«Ständig Kekse und Tee»vorstadt

Mit dem Frachtschiff Vera D über den Atlantik

Auf einem Frachtschiff sind sole noir (Text und Fotos) von Spanien über Portugal und Kanada nach Kuba gereist. Auf der dreiwöchigen Überfahrt haben sie die Auswirkungen der Atlantik-Tiefdruckgebiete direkt vor Ort zu spüren bekommen und außerdem genügend Zeit gehabt, mit den Seeleuten über ihre Arbeit zu sprechen.

Blaues Dämmerlicht fällt in die Kammer, wie die Kabine auf Frachtschiffen genannt wird. Vor der Luke schwebt ein Container. Von der Greifvorrichtung des Krans wird er in eine freie Lücke zwischen andere Container bugsiert. Ruckeln, ein Pfeifton, grünes Licht. Die Verankerungen an den Containerecken sind eingeschnappt, die Greifvorrichtung gleitet zurück, der Kran klappt hoch. Blaue, weiße, grüne und rote Container sind während der späten Abend- und der frühen Morgenstunden auf- und abgeladen worden. Sie werden aufeinander gestapelt wie bunte Klötze, von denen ein jeder bis zu 30 Tonnen Transportgut beinhaltet. 1678 Container passen auf das 180 Meter lange Frachtschiff Vera D, das sich am 11. Oktober von Valencia aus auf den Weg nach Mariel, Havannas Industriehafen, macht, um Lebensmittel und Baumaterialien nach Kuba sowie Rum zurück nach Europa zu bringen. Von der Brücke aus sehen wir, wie die Sonne über dem Hafen aufgeht, wie sich die Morgenröte auf die Container und Kräne legt und die Lichter langsam verblassen.

Im Hafen.

In den Häfen gibt es für die Besatzung am meisten zu tun. Die Lösch- und Ladearbeiten müssen koordiniert, die Statik jeweils neu berechnet und die vielen Tonnen Wasser, mit denen das Ladungsgewicht in riesigen Tanks im Bauch des Schiffes austariert wird, umgeschichtet werden. Auch die Arbeiten an Deck erfordern Umsicht und Genauigkeit. Der Umgang mit den Leinen, mit denen das Schiff vertaut wird, ist gefährliche Schwerarbeit. Sie können reißen und mit einer Wucht zurückschnellen, die eine_n den Kopf kosten kann. Die meisten Seeleute arbeiten in befristeten Verträgen: Sie fahren zwischen drei und sechs Monaten zur See, verbringen einige Monate zu Hause und heuern erneut an. Zu Hause – das sind für mehr als die Hälfte aller Seeleute die Philippinen. Auch auf der Vera D stammt die Mehrheit der neunzehnköpfigen Besatzung von dort. Kapitän Federico wohnt in einem Dorf 600 Kilometer von Manila entfernt. Seit 34 Jahren fährt er zur See. Da er aus einer mittellosen Familie stamme und ein anderes Studium nicht finanzierbar war, sei er auf die Seefahrtsakademie gegangen, erzählt er uns. Er macht uns auch auf die Gefahren aufmerksam, die Wind, Wetter, Entführungen durch Piraten und technische Gebrechen für die Seeleute mit sich bringen. Steuermann Thimo aus Deutschland ist der einzige an Bord, der bei der Hamburger Reederei einen durchgängigen Arbeitsvertrag hat. Er erzählt uns, dass die Reedereien in den 1960ern begonnen haben, billigere Arbeitskräfte aus unterschiedlichen Ländern anzuheuern. Knappe 1300 US-Dollar verdienen Matros_innen im Monat. Wenn sie keine europäischen Pässe besitzen, müssen sie, wenn sie an Land gehen wollen, in manchen Häfen, wie in Lissabon, 60 Euro bezahlen. Wir sind die Einzigen, die hier einen kurzen Landgang unternehmen, am Nachmittag geht es weiter.

Auf See.

Die Tage auf See folgen einem geregelten Ablauf: Um sieben Frühstück, um zwölf Mittagessen, um fünf Abendessen. Koch Kushan aus Sri Lanka lässt gerne mit sich reden, wenn es spezielle Wünsche gibt. Prinzipiell aber ist das Tagesmenü festgelegt, es orientiert sich an europäischen und philippinischen Essgewohnheiten. Den lärmenden Maschinenraum zeigt uns Dmytro, Chef-Ingenieur aus Donezk: «Ein Schiff ist wie eine kleine Stadt. Wir hier versorgen sie mit Strom und sauberem Wasser. Und kümmern uns um unsere Maschinchen.» Meistens sind wir jedoch oben auf der Brücke. Von dort aus wird navigiert, werden die See- und Wetterkarten konsultiert und mit den Hafenbehörden kommuniziert. Trotz Autopilot muss die Brücke Tag und Nacht besetzt sein. Die Wachschichten teilen sich die drei Offiziere. Alle vier Stunden gibt es einen Wechsel. Nach wenigen Tagen wissen wir genau, wen wir zu welcher Zeit auf der Brücke antreffen. Julio, dritter Offizier und immer zwischen acht und zwölf – vormittags und abends – auf der Brücke, fragt uns, ob wir schon einmal zur See gefahren seien. Als wir verneinen, lächelt er maliziös. «Well then, ihr werdet etwas erleben auf eurer ersten Atlantiküberquerung.»

