aber nicht weiter gehen. Zur besseren Zielsteuerung braucht es starke soziale Indikatoren zu Arbeitslosigkeit, Qualität der Jobs und zu sozialen Entwicklung, aber auch zur Struktur von Steuern.

Die aktuelle Spielaufstellung produziert zu viele abgeschlagene Spieler_innen. Europa neu gründen? Es geht wohl nicht darum besser mitzuspielen – es geht jetzt darum die Spielregeln zu ändern.

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