Ein Buch über Albanien öffnet die Tür in den Balkanraum
Allein das Titelfoto des Bild- und Textbandes Albania’s 90. Photographs and Narratives / Fotografi dhe Tregime sollte Balkan-affinen Menschen Kaufargument genug sein. Es zeigt nicht etwa den Doppeladler, das Wappentier Albaniens, sondern zwei Löwen in wohl kaum artgerechter Haltung im Zoo von Tirana. Ein besseres Symbolbild für die Transition, den Übergang von der Diktatur zum Raubtierkapitalismus (Stichwort «Lotterieaufstand»), Verzeihung, zur Demokratie in den 1990er-Jahren wäre nur schwer vorstellbar.
Aufgenommen wurde es 1996 vom heute am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes tätigen Historiker Robert Pichler. Im Zuge einer Uni-Exkursion bereiste er Albanien zum ersten Mal 1989, kehrte oftmals wieder und lernte auch Albanisch. Diesen klugen Schritt des Fremden belohnten insbesondere die Bewohner_innen der Bergregionen und ließen ihn an ihrem Alltag teilhaben. Aus diesem Zusammenspiel resultierten faszinierende Aufnahmen an der Schnittstelle von Kunst- und Dokumentationsstil.
Umfassende Hintergrundinformationen zur Lage der Nation während der Transition liefern zahlreiche Kurztexte von Robert Pichler und der Mitherausgeberin Edit Pula sowie Textspenden aus beider Umfeld. Kurz gefasst, Albania’s 90 kann das Reisefieber enorm erhöhen, doch Vorsicht, denn die Tourismusindustrie zündete den Turbo: In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Urlaubsgäste verfünffacht! An der albanischen Rivieria ist der Begriff Overtourism längst kein Fremdwort mehr, und mit dem 2018 gestarteten Projekt 100 Dörfer soll auch noch der Agrotourismus auf staubfrei gemachten Bergstraßen hochgefahren werden.
Daher sei der Balkanstaat nur in Form dieses Buches uneingeschränkt empfohlen. Sie können es auch bedenkenlos unter den Christbaum legen, denn das 1967 in Albanien ausgerufene Religionsverbot wurde 1990 aufgehoben.
Robert Pichler & Edit Pula:
Albania’s 90
in engl. & alban. Sprache
bahoe books 2020
224 Seiten, 24 Euro
