Stell dir vor, es sind Wahlen, und wir lassen uns nicht spalten…Artistin

Kino: die Wiener_innen & die FPÖ

Wählen Sie rechts? Für ihren Film «Inland» hat Ulli Gladik FPÖ-Wähler_innen vor die Kamera gebeten. Wieso Begegnungen im Beisl Gräben überwinden helfen, was die SPÖ falsch macht und warum so viel über «Ausländer» geredet wird, obwohl es ganz woanders wehtut, darüber hat Lisa Bolyos mit der Filmemacherin gesprochen. Foto: Tom Lamm

Reportagen, die sich über FPÖ-Wähler_innen lustig machen, gibt es zur Genüge. Du nimmst deine Gesprächspartner_innen hingegen sehr ernst. Was interessiert dich an Leuten, die rechts wählen?

Ich möchte besser verstehen, warum jemand die FPÖ wählt. Vordergründig geht es immer um Ausländerfeindlichkeit, aber was steckt dahinter? Vor der letzten Wien-Wahl habe ich für den AUGUSTIN eine Reportage am Leberberg im 11. Bezirk gemacht, dem Sprengel mit den meisten FPÖ-Wähler_innen. Die Gespräche waren so interessant, dass ich am Thema drangeblieben bin. Bei der Bundespräsidentschaftswahl habe ich dann den Kampf von Van-der-Bellen- gegen Hofer-Anhänger_innen verfolgt und das Gefühl gehabt, dass sich das Land massiv spaltet. Es gibt nur noch ein Thema: Flucht und Migration. Über alles andere wird kaum mehr geredet.

Und worüber sollten wir reden?

Im unteren Einkommensdrittel gibt es seit den 1990er-Jahren keine Lohnzuwächse mehr, die Kaufkraft sinkt also, während die Preise steigen. Aber meinen Gesprächspartner_innen ist es viel leichter gefallen, sich über «Ausländer» aufzuregen als über die eigenen Arbeitsverhältnisse oder die zu hohe Miete. Und genau darüber müssen wir sprechen: Globalisierung, Arbeitsmarkt, Immobilienwirtschaft, eine sich rasant verändernde Gesellschaft, in der viele Menschen emotional nicht mehr mitkommen. Und über den Verlust der SPÖ als Partei, mit der man sich einmal identifiziert hat, wenn man einer armen, einer nicht privilegierten Gesellschaftsschicht angehört hat.

Über ihre Arbeitsverhältnisse reden die Protagonist_innen von Inland nur sehr verhalten.

Viele haben mir gesagt: Ich kann gern vor der Kamera über Migration reden, aber ich werde nicht oder nur sehr eingeschränkt über meine Arbeitsverhältnisse reden, sonst verliere ich den Job. So konnte ich Themen, die in der Recherche aufgetaucht sind, im Film nicht abbilden. Ältere Männer haben mir zum Beispiel von dem Gefühl erzählt, am Arbeitsplatz nicht mehr gebraucht zu werden, weil sie 50 plus sind. Da kommt ein neues Management, das sich nicht für ihre Erfahrungen interessiert, ihre Leistung nicht anerkennt, Tempo, Druck und Kontrolle steigen, sie fürchten, Fehler zu machen und gekündigt zu werden. Wer nachfolgt, ist in der Erzählung ein jüngerer Migrant, weniger qualifiziert, mit schlechterem Vertrag und niedrigerem Lohn, der nicht weiß, wo die Arbeiterkammer ist und dem Chef also billiger kommt. Die Jüngeren wiederum haben von massiv prekarisierten Arbeitsverhältnissen erzählt, Anstellungen über Leihfirmen zu haarsträubenden Bedingungen, mit gefälschten Stundenlisten, Lohnbetrug und, und, und.

Ein möglicher Schluss wäre, dass man sich gemeinsam wehren muss, mit den jüngeren, migrantischen, prekarisierten Kolleg_innen.

