Stadtteilentwicklung – fürs Kapital oder für die Menschen?tun & lassen

Immo Aktuell

Oberlaa, Favoriten: Hier kreuzen sich der Großstadt-Rand, dörfliche Strukturen und der Liesingbach. Hier liegt auch das Stadtteilentwicklungsgebiet Favoriten-Süd. Nun krachen Interessen aneinander. ­
Text: Christian Bunke, Illustration: Much

Es sind noch gar nicht so viele Jahre ins Land gezogen, da wurde die U1-Verlängerung nach Oberlaa feierlich eröffnet. Dadurch wurde, wie es im Stadtplaner_innen-Jargon heißt, der Süden Favoritens und damit der Süden Wiens «aufgewertet». Diese Aufwertung ging einher mit drastischen Mietsteigerungen in Favoriten.
Jetzt kommt Phase zwei. In den Worten der Website der Wiener Stadtentwicklung: «Um die bestehende Lebensqualität zu stärken und zu sichern, wird ab Herbst 2019 gemeinsam mit der Bevölkerung ein Stadtteil-Entwicklungskonzept ausgearbeitet.»
Einer, dem diese Perspektiven eher Angst machen, ist Richard Stocker von der Initiative ­Lebensraum Oberlaa. Bei einem Spaziergang entlang des Kurparks zeigt er, warum. Tatsächlich ist der Spaziergang quasi ein Grenzgang. Auf der einen Seite der Stadtrand, die U-Bahn, der Kurpark und die Therme: «Sündhaft teuer. Warum gehört die einem privaten Betreiber und nicht der Stadt?», wundert er sich. Und auf der anderen Seite, in der tiefen Ebene, die Ortschaft Oberlaa, deren höchste Erhebung ein Kirchturm ist. «Wenn hier so gebaut wird, wie es sich die Entwickler vorstellen, dann wird Oberlaa regelrecht erdrückt», sagt Stocker.

Vorsorgewohnungen.

Im Fokus der Pläne steht die Kurbadstraße. Wie ein großer Pfahl ragt hier der Airo-Tower empor. Dieses 55 Meter hohe, ehemalige Hotel war ursprünglich im Besitz des Unternehmers Mirko Kovats. Der wollte daneben gleich noch ein Hotel hinstellen, um vom U1-Ausbau zu profitieren. Die 258 Zimmer im Airo-Tower sollten zu sogenannten «serviced apartments» werden. Doch es kam anders, Kovats ging pleite. Jetzt entstehen hier «Vorsorgewohnungen». Raab & Raab, die derzeitigen Eigentümer_innen des Turms, sagen dazu auf ihrer Homepage: «Eine Vorsorgewohnung bezeichnet eine spezielle Form der Eigentumswohnung, deren Hauptzweck es nicht ist, selbst darin zu wohnen. Der Sinn der Vorsorgewohnung liegt darin, durch Mieteinnahmen und Steigerung des Wohnungswerts das eingesetzte Kapital zu vermehren.»
Richard Stocker schüttelt da nur mit dem Kopf. «Diese Wohnungen sind doch sündhaft teuer. Das ist kein sozialer Wohnbau und auch kein Gemeindebau.» Spannend findet Stocker, dass man den Turm entkernt und nicht für einen Neubau abreißt. «Das ist immer noch als Hotel gewidmet. Für einen Neubau hätten die nie eine Genehmigung gekriegt.»

Schutzzone vs. Entwicklungsgebiet.

Der ­Airo-Tower wird nicht lange alleine bleiben. Die Stadtentwicklung hat das Gebiet im Auge und bewirbt auf ihrer Homepage die Vorzüge der Gegend: «Zwischen Kurpark Oberlaa, Therme Wien und der neuen U1-Station Oberlaa entsteht eine Wohnsiedlung mit besonders hoher Lebensqualität. Der Standort ist hervorragend an den öffentlichen Verkehr angebunden und zeichnet sich durch die Nähe zu Erholungsgebieten aus.»
Die Initiative Freiraum Oberlaa fürchtet, dass die dörflich geprägten Ortschaften am Stadtrand dadurch überrollt werden. 300 Meter vom Airo-Tower entfernt beginnt eine Schutzzone zum Erhalt des dörflichen Charakters mit maximalen Bauhöhen von 7,50 Metern. Doch rund um diese Zone sind längst Entwicklungsgebiete für neue Wohnblöcke und Hochhäuser vorgemerkt. «In der Gegend rund um Rothneusiedel werden immer mehr Grundstücke von Entwickler_innen aufgekauft», sagt Richard Stocker. «Viele Eigentümer haben die Grundstücke nur geerbt, leben aber nicht mehr dort. Ihnen fehlt der Bezug zur Gegend, deswegen verkaufen sie.»

Kurpark für alle.

Fast 11.000 Menschen haben eine Petition gegen die geplanten Bauvorhaben unterschrieben. Doch Stocker und den 140 Mitgliedern der Initiative geht es auch um einen positiven Alternativentwurf. «Der Kurpark wurde schließlich einst mit dem Hintergedanken gegründet, dass auch arbeitende Menschen Erholungsraum brauchen.» Warum also nicht den Gedanken des Kur- und Erholungsgebietes auf Oberlaa und Umgebung anwenden? «Man könnte hier sehr schöne Kurkonzerte machen, oder Freiluftkino. Der Eisring Süd wurde zugesperrt. Warum nicht hier einen neuen Eisring errichten? Wir wollen den Kurort in der Stadt», sagt Stocker. Freiraum Oberlaa ist mit Vizebürgermeisterin Birgit Hebein in Kontakt. Ein Bürger_innenbeteiligungsverfahren ist angelaufen. Was am Ende dabei herauskommt, ist für alle Wiener Bezirke von Interesse, in denen U-Bahn-Erweiterungen anstehen.