Stadtallmendetun & lassen

Am Beispiel der Seestadt Aspern: Gedanken über die Bedingungen für ein Comeback der Commons im urbanen Bereich.

TEXT: ROBERT SOMMER
FOTOS: NINA STRASSER

Das Privateigentum an Grund und Boden ist gründlich böse. Es regt die Korruptionitis an und macht Wohnungen zur Ware, die wir uns bald nicht mehr leisten werden können. Das öffentliche (staatliche) Eigentum ist grundsätzlich gut, aber von Bürokrat:innen überreglementiert. Marxistisches Denken beginnt oft mit diesem ­Privat-Staat-Dualismus. Die im Wien der Zwischenkriegszeit regierenden Sozialdemokrat:innen taten alles, um den öffentlichen Grund zu vermehren. Das war die Voraussetzung des gigantischen Wohnungsprogramms des Roten Wien. Innerhalb von lediglich 100 Jahren verblasste ihr Rot. Die Nachfolgesozialist:innen taten alles, um öffentlichen Grund zu verscherbeln. Es gilt die Unschuldsvermutung. Nur die in der Tat großartige Donauinsel ­trotzte den Profitinteressen.
Gemeinschaftsgüter, Allmenden, Commons: Gewappnet mit diesen drei Synonymen begannen vor etwa 30 Jahren Planer:innen, Architekt:innen und linke Politiker:innen, den Dualismus der Eigentumsformen mit etwas Drittem zu irritieren. Diese Arbeit ist dadurch erleichtert worden, dass sich einige der Allmenden in die Gegenwart gerettet haben (in der Form der von Bäuer:innen gemeinschaftlich genutzten Kuh- und Schafweiden in den Alpen).
Die Allmende, verstanden als Flächen, Güter oder Ressourcen, die im Besitz einer Gemeinschaft der «­Kümmerer» stehen, spielte ab dem Mittelalter eine große Rolle. Flüsse, Wälder und Wiesen waren im Besitz aller Dorfbewohner:innen. Alle durften im Wald Holz hacken, so viel sie für ihre Existenz brauchten.
«Kümmerer» sind Alleskönner:innen und Nichtsmüssende. In allen Grätzln gibt es Kümmerer:innen.
Die Allmende-Bewegung wird von links und rechts attackiert. ­Linke Kritik sieht die Gefahr, dass sich Partisan:innen der Negation nicht mit dem Staat beschäftigen. Die verfassungsmäßige Absicherung der Eigentumsform des Gemeinguts ist aber nur über den Staat vorstellbar. Für eine Verfassungsdebatte ist es allerdings noch zu früh.

4 Fragen.

Die Lobby der ­Allmende Seestadt, um bei unserem ­Modell zu bleiben, müsste vier Fragen ­beantworten (nach Silke Helfrich, ­Forscherin und Aktivistin zu Commons und Gemeingütern):
Welche Konsequenzen hat es, wenn Grund und Boden als Gemeingüter begriffen werden?
Wie verändert sich der öffentliche Raum, wenn er nicht mehr durch Werbung, Lärm, Autos oder Parkhäuser beliebig privatisiert werden darf?
Wie wäre es, wenn die freie Nutzung von Wissen und Kulturgütern die Regel und deren kommerzielle Nutzung die Ausnahme wäre?
Welche Regeln und Institutionen sind für den sinnvollen Umgang mit Gemeingütern gut?

330 Bäume.

Wenn die Seestadt Wien/Aspern fertig gebaut ist – das wird laut Plan 2028 der Fall sein –, wird sie einwohner:innenmäßig mit den Städten Krems, Leoben, Amstetten, Lustenau, Hallein oder ­Schwechat vergleichbar sein. Als der bisher letzte Baum in der Seestadt gepflanzt war, durfte man von der Propagandaabteilung des Rathauses erfahren, dass es der 330. war. Mit dieser Zahl kann man nicht einmal Schulanfänger:innen beeindrucken, seit die Frau Lehrerin die Klasse gefragt hat: «Was denkt ihr, wie viele Bäume gibt es innerhalb der Stadtgrenzen?» 10 bis 15.000, riet die Aufgeweckteste der Klasse. Die Lehrerin lacht: 8,4 Millionen (3,7 Mio. in Innsbruck, 2,7 Mio. in Linz, 2,3 Mio. in Graz). Warum glauben dann alle dem Herrn Ludwig, wenn er internationalen Delegationen und nationalen Redaktionen weismachen will, die Seestadt sei europaweit die ­grünste der modernen Städte und die smarteste, und überhaupt der Gipfelpunkt innovativer Stadtplanung?
Sein Vorgänger Häupl wird in die Geschichte eingehen als jener Bürgermeister, in dessen Amtszeit die Versiegelung des Bodens mit den Asphaltflächen rund um den Hauptbahnhof und in der Seestadt den bisherigen Höhepunkt erreichte.
Gewiss ist urbanes Gewässer Mangel­ware in allen sonstigen Neustadtgebieten. Der Erholung sind aber Grenzen gesetzt. In der von den Asphaltwüsten generierten Gluthitze der öffentlichen Räume rund um den See der Seestadt ist es an dessen Ufer kaum auszuhalten. Der Mangel an Schattenspendern ist unglaublich. Die Menschen sehnen sich am Ende solcher tropischen Tage, ­deren Häufigkeit bekanntlich wächst und wächst und wächst, nach der lauen Dämmerung. Aber genau in dieser Tageszeit ist das Schwimmen im See verboten. Ebenso vorschriftswidrig ist das Eislaufen und Eisstockschießen im Winter.
Die Häufigkeit dieser Verbote korrespondiert mit der Bereitschaft der zivilgesellschaftlichen Kräfte, ihrer eigenen Entmündigung zuzustimmen. Vor der Kompetenz der Menschen zur Eigenverantwortlichkeit wirken fast alle Verbote paternalistisch.