Die Annahme ist meistens, das geht nicht, weil die auf ihren Job angewiesen sind, hier mehr verdienen als im Heimatland und darum bereit sind, zu allen Bedingungen zu arbeiten.

Dein Protagonist Christian sagt aber doch: Die Person, die es schafft, alle über die Grenzen der Herkunft weg gemeinsam zu organisieren, damit sie für höhere Löhne kämpfen, wird berühmter als Christoph Columbus.

Ja, nur denkt er dabei weniger an sich selber als an einen Anführer, eine charismatische Person, die das macht.

An einen Gewerkschafter?

Genau, und er ist sehr enttäuscht von der Gewerkschaft. Er arbeitet bei einem Betrieb der Stadt Wien, der Bürgermeister ist ein Roter und die Gewerkschaft ist rot – sein Kommentar dazu: «A Kra hackt da andern ka Aug aus.»
Da hat er ja durchaus Recht. Mir sind bei der Recherche viele Leute begegnet, die gesagt haben: Ich arbeite bei der Stadt Wien und darf nichts sagen, aber wählen tu ich Blau, weil ich total angepisst bin. Die SPÖ der Stadt Wien wird als sehr bevormundend erlebt: Da gibt’s die Parteibonzen, die mauscheln und schanzen sich Jobs zu, und auf uns haben sie vergessen.

Begegnungen jenseits der Spaltung ist der Untertitel deines Filmes und auch die Methode, mit der du arbeitest. Politiker_innen tun sich mit Gesprächen «über die Spaltung hinweg» offensichtlich sehr schwer. Gib doch mal ein paar Tipps, wie man das macht.

Ich habe Menschen auf der Straße angequatscht, bin in entsprechende Beisl gegangen und habe über Facebook Kontakte hergestellt. So habe ich über hundert lange Gespräche geführt. Meistens ging es die erste halbe Stunde nur um Migration, und ich habe eine Weile gebraucht, um zu lernen, dass ich mich nichts aufs Dagegenreden konzentrieren darf; also habe ich angefangen nachzufragen und nachzufragen, und irgendwann sind wir eine Schicht tiefer gekommen. Dann haben mir die Leute erzählt, wie es ihnen in der Arbeit geht, in ihrem Leben, ihrer Wohnumgebung usw. Das hat mich eigentlich mehr interessiert.
Aber natürlich habe ich auch meine Stehsätze und festgefahrenen Meinungen im Kopf und musste mich anstrengen, nicht die Obergscheite raushängen zu lassen. Und manchmal bin ich auch gescheitert: Zum Beispiel hatte ich eine sehr interessante Begegnung mit jemandem, mit dem ich gerne gedreht hätte. Aber eines Tages im Schanigarten hat er begonnen, mir Chemtrails zu erklären, und statt zuzuhören habe ich mich über ihn lustig gemacht. Da war’s natürlich vorbei mit dem Vertrauen.

Wie schauen deine Arbeitsverhältnisse bei so einem Filmdreh aus?

Prekär. Wir sind mit der U-Bahn zum Set gefahren, nicht mit dem Taxi, und ich habe selber viel Kamera gemacht, damit das Geld nicht ausgeht, bevor wir mit dem Dreh fertig sind. Mein Einkommen besteht aus Förderungen und ab und zu Vortragshonoraren. Ich komme aus, aber ich bin schon genervt von diesem prekarisierten Arbeiten. Beim nächsten Film wird das anders!

Dein Protagonist Alex wohnt in einer Einrichtung von Obdach Wien und macht ein Arbeitstraining für Langzeitarbeitslose. Mit der FPÖ wählt er eigentlich gegen seine ­eigenen Interessen.

