Wiens freie Tänzer_innen kommen zu kurz
Der freien Tanzszene fehlt’s an Geld. Aber auch Anerkennung, Planungssicherheit und soziale Absicherung sind Mangelware. Kann man sich aus diesen beengenden
Strukturen freitanzen? Veronika Krenn hat sich in der Szene umgehört.
Bildunterschrift: «Ich lebe prekär und balancierend. Aber der Reiz der Selbstbestimmung ist groß.» Steffi Wieser, Choreografin und Performerin
Foto: Lisbeth Kovačič
Es sind Erzählungen, die einander ähneln, Puzzlesteine in einem Mosaik, das, einmal aufgelegt, ein prekäres Bild ergibt. Aber der Reihe nach: Chris Haring, Choreograf von Liquid Loft, erwische ich zwischen Proben und Premiere zum Internet-Telefoninterview. Seit rund fünfzehn Jahren performt sein Kollektiv auf den wichtigsten Tanzfestivals der Welt, er selbst ist seit den 1990er-Jahren tätig. Zum Zeitpunkt des Gesprächs weilt die Gruppe gerade in Nancy/Frankreich. Die Kompanie wird von der Stadt Wien und vom Bund gefördert.
Mit Philippe Riéra und Caroline Madl vom österreichisch-französisch-belgischen Kollektiv Superamas treffe ich mich in einem Café in Wien. Auch diese Gruppe ist über die Grenzen Österreichs hinaus höchst erfolgreich. Dennoch wurden ihr von der Stadt Wien sukzessive die Förderungen gekürzt. Von mehrmaliger vierjähriger Konzeptförderung zur Zweijahresförderung, zur Einjahresförderung, einmal noch zur Einzelprojektförderung und dann auf eine schlanke Null. Das letzte Projekt, das Superamas eingereicht hatte, für Frühjahr 2019, war eine Kooperation mit Michael Laub, dem Pionier des Postdramatischen Theaters. Hierzulande erlangte Laub vor allem durch seine Burgportraits am Wiener Burgtheater große Bekanntheit, auch bei ImPulsTanz ist er regelmäßig zu Gast. Das Projekt konnte, bereits durchgeplant, eine beachtliche Liste an Kooperationen aufweisen: mit PACT Zollverein, dazu La Scène National Manège Maubeuge/NEXT Festival (FR/BE), BIT teatergarasjen Bergen (NO), BUDA Kortrijk (BE), ImPulsTanz Wien und zuletzt noch mit der Szene Salzburg. 30 Prozent Förderung von der Stadt Wien wären noch benötigt worden, um entstehen zu können. Aber der Förderantrag wurde abgelehnt und der österreichische Teil der Gruppe steht vor dem Nichts. «Sie haben Superamas umgebracht», sagt Philippe Riéra. Obwohl die Gruppe die Anregungen der Förderstellen – verstärkt Österreichbezug herzustellen und den österreichischen Nachwuchs einzubinden und zu fördern – sehr ernst genommen hat und das auch künstlerisch umsetzte.
Steffi Wieser treffe ich ebenfalls in Wien, sie studierte ursprünglich Ballett, seit vielen Jahren ist sie aber im zeitgenössischen Tanz heimisch. Sie ist in mehreren Rollen unterwegs: als Performerin in Choreografien ihrer eigenen Stücke und denen von Kompanien, deren Arbeiten etwa bei den Wiener Festwochen und beim Donaufestival zu sehen waren. Das nächste Stück, in dem sie choreografiert und performt, heißt Forgiveness, der in Wien ansässigen Company Saint Genet. Regie bei dieser «abstrakten Form der Oper», wie das WUK schreibt, führt der in Wien lebende Amerikaner Derrick Ryan Claude Mitchell. Premiere feiert man am 28. März im WUK, weitere Vorstellungen sind bis 30. März zu sehen.In einem Jurykommentar der Kurator_innen Kolja Burgschuld, Bettina Hagen und Wolfgang Kralicek zum Projektförderungseinreichtermin vom Juni 2018 heißt es, dass nur 20 Prozent der beantragten Projekte bedacht werden können. Die Zahl der förderungswürdigen Projekte (49) liege allerdings deutlich über der Zahl der empfohlenen Projekte (27), schreiben sie: «Viele künstlerisch relevante Vorhaben können aus budgetären Gründen nicht zur Förderung empfohlen werden.»
Stagnierende Budgets.
