Sport oder nicht Sportvorstadt

Von der Behörde zur Servicestelle

Die Bundes-Sportorganisation – kurz BSO – darf entscheiden, was eigentlich Sport ist. Eine Frage, die öfter auftaucht, als man glaubt. Hannes Gaisberger besuchte die BSO.

Wer kein Vereinsmeier ist, muss mit dem Kürzel BSO nicht zwingend etwas anfangen können. In einer klassikvernarrten Stadt wie Wien denken dabei wohl fast so viele an das Boston Symphony Orchestra wie an die Bundes-Sportorganisation. Und das muss ja nicht schlecht sein. Der nichtaktive Teil der heimischen Sportwelt rückt sonst nur ins Licht der medialen Öffentlichkeit, wenn es Skandalöses zu berichten gibt.

Kein Skandal, aber ein medialer und sportpolitischer Aufreger waren die medaillenlosen Olympischen Sommerspiele in London 2012. Das System der Sportförderung wurde zweimal – 2013 und 2017 – reformiert, dazu kamen populistische Extrawürste wie Schröcksnadels RIO 2016. Noch reflektieren die Maßnahmen nicht im Medaillenspiegel. Aber immerhin haben sie die BSO aus der medialen Schusslinie genommen. Denn die Fördertöpfe stehen seit fünf Jahren nicht mehr bei ihr, sondern beim Bundes-Sportförderfonds BSFF, der seit 1. Jänner 2018 als Bundes-Sport GmbH fungiert.

Keine Phantomschmerzen.

Was die BSO jetzt sonst noch macht, erfährt man am besten vor Ort, im Haus des Sports. Diese Niederlassung des Sportministeriums beherbergt in der Prinz-Eugen-Straße auch etliche Fachverbände. Geladen hat Christian Gormász, stellvertretender Geschäftsführer der BSO. Er zeigt keine Phantomschmerzen wegen der vor Jahren abhandengekommenen Kompetenzen. Es bleibt eine Menge Arbeit übrig, viel Organisatorisches, dazu eine Menge «nerdiger» Agenden. Zum Aufgabenbereich von Herrn Gormász gehört etwa die Auslegung der Statuten bei der Frage: Was ist Sport und was nicht? Stark vereinfacht gesagt.

Konkret taucht diese Frage auf, wenn ein Verband bei der Bundes-Sportorganisation Mitglied werden möchte. Wieso will man das, Herr Gormász? «Ich sehe da drei Säulen: erstens nationale Anerkennung und die Möglichkeit, Staatsmeisterschaften auszutragen. Zweitens, um unsere Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen. Und drittens, um von uns als Interessenvertretung zu profitieren. Aber das können alle im organisierten Sport, dazu muss man nicht unbedingt Mitglied sein.» Der promovierte Sportwissenschaftler hat sich gründlich vorbereitet. Die zur Orientierung vorab gesandten Fragen liegen ausgedruckt und mit Anmerkungen versehen vor ihm. Im Gegenzug erhielt ich die Statuten der BSO zugesandt.

Die Definition von Sport findet sich im § 2 Abs. 3: Dies seien «motorische Aktivitäten (…), die körperliche Fertigkeiten und Anstrengungen verlangen, die wettkampfmäßig in Interaktion mit anderen Personen betrieben werden können oder gesundheitsfördernden Charakter haben». Und Eigenmotorik ist gefragt, ein Ausschlusskriterium bei «Denkspielen, Bastel- und Modellbautätigkeit, Zucht von Tieren, Dressur von Tieren ohne Einbeziehung der Bewegung des Menschen und Bewältigung technischen Geräts ohne Einbeziehung der Bewegung des Menschen». Würde Affenwrestling nicht schon durch die bereits genannten Kriterien fallen, wäre es spätestens bei Abs. 4 fällig: «Die Sportart muss die Einhaltung ethischer Werte wie z. B. Fairplay, Chancengleichheit, Unverletzlichkeit der Person und Partnerschaft durch Regeln und/oder ein System von Wettkampf- und Klasseneinteilungen gewährleisten. Dies ist insbesondere bei Konkurrenzhandlungen nicht gegeben, die ausschließlich auf materiellen Gewinn abzielen oder die eine tatsächliche oder simulierte Köperverletzung bei Einhaltung der gesetzten Regeln beinhalten.»