Ihm war vor der Wahl nicht klar, dass die ÖVP-FPÖ-Regierung auch seine Sozialleistungen kürzen würde – das ist nichts, was Parteien kommunizieren. Am Ende des Films sagt er, ja, jetzt fällt es mir auf. Alex hat über das AMS mit 40 plus noch einen Lehrberuf abgeschlossen und sagt, er fühlt sich mit dieser Ausbildung wieder was wert. Für eine Politik, die solche Kursmaßnahmen ermöglicht, ist jeder Mensch was wert; dass es Leistungen dieser Art in Zukunft gar nicht mehr geben soll, ist den Leuten oft nicht bewusst. Christian ist das Kind von «Ziegelböhm», tschechischen Arbeiter_innen am Wienerberg. Seine kindheitlichen Diskriminierungserfahrungen versuchst du erfolglos in Solidarität mit denen umzumodeln, die heute von Rassismus betroffen sind. Er ist als Kind geschlagen worden, wenn er in der Schule Tschechisch geredet hat, und heute dürfen die Kinder am Pausenhof Türkisch reden – das findet er nicht gerecht. Nein, der Link ist mir nicht gelungen, da sind die Gräben des Misstrauens zu tief.

Lassen sich diese Gräben überwinden?

Im Gespräch mit Christian sage ich: Die einen Österreicher sind gegen die Ausländer und die anderen Österreicher sind gegen die Österreicher, die gegen die Ausländer sind. So sind alle miteinander beschäftigt und kommen nie zu der Erkenntnis, dass wir eigentlich dieselben Probleme haben – prekäre Arbeitsverhältnisse, zu hohe Mieten, Stress, zu wenig Freizeit. Die Soziologin Arlie Russell Hochschild schreibt in ihrem Buch Fremde im eigenen Land über die USA rund um die Wahl von Trump, dass es zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung eine gemeinsame Story bräuchte. Aber die lässt sich ja nicht so einfach herstellen. Man liest unterschiedliche Medien, geht an unterschiedliche Orte, pflegt unterschiedliche Kulturen, sich zu verhalten und zu sprechen – und hasst sich ­gegenseitig dafür. Wo sollen wir ein Gefühl von Solidarität hernehmen? Mein Film ist ein Schritt in diese Richtung: Wo könnte die gemeinsame Story liegen? Ich habe mich sehr wohl gefühlt in diesen Cafés, habe sehr viel menschliche Wärme und Nähe erlebt, wir hatten Spaß miteinander, und das habe ich auch abzubilden versucht. Ich mochte die Leute und sie mich, sonst hätten wir ja nicht so vertrauensvoll miteinander drehen können. Der Film ist eine Aufforderung, sich ein bisschen aus der eigenen Blase herauszubewegen.

INLAND. Begegnungen jenseits der Spaltung

«Früher haben wir alle Rot gewählt», sagt eine freundliche Frau in einer Bar in der Ottakringer Straße. «Wir haben einen Hausmeisterposten gekriegt, eine Wohnung, und wir haben das Biachl ghabt, das rote.» Heute wählt sie Blau. Ulli Gladiks Dokumentarfilm Inland. Begegnungen jenseits der Spaltung befragt FPÖ-Wähler_innen nach ihren Wahlmotiven. Zum Beispiel Christian, der bei der Stadt Wien arbeitet und genug hat von «Politikern, die nur an der Futterschüssel sitzen wollen». Oder Gitti, die Kellnerin, die davon träumt, dass man auch mit Teilzeitarbeit eine angemessene Pension bekommt und sich die Mieten in Wien wieder leisten kann. Mit viel Empathie fordert Ulli Gladik ihre Gesprächsparnter_innen heraus und zeigt gemeinsam mit ihnen, wie «Begegnungen jenseits der Spaltung» zu bewerkstelligen sind. Empfehlung für Rechts-, Links- und Nichtwähler_innen, Must-See für Berufspolitiker_innen!

inland-der-film.at
Premiere: 2. Mai, 20 Uhr, Filmcasino
Filmstart:
3. Mai, Apollo Kino, Filmhaus am Spittelberg, Village 3

Im Mai lädt der AUGUSTIN gemeinsam mit der Filmemacherin zu einer Diskussionsveranstaltung «jenseits der Spaltung» ins Kino ein! Mehr Information auf facebook.com/augustin.boulevardzeitung

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