Stadtgärtner gegen Konsumgesellschafttun & lassen

DIE GRÜNE GUERRILLA

Vom Brachland zum Garten Eden. In der Zeitschrift Spotlight, Ausgabe August 2000, berichtet Simon Jones, wie eine Welle fruchtbaren Widerstandes, von den USA ausgehend, England erreicht hat, und auch dort Erstaunenswertes für Mensch und Natur vollbringt. Eine Übersetzung von Christa Neubauer.Mikes Obstbäume wachsen gut, aber sie würden Ihnen nicht auffallen. Alle dreißig sind hinter einer Reihe Büschen in einem verlassenen Schrebergarten in Bristol im Westen von England versteckt. Mike hat sich durchs Unterholz gehackt, um sie dort zu pflanzen in Erdreich, das so schwer ist, dass die Besitzer es aufgegeben hatten, dort Gemüse anzubauen.

Entlang eines Radweges pflückt seine Freundin Bethan Schnittlauch kann sein, dass es der ist, den sie vor ein oder zwei Jahren dort eingesetzt hat. Die Kirschen und Zwetschken, die am Weg wachsen, enden in Marmeladegläsern. In der ganzen Stadt werden brachliegende Grundstücke wieder fruchtbar, wo Menschen wie Bethan und Mike alles mögliche anpflanzen, von Erdbeeren bis zu Apfelbäumen.

Ähnliches passiert in vielen anderen britischen Städten genaugenommen in Städten auf der ganzen Welt. Wann immer ein verlassenes Gebiet im Stadtbereich „wiederbelebt“ werden kann, gehen die Guerrilla-Gärtner ans Werk.

Menschen gehen ans Werk und setzen Pflanzen, wo keine Bäume wachsen“, sagt Ben, ein weiterer Aktivist aus Bristol. „Weiden beispielsweise kann man auch in großem Umfang auf einfache Art ziehen: man muss nur Weidenäste in die Erde stecken. Die Erfolgsrate beträgt vierzig Prozent. Manche Leute pflanzen sie und ziehen weiter.“

Mike, der seit zwanzig Jahren Permakultur unterrichtet, sagt: „Die Idee, auf einem Stück Land etwas zu tun, das einem nicht gehört, bedeutet Kontrollverlust, aber es ist ganz natürlich, dass Menschen versuchen wollen, ihre Umgebung zu verbessern. Auf der ganzen Welt arbeiten Menschen mit Dingen, die ihnen nicht gehören. Deshalb ist es seltsam, dass gerade Guerrilla-Gärtnern als subversiv gesehen wird.“

Guerrilla-Gärtnern benannt nach den Green Guerrillas, die in New York in den Achtzigerjahren damit begonnen hatten ist an sich keine neue Idee. Zigeuner praktizieren es im Grunde seit Generationen: sie pflanzen Erdäpfel am Straßenrand, ziehen weiter und kommen zur Erntezeit zurück. Hier kommt allerdings eine politische Komponente dazu. Gärtnern heißt direktes Handeln: es kann den Anspruch der Menschen auf ein Stück Land bekräftigen, städtische Gemeinschaften wiederaufleben lassen und die Kontrolle der Multis über das Angebot an Nahrungsmitteln zurückdrängen.

Die Bewegung besteht aus vielen sehr unterschiedlichen Gruppen. Aber das gemeinsame Ziel ist klar: Menschen wieder dazu zu bringen, auf einem Stück Land Nahrung zu produzieren, mit Hilfsmitteln aus der Umgebung und einem Minimum an Energie. Statt Äpfel zu kaufen, die aus Chile eingeflogen werden, kann sich jeder seine dort pflücken, wo er lebt. Aus privaten Gärten werden öffentliche, aus Monokultur wird Vielfalt und aus Konsum Produktion.

Guerrilla-Gärtnern hat sich aus anderen Formen des Umwelt-Aktivismus, z. B. Protesten gegen den Straßenbau, entwickelt, und es sind zu einem großen Teil die selben Menschen beteiligt. „Sie haben begonnen, positive Aktionen zu setzen, anstatt einfach nur „nein“ zu sagen“, meint Sophie Andrews von der Lobbygruppe „Friends of the Earth“ in Bristol.

Pflanz-Happenings am 1. Mai in vielen Städten

Mittlerweile haben sich die Guerrilla-Gärtner weltweit organisiert. Am ersten Mai 2000 hat die Aktivisten-Gruppe „Reclaim the Streets“ unter dem Slogan „Resistance is fertile“ (Anm. d. Ü.: Widerstand ist fruchtbar, Wortspiel mit „Resistance is futile“ Widerstand ist zwecklos) Pflanz-Events in vielen britischen Städten organisiert, als Teil eines weltweiten Aktionstages gegen den Kapitalismus. Im April davor hatte es ähnliche Veranstaltungen in Washington, D. C., im Rahmen der Meetings des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gegeben.

