Stärken und Schwächen des Sozialstaats (II)tun & lassen

eingSCHENKt

Was sind die Stärken und was sind die Schwächen, fragt man sich, wenn man etwas verbessern will. Im besten Fall wird man dann die Schwächen korrigieren und die Stärken optimieren. Das gilt auch für den Sozialstaat. Im ersten Teil der Serie ging es um die Stärken: Stabilisierung der Haushaltseinkommen in der Krise, Verhinderung von Angstsparen, geringere Arbeitslosigkeit, weniger Armut und soziale Ungleichheit, Ausgleich über den Lebenszyklus, stabilere Mittelschichten.

Was sind nun die Schwächen und Fehlentwicklungen im hiesigen Sozialstaatsmodell?

Nach dem Krieg wurde der Sozialstaat auf vier Säulen errichtet:

1. der Annahme eines männlichen Ernährerhaushalts

2. der Annahme eines Normalarbeitsverhältnisses

3. der Vorstellung einer kulturell homogenen Bevölkerung

4. dem Prinzip der Statussicherheit

In den letzten Jahren hat sich einiges geändert:

1. Viele Frauen sind Familienerhalterinnen, und es gibt vielfältigste Formen des Zusammenlebens.

2. Unterbrochene Erwerbsbiographien und unsichere McJobs nehmen zu.

3. Viele Menschen sind nach Österreich zugewandert, und

4. Bildung ist im Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft entscheidender geworden.

Auf all diese vier Entwicklungen wurde sozialpolitisch nicht rechtzeitig reagiert:

1. Das Festhalten am «männlichen Ernährerhaushalt» führt zu hohem Armutsrisiko von Alleinerzieherinnen und zur Mindestpension für ein Drittel aller Frauen. Laut Studie «Growing Unequal» der OECD stellt in Österreich vor allem der Status «Ein-Eltern-Haushalt» ein Armutsrisiko dar. Nimmt man alle Haushalte, in denen Kinder leben, liegt Österreich in Bezug auf die Armutsquote mit sechs Prozent am fünften Platz hinter Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland. Nimmt man nur die Haushalte Alleinerziehender mit Kindern, fällt Österreich auf den achten Platz zurück. In den nordischen Ländern ist die Situation anders: Dort haben Alleinerziehende ein weit geringeres Armutsrisiko. Weiters wirkt sich die Verteilung der Familienaufgaben zwischen den Geschlechtern aus. Die sorgenden Tätigkeiten wie Kinder betreuen, Oma pflegen, waschen und kochen werden rhetorisch gewürdigt, in der Praxis aber gering bewertet. Und Frauen zugeteilt. Insgesamt liegt die durchschnittliche Arbeitsbelastung von Frauen durch Erwerbsarbeit, Haushalt und Kinderbetreuung im Schnitt bei 45,2 Stunden pro Woche. Davon entfallen zwei Drittel auf Haushalt und Kinderbetreuung. Bei Österreichs Männern liegt die wöchentliche Gesamtbelastung im Schnitt nur bei 35,1 Stunden. Nur ein Fünftel entfällt dabei auf Haushalt und Kinderbetreuung.

2. Die Fixierung auf die klassische Erwerbsarbeit übersieht die steigende Zahl der «Working Poor» und die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse. Jetzt schon leben rund 200.000 Menschen in Österreich in Haushalten, in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz – und die der Kinder – zu sichern. Unfreiwillige Ich-AGs, Generation Praktikum, Abstiegsbiographien sind hier die Stichworte.