Chris Haring hat sich seit den 1990er-Jahren als freier österreichischer Tanzschaffender einen Namen gemacht. Seine Stücke entwickeln sich zyklisch, mit verschiedenen Outputs: als Film, Installation oder Bühnenstück. In den vergangenen Jahren arbeitete Liquid Loft viel outdoor. Es entstand der Zyklus Foreign Tonques, in dessen Rahmen überall in Europa Regionalsprachen und Dialekte gesammelt wurden. Das darf durchaus auch politisch verstanden werden, als ein Beitrag zur Migrationsdebatte: «Wenn ich etwa ins Burgenland gehe: Die Kroaten wurden unter Maria Theresia vor 300 Jahren umgesiedelt. Diese Migration ist über Jahrhunderte zu betrachten, man weiß nicht mehr, wer dort zuerst war, die Burgenländer, die Ungarn oder die Kroaten …» Chris Harings neuestes Stück, Models of Reality, war im Februar im Tanzquartier zu sehen. Der Choreograf montierte darin zu den Bewegungen der Tänzer_innen den Klang der «foreign tongues» ebenso wie den Sound von verschiedenen Materialien wie Holz und Glas. In einer surrealistisch anmutenden sozialen Realität agierten die Akteur_innen wie eine Gemeinschaft von Cyborgs.
Fragt man den Choreografen, wie sich die Wiener freie Szene über die Jahre entwickeln konnte, auch was Förderungen und Produktionsbedingungen betrifft, wird seine Stimme dunkler: «Wie soll ich das jetzt sagen, um nicht zu negativ zu werden? Es gibt ja den schönen Spruch, dass man viel verändern muss, damit alles so bleibt, wie es ist.» Er könne sich nicht beschweren, schickt Haring voraus, weil Liquid Loft eine der anerkanntesten österreichischen Gruppen sei, über Jahre hinweg. «Allerdings müssen wir uns in internationalem Vergleich mit Gruppen messen, die richtige Unternehmen sind bzw. spielen wir auf denselben Festivals. Bei uns hängt es aber in Wirklichkeit vom Goodwill jedes Einzelnen ab, miteinander zu proben. Die Leute müssen ja alle möglichen anderen Jobs annehmen.» Schwierig, so eine Produktion herauszubringen, «die an wirklich großen Häusern» gespielt wird. «Da können wir mit der Unterstützung, die wir kriegen, nicht mithalten. Mit der können wir zwar produzieren, aber übers Jahr die Gruppe halten geht nicht. Im französischen, belgischen oder holländischen System sind die Budgets der Kompanien um ein Vielfaches höher.» Es sei in unserem gegenwärtigen, von stagnierenden Kulturförderbudgets für die freie Szene geprägten System fast unmöglich, über die Jahre hinweg mit Profis zu arbeiten und die entsprechend zu zahlen. Die finanziellen Mittel müssten angehoben werden, um eine Art Mindestlohn – auch in der freien Szene – zahlen zu können. Ich glaube, die neue Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler ist da schon viel offener als ihr Vorgänger.» Haring sieht allerdings auch den Bund gefordert, wenn man «über das soziale Netz und fehlende Ausbildungsmöglichkeiten redet». Wenn man von der Stadt keine Subvention bekomme, fördere der Bund auch nichts mehr. Tatsächlich sind für eine Förderung durch das Bundeskanzleramt «ausreichende Finanzierungsvoraussetzungen» von anderer Seite nötig.
Von sozialen Unterstützungsmodellen im Fall von Krankheit oder kurzzeitiger Arbeitslosigkeit, wie sie andere Länder kennen, in denen Haring mit Liquid Loft tourt, «haben wir in Österreich noch nie etwas gehört für Künstler_innen.» Über die Jahre mache das die Arbeit schon sehr schwer. «Es tut mir von Herzen leid zu sehen, dass wir hier eine international hoch anerkannte Tanzszene haben und die Tänzer_innen noch immer diese Probleme haben.» Gut ausgebildete Profis müssen sich zum Teil überlegen, wie sie produzieren können. Und wenn, dann ginge nur ein Solo oder ein Duo. «In Österreich wird die Mindestsicherung und das Arbeitslosengeld diskutiert und wir sind draufgekommen, dass, egal wie bekannt oder erfolgreich man ist, das Einkommen der Künstler_innen teilweise sogar unter diesem Niveau ist.»
Prekärer Balanceakt.
Steffi Wiesers Situation sieht so aus: «Als Performerin und Choreografin, mit einer fünfjährigen Tochter lebe ich prekär und balancierend, als Frau zwischen Tanz und Performance. Dazu hatte ich bei einem Bühnenauftritt einen Kreuzbandriss. Management und Konzeptentwicklung, Mutter sein und Selbständigkeit – manchmal würde ich diesen Zustand eintauschen. Meistens jedoch ist der Reiz der Selbständigkeit, der Diversität und des Balancierens größer.»