Das hat das Guerrilla-Gärtnern weg vom Lokalaktivismus zur Kampfansage an Kapitalismus und Konsumgesellschaft geführt. Jack Tann von Reclaim the Streets sagt: „Das ist nicht nur grün; es ist auch ein Symbol, um das Land den Menschen zurückzugeben Land, das sie sonst pachten oder kaufen müssen und die entfremdende Spaltung von Produzenten und Konsumenten aufzubrechen. Es repräsentiert die Idee von der Macht und dem Recht des Menschen, nach seinen Vorstellungen zu leben. Wir müssen uns den Weg des Kapitalismus nicht aufzwingen lassen.“

Solche Aktionen können kontroversiell sein. In einem Informationsblatt aus den USA war zu lesen: „Wir müssen kreativ genug sein, damit sie uns nicht … als Terroristen abstempeln, und militant genug, damit sie uns nicht ignorieren können.“ Nach den Gewaltakten in London am ersten Mai wurde Reclaim the Streets jedoch heftig dafür kritisiert, sich nicht von diesen Ausschreitungen distanziert zu haben.

Es begann in Manhattan

Die Bewegung des Guerrilla-Gärtnerns entstand in New York. Dort begann in der heruntergekommenen Ecke der Lower East Side von Manhattan eine Gruppe, die sich Green Guerrillas nannte, zwischen den ausgebrannten Behausungen der Slums Gärten anzulegen. Was als eine Art Besetzung durch Aktivisten und verarmte Anrainer begann, wurde zu funktionierenden Gemeinschaftsgärten.

Lokale Traditionen und ethnische Minderheiten gediehen. In einigen Gärten schafften sich Einwanderer aus Zentralamerika die Bedingungen, die sie aus ihrer Heimat kannten. Sie hielten Hühner, bauten Hütten, und an heißen Tagen tranken sie mit ihren Freunden ein Bier. Auf diese Weise konnte eine Gemeinschaft auf ihre Wohnumgebung Einfluss nehmen, obwohl viele dieser Aktivitäten vom republikanischen Bürgermeister der Stadt, Rudolph Giuliani, kriminalisiert wurden.

Puertoricaner, Angelsachsen, Polen, Kolumbianer, Dominikaner und viele andere Gruppen pflanzten und arbeiteten gemeinsam, schufen Wandmalereien und erhielten Zuschüsse. Sie veranstalteten Lesungen und Jazzkonzerte.

Die Gärten verbreiteten sich in ganz Manhattan bis zur Bronx, bis es, über die Stadt verteilt, gegen tausend von ihnen gab. Aber die Aktivisten wurden Opfer ihres eigenen Erfolges. Die Gebiete wurden durch die Verbesserungen sicherer, und am Ende bürgerlich. Als man die Gartengrundstücke als attraktive Baugründe zu sehen begann, war das Gärtnern bedroht. Städteplanerische Kämpfe in den späten Neunzigerjahren waren die Folge, und etliche Gärten wurden von Bulldozern zerstört.

Dennoch zeigt die New Yorker Bewegung, was man erreichen kann. Etliche hundert Gärten existieren immer noch, und in anderen Städten sind viele neue entstanden bis hin nach San Francisco und Vancouver.

Die Erfahrung der Vereinigten Staaten half bei der Entstehung von Gemeinschaftsgärten in Großbritannien. Wie in New York hatten viele ihren Ursprung in einer Grundstücksbesetzung oder in lokalen Bürgerinitiativen für die Erhaltung von Brachland. Unter den ersten Projekten waren das in der Calthorpe Street nahe Kings Cross, einem verarmten Viertel im Londoner Stadtbereich, und die Windmill Hill City Farm in Bristol.

Derzeit werden 518 Gemeinschaftsgärten und 68 sogenannte City Farms in Großbritannien von Freiwilligen betreut. Interessanterweise findet sich mehr als ein Drittel davon in den 33 ärmsten Bezirken in England. Viele andere findet man in den ärmeren Gegenden der reicheren Gebiete.

Zusammen schaffen sie Grünraum für mehr als 300.000 Menschen; aber so wie in New York könnten sie durch die Entwicklung gefährdet sein. Da die Regierung versucht, auf städtischen Grundstücken zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, könnten die Gärten für die Stadtplaner ein leichtes Ziel werden. Die Erfahrung zeigt, dass auch noch so engagierte Aktivisten gegen Bulldozer machtlos sind.

Über die Chancen der Guerilla-Gärtnerei in Wien lesen Sie in Ausgabe Nr. 68.

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