Angewandte Theorie.

Im Herbst 2017 sorgte eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Snowboarder Benjamin Karl und dem Dartssportler Mensur Suljović anlässlich einer Gala für Aufregung. Karl sprach Darts die sportliche Satisfaktionsfähigkeit ab, weil weder Ausdauerleistung noch Risiko gegeben seien. Wie steht die BSO dazu? «Wenn wir unsere Definition laut den Statuten heranziehen, dann ist sowohl Darts als auch alpines Snowboarden Sport», so Christian Gormász.

Weniger klar sei die Sache bei eSport. «eSport als solches existiert ja nicht. Es kommt darauf an, was gespielt wird. Manche Spiele sind eine Simulation eines tatsächlichen Sports, zum Beispiel Fußball. Dann gibt es Jump-&-Run-Spiele bis hin zu Ego-Shootern wie Call Of Duty. Hier sind wir am Beginn eines Meinungsbildungsprozesses. Die Diskussion wurde aber ganz klar von der Spiele-Industrie befeuert, die für Anerkennung von eSport lobbyiert.» Wenn übergeordnete Interessen schlagend werden, können die Statuten und Paragraphen natürlich flexibler angewandt werden. So geschehen bei der Olympischen Agenda 2020, die für die Sommerspiele in Tokio Streetball, BMX-Freestyle und Skateboard ins Programm aufgenommen hat, «Dinge, die man in der Öffentlichkeit vor einem Jahrzehnt nicht einmal als Sport beurteilt hätte», wie Herr Gormász vermutet.

Kleines Dach.

Fassen wir zusammen: Bei der BSO geht es um gemeinnützigen, organisierten Sport. Aufgrund der Gemeinnützigkeit gibt es zum Beispiel wenige Berührungspunkte mit Red Bull, wie Christian Gormász betont: «Wir sehen sie in der Verbandsförderung gar nicht, und ich nehme an, sie sind auch nicht interessiert am organisierten Sport. Red Bull sponsert einzelne Sportler als Markenträger, instrumentalisiert sie als Marketing-Tool.» Aber auch die BSO will am Puls der Zeit bleiben und arbeitet an ihrem Image. «Wir wollen weg von etwas, das ein bisschen wie eine Behörde wahrgenommen wird, hin zu einer stärkeren Serviceorientierung.» Und das Klischee einer aufgeblähten Tintenburg zerstreut der stellvertretende Geschäftsführer mit Zahlen. Zehn Vollzeitstellen kümmern sich um zirka 15.000 Vereine, in denen 2,1 Millionen organisiert sind. «Angesichts dessen sind wir doch ein relativ kleiner Dachverband.» Zu den Serviceleistungen zählen Fort- und Weiterbildungsangebote ebenso wie die Ergebnisliste, in der die Resultate von Jahrzehnten heimischen Sports gesammelt und gespeichert sind. Gehoben werden diese Datenschätze von Förderstellen, Sportredaktionen oder der NADA (Nationale Anti-Doping Agentur). Das Archivieren obliegt der BSO.

«Das ist eine Heidenarbeit, wir haben dafür eine Halbtagsarbeitskraft abgestellt. Früher wurde das im Österreichischen Sportjahrbuch publiziert, nun ist das in einer selbst programmierten Access-Datenbank. Wir würden die gerne aktualisieren und zugänglich machen, das scheitert bislang aber an den Kosten», wie Herr Gormász mit Bedauern anmerkt. Vielleicht lässt sich anlässlich des großen, offiziellen 50-Jahr-Jubiläums 2019 ein wenig zusätzliches Geld auftreiben, damit sich die BSO weiter öffnen kann und zukunftsfit in die nächsten Jahrzehnte geht.