Sprache als SchlüsselDichter Innenteil

Foto: © Jella Jost «Handeln statt aufgeben» (Irene Schmölz und Sebastian Kugler)

 

Bildung. Pädagog*innen. Lehrer*innen. Sprache. Ein Thema, das auf den ersten Blick nur bezüglich der Sprache mit meiner Ästhetik in der Welt der Kunst zu tun hat, auf die ich mich aber einlasse, ohne zu ahnen, was sie in mir auslösen wird. Ich treffe mich im Kaffeehaus vor meinem Deutschunterricht auf ein brisantes Gespräch mit Irene Schmölz und Sebastian Kugler.
Durch beider Schilderungen des Deutsch-Lehrens im Alltag klingt in mir etwas an, das mir lange so schwerfiel zu beschreiben, ja auszudrücken, weil die Scham größer war als die Erkenntnis daraus. Am Arbeitsmarkt der Künste als Künstler/in zu überleben war und ist für mich ein unwürdiges Terrain. Die Verfahren, die ich erlebte, wie Subvention abläuft, wie erniedrigend Anfragen abgelehnt wurden, erfordern ein existentielles Grundgerüst, sonst bläst es eine/n um. Ich möchte mich am Markt der Eitelkeiten, nun mit wertvollen Jahresringen, niemals mehr billig verkaufen müssen, und niemals um den Verlust der Selbstachtung. Wohin das führt, weiß ich genau. Das waren exakt 7 Jahre und dauerte lange, das Denken und Fühlen im Rahmen meiner Tätigkeiten neu zu programmieren, mit Bedacht, mit Fokus auf Würde und Achtung sich selbst und jedem anderen Menschen gegenüber, ohne persönliche Ausbeutung und zu hoher Geschwindigkeit, mit klarem Kopf und der feierlichen Beerdigung der Abhängigkeit von uneinnehmbaren Hürden.

Ich war in die Kunst Hals über Kopf verliebt. Selbstverständlich. Diese Liebe erlaubte ich mir nehmen zu lassen, ich ließ mich künstlerisch bürokratisch kastrieren und auf den Altersmüll werfen. Es ist genug. Ich wurde klüger und nehme mir kein Blatt mehr vor den Mund oder halte schützend keusch das Händchen vor die immer noch roten Lippen. Ich bin auch Sängerin. Mein Mund ist zum Sprechen und zum Schreien da. Meine Stimme ist laut und potent. Mein Körper kraftvoller denn je. Meine Seele geheilt und geschützt. Mein Einkommen durch einen abgeschlossenen Deutsch-als-Fremdsprache/Zweitsprache-Lehrgang an der Uni Wien und einen neuen Job mit 58 Jahren teilzeit-gesichert (* nicht mehr – siehe letzter Absatz). Meine zukünftige Pension entspricht genau den Analysen und Daten, die wir aus der Frauenforschung haben: Sie ist ungenügend, trotz zweier Kinder und mehr als 30 Jahre Arbeit. Nun, das ist meine Perspektive der Dinge. Nicht unähnliche Perspektiven rollt der Verein der Deutschlehrenden in der Erwachsenenbildung auf. Ich erhielt Post vom ÖDaF (Österreichischer Verband für Deutsch als Fremd-/Zweitsprache) in mein elektronisches Kästchen, einen offenen Brief der DiE (Deutschlehrende in der Erwachsenenbildung). Die Anzahl prekär arbeitender Menschen vermehrt sich auch hier in Österreich fernab der Kunstsparten. Die Entwicklungen könnten, so Irene Schmölz, sich noch weiter auf ganz andere Bereiche erstrecken, zum Beispiel die Schullehrer*innen, die den DaF/DaZ-Lehrenden um strukturell unerreichbare Längen vorausliegen, was Gehalt in Relation zu Arbeitszeit betrifft.

 

Du wirst angesaugt oder ausgespuckt je nach Launen des Marktes

 

Irene erzählt: Seit drei Jahren gibt es DiE. Es gab schon vorher eine Gruppe, die sich getroffen hat. Aber als Verein haben wir eine juridische Person und wir treten auch nicht im Sinne unserer Firmen auf, sondern eben über diesen Verein. Unsere Forderung ist, den Lehrer*innen an den Schulen gleichgestellt zu werden. Ich möchte die These aufstellen: Wir verdienen die Hälfte und arbeiten das Doppelte. Die meisten arbeiten Teilzeit, weil es mehr als Teilzeit nicht gibt. Das Lebenseinkommen ist die Hälfte einer* AHS Lehrer*in. Wir kommen kaum über die Stufe 3,4 über den Kollektivvertrag hinaus, dann wird man eh schon gekündigt. Und niemand kann 9 Stunden durchunterrichten, was wir aber müssten, um Vollzeit zu arbeiten und dementsprechend entlohnt zu werden. Da sind wir dann bei der Frage der Qualität und des Burnouts oder anderer Erkrankungen wie Stimm- und Sprechstörungen. Die Rahmenbedingungen an den einzelnen Instituten sind alle ähnlich. Die Stadt Wien zahlt ein wenig besser. Die Vor- und Nachbereitungszeiten machen ja viel aus, werden aber kaum bis gar nicht bezahlt.
Sebastian Kugler hat eigentlich Lehramt studiert und der Plan war, an die Schule zu gehen. Er erzählt von dem Flyer «Es darf keine Lehrer zweiter Klasse geben». Er sagt: Es geht nicht darum, Deutschlehrende gegen Schullehrer*innen auszuspielen, sondern darum, festzuhalten, dass die Arbeit dieselbe ist. Sprache unterrichten muss unter optimalen Bedingungen stattfinden. Wenn sich Lohndumping durchsetzt, ist das die Speerspitze des Neoliberalen. Noch sind die Schulen ausgenommen davon. Es ist ein Warnzeichen. In den USA, wo ich war, habe ich Streiks von High-School-Lehrer*innen begleitet. Dort ist es so, dass Schullehrer*innen 2, 3 weitere Jobs haben. Das ist Alltag. Genau deshalb muss das nach oben angeglichen werden. […] Eine der Forderungen ist, dass dieser Verwendungsbereich 4a wegkommt, er ist ein Dumping-Bereich, der geschaffen wurde, damit solche minder bezahlte Arbeit möglich ist. Sonst würde die Arbeit mehr kosten und das entspricht nicht der «Profitlogik».

