Stadtluft macht frei(-raum)?tun & lassen

Betrifft: die neue Rubrik "Nimm Platz" im AUGUSTIN

Stadtluft macht frei? Dieser mittelalterliche Sinnspruch hat heute eine ganz andere, zynische Bedeutung bekommen: Obdachlos sein, heißt den Mief der Stadt über sich ergehen lassen zu müssen und trotzdem keinen Freiraum zu haben. Der wird nämlich gezielt für „gute“ Nutzer produziert und gestylt, für bestimmte „schlechte“ Nutzer unbrauchbar, vermindert zugänglich bzw. gänzlich unzugänglich gemacht.An sich ist im Stadt-Raum ein ganz bestimmter sozialer Bedarf an Wohn-Raum gegeben, der v.a. von Alter, sozialer Stellung und Beziehung zum Raum abhängig ist. Dieser Bedarf bezieht sich dabei nicht nur auf umbaute Räume, sondern auch auf die Freiraumnutzung, in der es genauso ein „Wohnen“ gibt, das sich in der regelmäßigen Nutzung bestimmter Orte manifestiert.

Obdachlose sind selbstverständlich Teil dieser öffentlichen Wohnlandschaft mit dem entscheidenden Nachteil, als einzige ausschließlich darauf als Wohnung angewiesen zu sein. D.h. sie sind die schwächsten Glieder in der Nutzungshierarchie, weil davon abhängig. Das Wort frei bekommt dabei die Bedeutung von „vogelfrei“ – ohne Rechte unter freiem (Stadt-)Himmel. Denn das wohnlich Einrichten im (öffentlichen?) Freiraum als Ersatz für das fehlende Obdach wird den Obdachlosen verwehrt, obwohl gleichzeitig auch zuwenig Unterkünfte mit Dach zur Verfügung gestellt werden.

Bestimmend im öffentlichen Freiraum sind jene, die meistens ad personam diesen gar nicht mehr nutzen wollen bzw. mit Sicherheit ein Obdach haben, aber ihre Interessen bzw. die ihrer Klüngel – wenn auch in Minderheit – durchsetzen.

Plätze für (alle!) Menschen sind aber nur durch den Menschen selbst möglich. Letztendlich werden Plätze und Orte immer erst durch die vielen Menschen auf/ in/ um sie existent – also inklusive Obdachlose. Architektonisches kann dabei Rahmen bilden oder im besten Fall Orte generieren. Im schlechten Fall kann durch Stadtgestaltung/ -planung im Dienste der Bürgerschaft das Unerlaubte, nicht Geduldete verhindert, beiseite geschafft, im schlimmsten Falle ausgemerzt werden – inklusive Obdachlose.

Vielleicht hat dieser Verdrängungsmechanismus seine Ursache darin, daß Obdachlosigkeit das Nomadische gegenüber dem bürgerlich Seßhaftem, Beharrenden verkörpert. Es ist aber nicht mehr mit romantisiertem, falschen „Vagabundentum“, dem Leben im Freien als metaphorisch „Freisein“ verbunden, sondern mit der Angst vor der nicht faßbaren Lebensart, vor der Unsicherheit, den Besitz teilen zu müssen oder überhaupt einzubüßen.

Daher weg damit. Weg mit dem Obdach, weg mit dem Freiraum, weg mit den sozial Unterprivilegierten. Damit das Stadtbild sauber bleibt.

Wien hat es historisch immer schon gewußt, Plätze und damit einhergehenden sozialen Prozesse des Bewohnens zu verhindern, nicht werden zu lassen. Vom Judenplatz ohne Juden, dafür mit antisemitischer Denktafel, bis zum „neuen“ Europa-Platz, der die administrative Geometrie zentraler Verwaltungsmacht wiederspiegelt. Die alten „schönen“ Plätze sind für den Tourismus „aufgewienert“ oder den Autos, Tauben, Hunden und deren Dreck als Platzgestalter und geduldete Nutzer überlassen. Oder wer möchte leugnen, daß der Heldenplatz das wahrscheinlich größte Hundeklo der Welt ist – was zumindest ungewollt Ironie birgt.

Wien ist die Stadt der Potemkin’schen Freiräume: Orte, die keine sind, aber vorgeben welche zu sein, als teure Inszenierung mit Prospekt-Kulissen über Hunde- und Taubenkot, Obdachlose, Ausländer etc. gebreitet.

Alle lebenden Menschen – mit oder ohne Dach – sind daher aufgerufen, die öffentlichen Freiräume für die, mit den Obdachlosen zu besetzen. Wenn schon keine Obdächer zur Verfügung sind, dann wenigstens Freiräume. Besprayt, beklebt, bekritzelt, besetzt und schafft Freiräume mit dem einfachen Mittel der Schrift im öffentlichen Raum, als Zeichen eures Frei-/Wohnraumanspruchs, der Anwesenheit, des Widerstandes und der Veränderung!

Offentliche Bürgerversammlung: Los, Dach her!

Alfred R. Benesch, Landschaftsplaner, vormals Wien, derzeit Melk.

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