Als Mutter eines Kindes beginnt sie jetzt erst wieder eigene Stücke zu machen, nachdem sie zuletzt meist mit Kompanien gearbeitet hat, etwa mit SIGNA (DK/AT) und Saint Genet (USA/AT), bei den Wiener Festwochen. Im Dschungel war sie in der mit dem Stella Award ausgezeichneten makemake Produktion (AT) Von den wilden Frauen zu sehen. «Förderungen sind notwendig, um arbeiten zu können», sagt Wieser, «wenn man eine Absage bekommt, kann ich als Künstlerin dann einfach sagen, ich mache mal nichts? Dann geht mein Netzwerk verloren, ich bin als Künstlerin nicht mehr sichtbar. Da ist man schnell in der Ausbeutung, auch ohne Geld produzieren zu müssen, um sich weiterentwickeln zu können.» Als junge Künstlerin «macht man alles, nimmt für 50 Euro ein Solo an». Sie selbst stand schon vor dem Dilemma, ob sie einen sicheren Job aufgeben sollte, den sie als zweites Standbein aufgebaut hatte, um sich finanziell abzusichern: «Um unabhängig zu bleiben und künstlerisch zu arbeiten, muss man lernen, mehrere Standbeine aufzubauen und flexibel bleiben.»
Internationaler Erfolg zählt wenig.
Philippe Riéra und Caroline Madl, die mit Superamas seit zwanzig Jahren europäische Festivals bespielen und für ihre großen Bühnenproduktionen eine stattliche Anzahl von Koproduktionen aus verschiedenen Ländern aufstellen, klingen recht ernüchtert: «Egal welchen Status man hat, es bleibt total prekär. Binnen zweier Monate kann man vom Shootingstar quasi zum Auslaufmodell mutieren. Trotz internationalem Erfolg, der hierzulande nichts zu zählen scheint, ebenso wenig, dass wir mehr als zwanzig österreichische Künstler_innen in internationalen Produktionen gezeigt haben.» Sie beklagen, dass Kompanien herangezogen werden, die man wieder sterben lasse. Große Bühnenproduktionen würden, was das nötige Budget anlangt, verglichen mit kleinen Shows, die flexibler auf verschiedene Räume adaptiert werden könnten. Nicht mal die Expertise weiterzugeben, wenn man international gearbeitet habe, würde für notwendig erachtet: «Sogar unser Nachwuchsförderungsprogramm Huggy Bears wurde uns abgedreht, für das wir nun anderweitig Finanzierung suchen müssen. Man wird von der Förderung abgeschnitten und es ist, als wäre man nie dagewesen.» Es gebe für österreichische Performanceschaffende nichts, wohin man sich entwickeln könne, das sei wenig nachhaltig. In anderen Ländern wäre es möglich, Theater zu leiten oder in der Lehre tätig zu werden, für eine der wenigen österreichischen Kompanien, mit denen ein größeres Haus gefüllt werden könne.
Hoffnung auf Fair Pay.
Der Konzeptförderungsbeirat konstatierte im Frühjahr 2017, dass es keine festen österreichischen Tanzkompanien gäbe. Anhand der Antworten der befragten Künstler_innen lässt sich erahnen, warum das so ist: Eine Kompanie zusammenzuhalten, sei mit den stagnierenden Budgets für die freie Szene äußerst schwierig. Deshalb richten, das ist Konsens unter den Befragten, die Kunstschaffenden in Zeiten stagnierender Kulturbudgets ihre Hoffnung nun vereint auf die neue Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler. «Der Ruf nach mehr Geld ist immer da, wenngleich er berechtigt ist», kommentiert Kaup-Hasler auf Anfrage, um dann aufzuzählen, was an punktueller und struktureller Förderung geplant ist: «Gerade sind wir dabei, in den Bezirken sogenannte Stadtlabore zu etablieren, über die zusätzliche Mittel für neue Projekte von freien Kulturschaffenden zur Verfügung stehen. Ebenso haben wir eine signifikante Erhöhung der Rahmenbeträge für zeitgenössische Musik erwirkt, sowie zusätzlich eine neue Club-Förderschiene eigerichtet. Allein die Förderapparate aufzustocken ist jedoch nicht ausreichend, das ist uns bewusst.» Im April wird darum ein internationales Symposium in Wien stattfinden, das Arbeitsbedingungen im Kunst- und Kulturbereich zum Thema hat. Daraus soll eine – «hoffentlich bundesweite», so die Stadträtin – Initiative unter dem Arbeitstitel Fair Pay in Kunst und Kultur entstehen. Berechtigter Grund zur Hoffnung? Der AUGUSTIN wird berichten.