Stadt mit Bisstun & lassen

Die Münchner Straßenzeitung ist, wir geben es zu, zwei Jahre älter als der Augustin

Seit 17 Jahren werkt Münchens Straßenzeitung für «Bürger in sozialen Schwierigkeiten» und kümmert sich, systemkonform, um Menschen, die aus dem System gedrängt werden, weil sie nicht systemkonform sind. Es funktioniert.Es ist kalt in München. Verantwortlich dafür ist jedoch nicht das Herbstwetter, liegt der Besuch in Bayerns Hauptstadt doch schon einige Monate zurück. Nach den heißesten aller Junitage in Wien geht die Ankunft in München mit einem kräftigen Temperatursturz einher, was die Suche nach einem Platz, der vor Regen und Kälte schützt, dringlich macht. Die Räumlichkeiten der Münchener Straßenzeitung BISS leisten erste Abhilfe. Nicht nur die Besucherin aus Wien wird großzügig mit Kaffee und Kuchen aufgepäppelt. Immer wieder finden regennasse, meist schon ein wenig betagte Herren Einlass in der Metzstraße 29, wo «Bürger in sozialen Schwierigkeiten» Kaffee bekommen. Noch gewichtiger als der Kaffee und die freundlichen Worte der BISS-MitarbeiterInnen sind die offerierten Verdienst- und Beratungsmöglichkeiten.

«Wir wollen, dass es Menschen, denen des schlecht geht, wieder besser geht» so Johannes Denninger, Sozialarbeiter und Mitbegründer des gemeinnützigen Vereins. Die Zeitung ist für Denninger dabei Mittel zum Zweck. Der Zweck ist Hilfe für Leute, die am «normalen» Arbeitsmarkt außen vor gelassen werden. «Wir sind der Arbeitsmarkt!», meint Johannes Denninger zur Frage, ob die Reintegration in den Arbeitsmarkt das Ziel von BISS ist. Sie wüssten, dass die Leute kaum Chancen hätten am so genannten ersten Arbeitsmarkt. Etwas, dass auch Hildegard Denninger, Geschäftsführerin und ebenfalls «alte Häsin» im Projekt, zu berichten weiß: «Vor kurzem hat einer unserer Verkäufer eine Anstellung in einem Baumarkt bekommen. So etwas passiert nur alle paar Jahre einmal.» Der Verein versteht sich als Unternehmen mit klaren Strukturen und Regeln. Wer diese nicht einhält, ist draußen.

Rund 100 StraßenzeitungsverkäuferInnen halten sich an die Regeln von BISS und verkaufen das monatlich erscheinende Magazin. 36 von ihnen stehen in einem Angestelltenverhältnis, profitieren also von Versicherungsleistungen wie Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung. Mit jedem «Risikofaktor» sozialer Status, familiäre Schwierigkeiten, Alkoholabhängigkeit, fehlende Schul- oder Ausbildung, Krankheit, um nur einige zu nennen wird der Handlungsspielraum zur Meisterung eines menschenwürdigen Alltags kleiner. Soziale Absicherung macht ihn wieder größer, scheint die Devise des Sozialprojekts zu sein.

Spendenmeisterin München

Weil aber 1+1 nicht immer 2 ist und wirklich sehr viele Zeitungen verkauft werden müssen, damit ein/e BISS-VerkäuferIn mit dem Anteil von 90 Cent pro verkaufter Zeitung die Lohnkosten für ein Angestelltenverhältnis erwirtschaftet, gibt es die SpenderInnen. Mehr als 600.000 Euro Spendengeld bekommt BISS jedes Jahr. Durchschnittlich 5000 Euro pro Person werden für die Finanzierung der Anstellungen aufgewendet. Für VerkäuferInnen ab 65 Jahren werden nochmals 5000 Euro pro Jahr für die Altersversorgung zurückgelegt.

Seit Herbst 2009 werden unter dem Motto «München mit BISS» Führungen angeboten, die eine Stadt abseits von Hofbräuhaus und Glockenspiel präsentieren. Zwei fest angestellte Stadtführer zeigen in unterschiedlichen Touren etwa Anlaufstellen für arme und obdachlose Menschen oder eine Fahrradserviceeinrichtung, die Langzeitarbeitslosen eine Arbeitsstelle bietet. Gezeigt werden aber nicht nur Stätten, die von Unzulänglichkeiten gegenüber gesellschaftlichen Normen zeugen. BISS will mit der alternativen Stadtführung durchaus auch auf positive Entwicklungen im Umgang mit Armut und Ausgrenzung hinweisen. Sozialvoyeurismus oder Entstigmatisierung von Armut? Die Antwort darauf lässt sich wohl nur mit einer Teilnahme an einer der Touren finden.

Wer bei einem zukünftigen Münchenbesuch nicht nur ein BISS kaufen, sondern auch in einem gleichnamigen Hotel übernachten möchte, dessen Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Seit 2007 reift die Idee, ein ehemaliges Frauengefängnis in ein 4-Sterne-Hotel mit 72 Zimmern zu verwandeln. Geplant sind außerdem 11 altengerechte Wohneinheiten für ehemalige StraßenzeitungsverkäuferInnen und ein Arbeits- und Ausbildungskonzept für Menschen in sozialen Schwierigkeiten. Rund 4 Millionen der benötigten 5,5 Millionen Euro konnten durch Spenden und Förderungen aus öffentlicher Hand bereits sichergestellt werden. Fehlen tut noch der Zuschlag für das Grundstück, auf dem das ehemalige Gefängnis steht. Doch die MeisterInnen der Lobbyarbeit und Spendenakquise kriegen das wahrscheinlich hin, so Münchens Politik will.

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