Im Tiefdruckgebiet.

Es ist Nacht. Wir passieren die Azoren. Das Meer ist ruhiger hier und es gibt wieder Handyempfang. Wir stehen an der Nock, einem Seitenbalkon der Brücke, und schauen auf die Milchstraße. Wie harmlos klingen die Ansagen der Wettermoderator_innen: «Ein Tiefdruckgebiet über dem Atlantik zieht nach Europa …» Eine gute Woche lang befinden wir uns in dieser berühmten Wetterlage, die typisch ist für diese Jahreszeit. Jetzt wissen wir, wie sie sich vor Ort anfühlt. Wenn auch nur am Rande, denn der Kapitän hat den Kurs geändert, um die schlimmsten Auswirkungen zu vermeiden. Trotzdem. Es ist sehr windig, in unserem Fall bis zu Windstärke 9, mitunter regnerisch und die See ist rau, sodass sich die Vera D durch oft sechs Meter hohe Wellen kämpfen muss. Kommen sie von vorn, schlägt das Schiff mit der Spitze durch, wird wild gebremst, es schaukelt, der Motor schiebt an, es schaukelt. Kommen sie von Back- oder Steuerbord, rollt es von einem Wellenberg hinab ins Tal und erhält gleich darauf die nächste Bergfahrt. Man glaubt gar nicht, dass hier 28.000 Tonnen herumgeschoben werden wie ein bisschen Treibgut. Später werden wir sehen, wie dieses Tiefdruckgebiet Stahlverstrebungen am Schiffbug eingedrückt und einige Container eingedellt hat. Der starke Seegang geht auf den Magen. Alexandru, der 2. Offizier, erzählt uns von seiner ersten unerfreulichen Erfahrung mit Seegang und meint: «Es gibt zwei Typen. Die einen essen permanent, die anderen kriegen nichts runter. Ich bin ein Esstyp. Ständig Kekse und Tee.» Wir sind es auch. Der gut gefüllte Magen hilft gegen Übelkeit. Dennoch: Solange man nicht am Schiff arbeiten muss, empfiehlt es sich im Tiefdruckgebiet, wie zu Hause auch: gemütlich machen, einen Film schauen oder besser gleich eine ganze Serienstaffel.

Von Halifax nach Mariel.

Mit reduzierter Geschwindigkeit erreichen wir die Schutzzone. 200 Meilen vor Nordamerika darf nur mit einem schadstoffärmeren, dafür teureren Kraftstoff gefahren werden. «Wir fahren mit Schweröl. Das verträgt sonst kein anderer Verbrennungsmotor. Die nächste Stufe ist dann schon Teer.» Thimo grinst. «Die Tonne kostet knapp 400 Dollar. Und unsere Maschine frisst bei durchschnittlicher Geschwindigkeit pro Tag gut 30 Tonnen.» Die Schifffahrt ist ein hartes Geschäft. Es geht um sehr viel Geld und die Branche hat sich über die Jahrzehnte verändert. Immer größere Frachtschiffe mit bis zu 400 Metern Länge und Platz für tausende Container, aber kaum 20 Personen Besatzung sind unterwegs. Auch die Tendenz zur Monopolisierung nimmt zu. Die größte Reederei ist die dänische Maersk. Die kleineren gehen Pleite oder werden aufgekauft.

Nach einem kurzen Landgang in Halifax fahren wir weiter nach Süden und müssen wieder einer Tiefdruckfront ausweichen. Weitere Wellentage stehen bevor. Kein Problem. Am vorletzten Tag unserer Reise gibt es das legendäre Vera-D-Barbecue. Ein Spanferkel wird gegrillt. Das sei eine philippinische Spezialität, so wird uns berichtet. Dazu ein üppiges Buffet mit Beilagen und Süßspeisen. Das Fest dauert diesmal nur bis 22 Uhr. «Ein kleiner Tropensturm kündigt sich an», so der Kapitän, «da müssen alle ausgeschlafen sein, aber keine Sorge.» Die haben wir auch nicht. Auch dann nicht, als wir am nächsten Tag hören, dass die kubanischen Behörden aufgrund des Seegangs den Hafen gesperrt haben. So verbringen wir unsere letzte Nacht an Bord vor Mariel ankernd. Passt uns sehr gut. Da können wir mit dem Kapitän noch ein paar Schachpartien spielen und die Wellen genießen. Das Land hat uns ja bald wieder.

Andreas Pavlic und Eva Schörkhuber schreiben als sole noir über ihre aktuelle Reise: www.solenoir.org/reiseblog-cubavisa.

In der nächsten Ausgabe des Augustin können Sie eine Reportage von Markus Schauta über die ehemalige Pirateninsel Sainte Marie im Indischen Ozean lesen.