Steine statt Blumenvorstadt

Die Renovierungsarbeiten am jüdischen Friedhof in der Seegasse dauern an

Versteckt zwischen hohen Häusern, von der Straße nicht einsehbar, liegt in der Rossau, einem Teil des neunten Wiener Gemeindebezirks, ein wahres Juwel: der älteste erhaltene jüdische Friedhof der Stadt. Maria Gornikiewicz (Text und Fotos) hat ihn trotz oder wegen der Renovierung aufgesucht.

Wann genau der Gräberhain errichtet wurde, ist nicht überliefert. Man spricht vom Jahr 1320. Der älteste bisher gefundene Grabstein einer Frau namens Ester trägt die Jahreszahl 1582. Aber es sind an diesem Platz schon viel früher Tote bestattet worden, deren Grabsteine allmählich unter der Erde gefunden werden.

Man muss bedenken, dass die Gegend hier 1529 zur Gänze von den Türken zerstört worden ist. Dabei mögen auch Grabsteine oder andere Hinweise auf diesen Friedhof verloren gegangen sein. Fest steht jedenfalls, dass bis zum Jahr 1783 hier Mitglieder der jüdischen Gemeinde bestattet wurden. In diesem Jahr ließ Joseph II. alle Friedhöfe innerhalb des Linienwalls aus hygienischen Gründen schließen. Der jüdischen Gemeinde wurde die Errichtung eines neuen Friedhofs in Währing gestattet. Als die Nazis beschlossen, den Rossauer Friedhof aufzulassen, mussten jüdische Zwangsarbeiter einen Teil der Grabsteine auf dem Zentralfriedhof vergraben. In den 1980er Jahren wiederentdeckt, wurden diese an ihrem ursprünglichen Ort zurückgeführt.

Die Monografie über den Friedhof von Bernhard Wachstein, Bibliotheksdirektor der Kultusgemeinde in der Zwischenkriegszeit, hat die Rekonstruktion ermöglicht. An der Längsseite des 2258 Quadratmeter großen Areals wurden Steine, deren ehemaliger Standort nicht definiert werden konnte, in Mauernischen aufgestellt. Steine können Geschichten erzählen, von einem eineinhalb Jahre alten Kind oder zwei unverheirateten Schwestern, die hier beigesetzt worden sind. Nicht alle Grabsteine haben die Wirren der Zeit in einem Stück überstanden. Und da ist zum Beispiel die Geschichte von Samson Wertheimer, einem bekannten Politiker und reichen Geschäftsmann. Er hatte auf diesem Friedhof ein kunstvolles Grabmal, das unter den Nazis verschwunden ist. Man hat es in Israel nachgebaut und hier aufgestellt. Wer weiß, ob seine originale Gruft nicht bei den nunmehrigen Renovierungen wieder auftaucht. Es besteht auch die vage Hoffnung, dass die schweren Monumente von den Oppenheims wieder auftauchen. Deshalb Fundamentgrabungen, bei denen auch Kastengräber auftauchen, zwanzig sind schon gefunden worden. Nach diesen Erfolgen hat man die Grube wieder geschlossen. Auch die Friedhofsmauer ist schon komplett restauriert und 50 Grabsteine ebenso.

Man hat ja schon vor etlichen Jahren zaghaft mit der Renovierung begonnen und wieder aufhören müssen, weil das zugesagte Geld ausgeblieben ist. Also wird es wohl noch fünf bis sieben Jahre dauern, bis man das Projekt abschließen wird können. So lauten die Prognosen. Weil der Kultusgemeinde nur beschränkte Mittel zur Verfügung stehen, kann jedes Jahr nur eine gewisse Zahl von Steinen auf Vorderfrau gebracht werden. Aber die sind dann strahlend weiß und schön, was man heute schon bewundern kann. Bei den gelegentlichen Arbeiten sind jeweils eine Archäologin und ein Rabbiner anwesend. Viele Steine wurden einstens umgelegt und mit Erde bedeckt. Sie zu finden und wieder aufzurichten, ist ein Geschenk. Nur der berühmteste und am häufigsten abgebildete Stein, eine Fischskulptur, war wohl nie ein Grabstein. Man vermutet, dass er der Wasserspeier eines Brunnens für die rituelle Händewaschung gewesen ist. Klar ist, dass man auf jüdische Gräber keine Blumen, sondern Steine legt.

Wer sich den Anblick dieser Raritäten gönnen will und sich von den Fortschritten der Renovierungen überzeugen möchte, kann dies zwischen 8 und 17 Uhr in der Seegasse 11, im Pensionisten-Wohnhaus der «Häuser zum Leben».

Vom Eingang geht man an der Rezeption vorbei und durch eine Tür auf die Terrasse, wo die Senior_innen gerne sitzen. Dort hat man alles vor Augen. Nur der Stiegenabgang ist gesperrt, damit die alten Leute nicht über Erdhügel, Zelte oder Grabsteine stolpern. Übrigens ist beim Mandelbaum-Verlag das Buch einer Pensionärin des Hauses über diesen Friedhof und die Geschichte der Juden in Wien erschienen: «Das steinerne Archiv» der heute 80-jährigen Traude Veran.

Info:

Website von Traude Veran:

www.letternfilter.at

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