Statt zerstören vergoldentun & lassen

Ein Wiener Bahnhof in den letzten Zügen

SBHF.jpgWarum wurde der Südbahnhof immer so schnell zu einem unbeliebten Ort, dass er in seiner Geschichte dreimal komplett abgerissen wurde? War der Süden früher Ort der Sehnsucht, so wird er heute ähnlich dem Osten mit Flüchtlingen, Roma, Wanderarbeitern und Armut verbunden. Was folgt: ein riesiger Haupt- oder Zentralbahnhof mit integrierter Shopping-Meile.

Der Bahnhof gilt als einer der Orte der Moderne schlechthin. Während das Thema Ruine oder das Thema der Schönheit und des Heroischen des Verfalls schon in der Romantik behandelt wurden. Im Südbahnhof wird man momentan zur historischen Auseinandersetzung mit dem Fortschrittsglauben der Moderne, nach dem alles immer schöner und besser würde, angeregt. Was ist aus dem utopischen Gedanken geworden?, fragt Elisabeth Fritz, Kunstvermittlerin der Ausstellung Die Moderne als Ruine. Eine Archäologie der Gegenwart in der Generali Foundation, bei ihrer Führung im Südbahnhof: Er bröckelt schon.

Während Teile des Westbahnhofs unter Denkmalschutz stehen und die große Eingangshalle erhalten bleibt, wird der Südbahnhof gerade zum dritten Mal in seiner Geschichte komplett abgerissen. Obwohl seine Halle ähnlich bewahrenswert wäre. Ob es im Süden Wiens einfach mehr Tauben gibt als im Westen? Durch die mit dichten, schwarzen Gittern verunstaltete Glasdecke des Südbahnhofs dringt etwas Abendsonne, doch bei ihrer Errichtung war die Halle lichtdurchflutet, man konnte den Himmel sehen, die Helligkeit folgte dem Tagesablauf. Staubige Gitter hängen seitlich vor den Oberflächenverkleidungen, aber auch vor den hohen Glasfenstern an den Stirnseiten des Bahnhofs. Warum wurde hier bloß alles der Verwahrlosung und dem Verfall preisgegeben?

Mit Wehmut denke ich an den Hamburger Bahnhof. Museum für Gegenwart in Berlin, in dem zeitgenössische Kunst gezeigt wird. In der Eingangshalle befindet sich das riesige Kunstwerk Volkszählung von Anselm Kiefer, eine enorme Bibliothek aus Büchern aus Blei, die das kollektive Gedächtnis symbolisieren soll. Aber auch Werke aus Basaltsteinen von Joseph Beuys fanden ihren Platz. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich die Halle mit der außergewöhnlichen Raumhöhe vom Museumsdirektor Edelbert Köb bespielen lassen, der angeblich gerade einen neuen Job sucht. Von dem dem Wiener Südbahnhof gegenüber gelegenen 20er Haus, lange Zeit Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, sind momentan nur noch die Stahlbauträger übrig. Das wunderschöne Glas-Haus, in dem Valie Export in der Ausstellung Split:Reality einen Durchbruch nach außen errichtete, ist völlig verschwunden. Dahinter liegt das rote Arsenal, in dem sich Ateliers der Angewandten befinden das wegen dem Bahnhof an dieser Stelle erreichtet wurde, da Truppen in den Süden transportiert werden sollten.

Zeitmaschine nach Triest

Der Südbahnhof galt bei seiner Errichtung als Ort der Sehnsucht, als Zeitmaschine nach Triest. Er sollte italienisches Flair vermitteln und galt immer als der Fernbahnhof Wiens. Abends promenierten die Menschen schön angezogen in der Halle. Elisabeth Fritz weist auf die Sockelzone aus rotem, geriffeltem oder poliertem Marmor hin, die hellgrünen oder gelben Mosaikwände, den Steinboden in unterschiedlichen Mustern im Terazzostil. Bis 1860 war hier sogar die Passkontrolle beim Passieren des so genannten Linienamtes. Der Südbahnhof ist vielfältig detailliert und mit Sichtachsen auf weite Linien und mit vielen Blickwinkeln konzipiert. Es gibt viele Raum-in-Raum-Konzepte, wie die Warteräume, von denen aus man rundherum Blick hat. Das ist das Schöne daran.

Triest stand für den maritimen Transport, aber auch für Bildungsreisen mit Dampfschiffen oder Gesundheitsreisen an die Riviera. Triest war aber nur eine Zwischenstation der Sehnsucht. Die Endstation war Nordafrika oder Indien, steht im Katalog Großer Bahnhof: Wien und die weite Welt des Wien Museums. Jedenfalls: Als 1918, mit dem Ende der Monarchie, die ehedem österreichischen Adriabäder plötzlich im Ausland lagen, blieb vom Projektionsraum Süden endgültig nur noch Melancholie. Architekt Wilhelm Flattich baute auch die Bahnhöfe in Triest und Graz, der von ihm errichtete eleganteste Bahnhof Wiens wurde 1959 komplett abgerissen.

Bahnhofshallen sind unter den letzten öffentlichen Räumen, die für Menschen aller Schichten zugänglich sind: Unter den Reisenden fällt niemand negativ auf und darf jeder sich aufhalten und bleiben. Ein Ort der Vielfalt. Hier gab es im späten 19. Jahrhundert die Soforthilfe für gefährdete Mädchen der Bahnhofsmission, für junge Frauen aus den Kronländern, die Dienstmädchen werden wollten und nicht Deutsch konnten. Schutzdamen nahmen die jungen Frauen in Empfang und brachten sie in das Mädchenasyl.

Bahnhöfe werden mit gewissen sozialen Schichten verbunden, mit Obdachlosigkeit und Armut, sagt Elisabeth Fritz. Dass der Südbahnhof schnell als unliebsamer Ort gilt, als ungeliebtes Gebäude, zieht sich durch. Er wurde schon 1870 als zu klein und wenig repräsentativ deklariert und abgerissen. Migration ist wohl auch ein wichtiger Punkt. Man kann nur Vermutungen anstellen, warum die U-Bahn den Südbahnhof verfehlte. Die Entscheidung von 1968 im Gemeinderat wurde nicht einmal begründet. Heutzutage wuselt der Bahnhof auf allen Gleisen mit Menschen aller Hautfarben. Die Flüchtlinge während des Bosnienkriegs erreichten hier einen vermeintlich sicheren Hafen. Einmal lag eine bosnische Frau stundenlang in Ohnmacht im Südbahnhof, nachdem sie ihren Peiniger, einen in Wien lebenden Söldner erkannt hatte.

Man würde sich eine würdigere Behandlung des Südbahnhofs z. B. durch den Künstler Gordon Matta-Clark, der soziale Fragen in der Architektur thematisiert, wünschen. Beim Pariser Centre Pompidou riss Matta-Clark in der Arbeitsperformance Cuttings in ein dem Verfall preisgegebenen Nachbarhaus ein Riesenloch, durch das Passanten die Baustelle zumindest beobachten konnten. Wo ist ein Viktor Rogy, der die Heiligengeistplatzhalle in Klagenfurt unter dem Motto statt zerstören vergolden vor dem Abriss bewahren wollte?

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