Wie ist die Resonanz bei den Kolleg*innen, frage ich. Beide lachen. Irene: Na ja, es gibt so ein Grüppchen im Vergleich zur großen Gruppe – die wir ja sind. Im BABE-Bereich (Berufsvereinigung der ArbeitgeberInnen privater Bildungseinrichtungen) sind wir ungefähr 13.000, davon aber nicht alle Deutsch-Lehrende. Sebastian: Es gibt einen hohes Level an Frust und dieser Frust kann sich in diverse Bahnen lenken, sei es Burnout, sei es der Versuch, sich als Insel abzukapseln, sei es das persönliche Engagement, das zwar anstrengend sein kann, aber eine Änderung herbeiführen kann. Du wirst angesaugt oder ausgespuckt je nach Launen des Marktes. Irene dazu: Ein Phänomen heißt natürlich auch Angst vor Kündigung.
Als man uns neoliberal eingeredet hat, Studium und Weiterbildung würden uns in sicherere Häfen leiten, war das ein Manöver in einen größeren Sturm. Menschen, die mehrfach akademische Abschlüsse vorweisen können, werden instrumentalisiert für Flüchtlingsarbeit, Sprachenlernen für Zuwander*innen und Menschen, die hier in Österreich neu angekommen sind. Diese Lehrer*innen arbeiten somit überwiegend in einem Umfeld, das an tatsächlicher Aufwertung, in jedem Bereich, zu wünschen übrig lässt. Und es betrifft wieder vermehrt Frauen und den Wert ihrer Arbeit.

 

Bildungsfeindlich

 

Irene Schmölz: Die Kriterien hat man durch die steigende Migration runternivelliert, weil zu wenig Deutschlehrer*innen auf dem Markt waren. Es kam zu Schnellsiedekursen für Deutsch-Lehrende, um rasche vom AMS vorgeschriebene Ausbildungen in ein paar Wochen zu realisieren.

Es ist offensichtlich, hier von struktureller Gewalt zu sprechen. Unser System ist demnach nicht bildungsfreundlich, sondern bildungsfeindlich? Deutschlehrende stehen in der Regel 30 Stunden in der Klasse. Im Gegensatz zu Lehrer*innen an öffentlichen Schulen müssen Deutschlehrende Montag bis Freitag mindestens 6 Stunden unterrichten um über die Runden zu kommen. Dazu kommen keine Ferien, Teilzeitanstellung und keine adäquate Anrechnung von Vor- und Nachbereitungszeiten und belastende Situationen im Unterricht durch Menschen mit Traumata, psychischen und sozialen Problemen. Die Deutschlehrenden sollen dies also auch noch auffangen und den Dreck, den die Politik verursacht, wegputzen für 1.600 netto Durchschnittsverdienst. Anders in den Schulen, wo Lehrer*innen eine Vollzeitstelle mit 24 Stunden besetzen zu gänzlich anderen Konditionen wie lange Ferienzeiten, fixe Anstellung, Sonderzahlungen. Da die Arbeit sich generell verdichtet, nehmen auch administrative Tätigkeiten viel Raum ein, der unbezahlt bleibt.

Spannend wird es, wenn man über die Vergabemodalitäten der großen Deutsch-Kurs-Anbieter in Wien recherchiert. Die Vergabe läuft in einem «Auswahlverfahren», das prinzipiell jedes Jahr gleich ist, meistens über das AMS. Wer hinter den Unternehmen steht, die Kurse anbieten, ist oft unklar. Ich frage mich, wo die Gelder landen. Die Projekte sind auch nicht langfristig angelegt, sodass überwiegend Unklarheit herrscht, wie lange man dort arbeiten kann. Die DiE sind Spielbälle in der Hand eines zutiefst ausbeuterischen Systems, das vor gar nichts Halt macht. Das sollten sich auch die Schul-Lehrer*innen auf der Zunge zergehen lassen. Ihr Status könnte eines Tages kippen. Es wäre dringend notwendig, dass sich alle Schullehrer*innen mit den DiE verbünden, um aus dem allgemeinen Bildungssektor keinen Billiglohnsektor entstehen zu lassen. DiE fordert daher die Ausfinanzierung der Erwachsenenbildung. Diese könnte endlich dem Bildungs-Dumping und der ausufernden Prekarisierung ein Ende setzen. Viele Lehrende (*) haben ihre Jobs aufgrund der nationalen und weltweiten Krise jetzt verloren, so wie ich auch. Und wir alle kämpfen dafür, dass die Regierung nicht nur Banken und Großunternehmen retten wird, sondern auch alle, die im Bildungssektor und Kunstsektor auf Honorarbasis arbeiten. Bleibt gesund. Bleibt zuhause.

 

Facebook: Deutschlehrende in der Erwachsenenbildung

Basisinitiative: Wir sind sozial, aber nicht blöd sozialabernichtbloed.blogspot.com

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