Standlersterbentun & lassen

Krampustag am Meidlinger Markt

Wem nützt die neue Marktordnung? Wie die Bauernmarkt-Kundin Christa Neubauer unversehens in die Stadtpolitik hineinstolperte, obwohl sie eigentlich nur einkaufen können will wie bisher.

Angefangen hat es damit, dass ich an einem Freitag nach Alterlaa pilgerte, weil da immer ein paar Bauern am Platz vor der Bank ihre Produkte feilbieten. An jenem Freitag waren die Mienen der Burschen aus dem Waldviertel düster. Unterschriftenlisten lagen auf. Nach einer kurzen Information – der Standort Alterlaa ist gefährdet, weil die neue Marktordnung Kernöffnungszeiten vorschreibt, was wiederum die Waldviertler betrifft, weil sie an einem anderen Wiener Standort einen fixen Stand haben – wurde mir bewusst, wie sehr die neue Marktordnung an den Kund_innen vorbeioperiert. Natürlich habe ich auf der Liste unterschrieben. Und meinem Bezirksvorsteher geschrieben mit der Frage, wie er die Sache sieht und ob er im konkreten Fall helfen kann. Die Antwort kam prompt: Er unterstütze mein Anliegen, dass die Wiener_innen weiterhin bei ihren Bauern einkaufen können, weil damit die Nahversorgung unterstützt werde. Im konkreten Fall werde er auch gerne helfen, eine individuelle Lösung zu finden. Vor einer Rückmeldung an die Bezirksvorstehung habe ich mit dem Inhaber meines Lieblingsstandls telefoniert. Thomas Anderl hat mich dann eingebremst und mir von einer geplanten Pressekonferenz erzählt, die passenderweise am Krampustag auf dem Meidlinger Markt stattfinden sollte.

Zeit hatte ich, also wanderte ich hin. Dort sah ich erstmal alles rosarot, weil die NEOS Veranstalter der Pressekonferenz waren. Das mediale Interesse war enden wollend, anwesend waren neben den NEOS mehrere Standler_innen von unterschiedlichen Märkten sowie ein Vertreter des Vereins Zukunft Wiener Mäkte. Die Standler_innen erzählten das, was inzwischen sogar die Mainstream-Medien berichtet hatten: dass die Stadtregierung die Wiener Märkte mit Einkaufszentren vergleicht, wo auch der Besitzer (hier also die Stadt Wien) die Öffnungszeiten definieren kann. Dass die Gebühren teils kräftig erhöht wurden. Dass Schwierigkeiten bei der Weitergabe eines Marktstands zu befürchten sind. Und dass die einseitigen Vertragsänderungen, welche die neue Marktordnung impliziert, teilweise im rechtsfreien Raum stattfinden. Die wesentlichen Inhalte wurden wie immer nach der Veranstaltung besprochen, als Kamera und Mikrofone wieder abgebaut und die Medienvertreter_innen verschwunden waren.

Da nämlich warf ich die Frage in die Runde: Wem nützt die neue Marktordnung?

Den meisten Standler_innen nicht. Sie müssen mehr zahlen und Öffnungszeiten einhalten, die für sie nicht machbar sind – oder nicht sinnvoll: Wenn klar ist, dass um die Mittagszeit niemand einkaufen kommt, muss auch der Stand nicht geöffnet sein, nur um der Vorschrift zu genügen. Den Marktaufseher_innen auch nicht, hörte ich im Gespräch. Die kennen «ihre» Standler_innen großteils jahrelang und fühlen sich nicht gut dabei, plötzlich Anzeigen auszustellen wegen Marktordnungsübertretungen, die bis vor kurzem noch keine waren. Uns Marktbesucher_innen schon gar nicht. Wir kennen die Öffnungszeiten von unseren Lieblingsstandln. Wir lassen uns lieber im persönlichen Gespräch hochwertige Produkte empfehlen als in standardisierten Einkaufszentren wortlos in Regale mit Industrieprodukten zu greifen. Deshalb haben meine Waldviertler auch innerhalb kürzester Zeit mehrere tausend Unterschriften gesammelt. Wem also nützt die neue Marktordnung? Vordergründig der Stadt Wien, die nun höhere Gebühren und mehr Strafzahlungen einnimmt. Hinter vorgehaltener Hand sprechen die Anwesenden allerdings davon, dass viele Markt-Standorte auf großen Grundstücken stehen. Wenn die Märkte «ausgehungert» werden, werden diese Grundstücke frei und können gewinnbringend veräußert werden. Damit könnte die Stadtregierung weit mehr Geld lukrieren. Davon abgesehen würde der benachbarte Supermarkt den auf rund fünfzig Millionen Euro geschätzten Jahresumsatz des Meidlinger Markts auch gerne einstreichen. Oder ein Immobilienentwickler, der die Stände alle zu günstigen Bedingungen aufkauft und sie dann als Genossenschaft betreibt – was die Standler_innen natürlich auch selbst initiieren könnten. Falls die Stadtregierung dazu ihren Sanktus gibt.

Einer der rührigsten Standler wurde in eine Expert_innenkommission eingeladen. Nach dem ersten E-Mail, so konnte er berichten, hat er allerdings nie mehr von den Expert_innen gehört. Am meisten beunruhigt mich die Tatsache, dass wir Bürger_innen der Stadt Wien diese Entwicklung einfach hinnehmen. «Kannst eh nix machen!» – «War eh schon immer so.» Ich möchte nicht in zehn oder fünfzehn Jahren unbeeindruckt an einem neuen Wohnbau-Projekt (oder, noch schlimmer, an einem Bürotempel) am Meidlinger Platz vorbeispazieren und mich nostalgisch erinnern: ‹Ja ja, damals, als hier noch die Marktstandler_innen standen›. Kann sich bitte jemand um dieses Thema kümmern?

Translate »