Die Eigentumsfrage.

Rechts­po­li­ti­ker:innen malen Enteignungsorgien an die Wand. Unter der gegenwärtigen Konstellation der politischen Kräfte scheint die Furcht unbegründet zu sein. Unten aber wächst die Einsicht, dass alle Probleme der Großstädte auf die Eigentumsfrage zurückzuführen sind. Die subtilste und charmanteste Kritik an der neoliberalen Stadtplanung findet in der modernen aus der Billigmöbelwerbung angeeigneten Berliner Begrüßungsformel «Wohnst du noch oder lebst du schon?» ihren Ausdruck. Wer leben will, muss raus aus dem Stadtviertel. Damit ist aber das Problem der unbezahlbaren Miete nicht gelöst.
Welche Quellen legitimieren Bürgermeister Ludwig zur Behauptung, die soziale Durchmischung der Seestadt werde über unsere Grenzen hinaus als Best Practice der Integrationspolitik gewürdigt?
Ohne die Ausstei­ger:innen der Wagenburgen, die Flüchtlinge, die Kopf­tuch­träger:innen, die Drogen­kon­su­ment:innen oder die am Arbeiterstrich verzweifelt auf Häuslbauer:innen Wartenden kann von Durchmischung ­keine Rede sein. Dem Wiener Stadtoberhaupt würde nie im Leben einfallen, die Frage «Was macht eine Stadt zur Weltstadt?» so zu beantworten, wie es ein ehemaliger Tel Aviver Bürgermeister getan haben soll: «Tel Aviv sollte sich nicht Weltstadt nennen, wenn darin nicht eine einzige Hure, ein einziger Mörder und ein einziger Antisemit lebt.»

Stadtplanung ins Rathaus.

Augustins beste Adresse, wenn er Ratgeber in den Angelegenheiten Wohnungspolitik und Stadtplanung benötigte, ist ohne Zweifel Reinhard Seiß – wir begleiteten seinen Kampf, die Stadtplanung in das Rathaus zurückzuholen und sie nicht den privaten Investor:innen zu überlassen, 20 Jahre lang. In diesen zwei Jahrzehnten verstärkte sich ein Trend, den Seiß so kommentierte: «Mehr und mehr wurde Städtebau von einer quartierübergreifenden und kontinuierlichen Aufgabe der ­öffentlichen Hand zu ­einem projektbezogenen ­Wunschkonzert privater Immobilienentwickler und ihrer Architekt:innen, die sich den urbanistischen Rahmen für ihre Bauvorhaben praktischerweise selber abstecken. Wissenschaftlich abgesegnet wird das Ganze noch von Kollegen aus dem universitären Bereich, die in der Öffentlichkeit weniger durch aufrüttelnde Vorträge oder geistreiche Publikationen, denn als Inhaber gut gehender Planungsbüros in Erscheinung treten. In dieser Doppelfunktion reden sie einer dialogorientierten Stadtentwicklung und anderen Metaphern für ein in Wahrheit undemokratisches Monopoly das Wort – ohne jede Scham, dadurch ihre eigene Disziplin, die Planung, ad absurdum zu führen.»
Die Wunschkonzerte des Immobilienkapitals zeichnen sich immer mehr durch ihre strukturelle Kakophonie aus. Ihr gegenüber probt ein Gesangsverein der Kümmerer:innen sein Seestadt-Manifest: «GANZ OBEN GANZ UNTEN KEIN ­PROFIT! Warum pulsiert das Leben in den neuen Stadtteilen nicht so, wie es pulsieren könnte? Weil die Investoren aus Profitgründen die Vielfalt möglicher Nutzungen der Erdgeschosszonen verhindern. Warum sind die Dachgärten Wiens der gemeinschaftlichen Nutzung entzogen? Ist Bellevue ein Privileg für Superreiche? Wir schlagen vor: Grund und Boden gehen in Gemeinde­eigentum über. Befreit von den Boden­kosten, kippen die Mietsverhältnisse ins Soziale» (aus einem Flyer, der im Kultursommer 2021 in der Seestadt zirkulierte).
Die Liste der Städte, siehe oben, wurde mit Bedacht erstellt. In fünf Jahren werden in der Seestadt und in Krems an der Donau gleich viele Leute wohnen. Im Schnitt wird wer glücklicher sein?

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