Stephen Hawking, Moritz von Kuffner, Eva GlawischnigDichter Innenteil

Herr Groll auf Reisen. 323. Folge

Herr Groll hatte seinen Freund auf den Ottakringer Friedhof beordert. Der Tod von Stephen Hawking erfordere ein scharfes Wort zur bleiernen Zeit und kein Ort in Wien sei dafür besser geeignet als der Platz vor der Büste des berühmten Ottakringer Philanthropen und Sternwartegründers Moritz Kuffner.

Foto: © Mario Lang

Wer glaubt, um zu sehen, sieht, was er nicht glaubt

 

Der Dozent lehnte seine italienische Rennmaschine an einen unbehauenen Marmorstein.

«Dass Ihnen der Tod von Stephen Hawking nahegeht, überrascht mich nicht. Dass Sie aus diesem Grund einen Ort des Glaubens aufsuchen, verwundert mich aber schon. Gott zum Gruß, geschätzter Groll.»

«Vor gut fünfzig Jahren disputierten der damalige Wiener Kardinal König und der angesehene Physiker Pietschmann über Wissenschaft und Religion. Guten Tag, verehrter Herr Dozent!», erwiderte Groll und setzte fort: «Im Gegensatz zu vielen streichweichen Marmeladelinken war ich immer ein Gegner des Wiener Kardinals; er hat der Welt den polnischen Papst und Österreich dessen Marien- und Missbrauchsapostel Groer, Eder und Konsorten eingebrockt. Dennoch gibt es zwei Dinge, die mich für den Kardinal einnehmen.»

«Ich höre.» Der Dozent holte ein Notizbuch aus seinem Renndress und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Von Hietzing nach Ottakring muss man steile Rampen und langgestreckte Grate überwinden, die Anstrengung entspricht einer mittelschweren Flachetappe der Tour de France.

«Der Physiker und Kosmologe Pietschmann behauptete, das Universum sei bewunderungswürdig konstruiert, es sei schwer, dabei eine steuernde Hand auszuschließen. Kardinal König antwortete schroff, er halte dafür, dass sich der Glaube nicht ins Wissen einmische, umgekehrt würde er es begrüßen, wenn das Wissen nicht in Glaubensfragen dilettieren würde.»

«Eine kluge Bemerkung», sagte der Dozent und nahm eine Eintragung vor. «Sie erwähnten zwei Vorzüge des Kardinals …»

«Aus gut informierten Quellen weiß ich, dass der Kardinal ein Anhänger des dinner cancellings war», fuhr Groll fort. «Keine Nahrungsaufnahme nach dem späten Nachmittag. Mit Ausnahme einiger Ausreißer mit Speck, Käse, Bauernbrot und dem einen oder anderen Viertel Wein – das aber regelmäßig.»

Der Dozent zog die Stirn in Falten. Groll fuhr fort.

«Hinter mir sehen Sie die Büste des Moritz von Kuffner. Ein Menschenfreund, wie ihn Ottakring seither nicht mehr gesehen hat, er förderte Spitäler, Schulen, Kindergärten und Sternwarten. Der Kosmos war ihm, der ein Herz für die Armen hatte, ein großes Anliegen. Bei Stephen Hawking verhielt es sich ähnlich. Des Geist am höchsten fliegt, des Herz bleibt bei den Menschen. Sie wissen, dass Hawking dem polnischen Papst gegenüber darauf beharrte, dass zur wissenschaftlichen Erklärung der Welt eine Gottesannahme nicht mehr notwendig sei. Der Vatikan hätte es gern gesehen, hätte man ihm die Schöpfung des Urknalls zugestanden. Doch da widersprach Hawking ebenfalls: Vor dem Urknall habe die Zeit nicht existiert, folglich könne niemand einen Startschuss gegeben haben. Man sollte sich endlich an den Gedanken gewöhnen, dass das Universum aus sich heraus entstanden sei. Freilich wolle er den Menschen ihren Glauben belassen, man könne an Gott glauben oder an fliegende Schmalzbrote. Das allein mache die Welt zu keinem schlechteren Ort.»

«Oder an integre Grün-Politikerinnen», sagte der Dozent mit einem feinen Lächeln.

«Ein Unsinn, mit Verlaub», sagte Groll. «Frau Glawischnig hat ihre Arbeitskraft zu Markt getragen und wurde von Novomatic erhört. Wer sich bei Josef Pröll, der bei Raiffeisen, und Sonja Wehsely, die bei Siemens andockte, nicht empört hat, soll bei Novomatic schweigen. Immerhin belegt die Dame die Binsenweisheit von der Käuflichkeit der Politik, auch das ist ein Beitrag zur Aufklärung, wenn auch ein kleiner.» Er holte aus dem Rollstuhlnetz eine Flasche Retzer Zweigelt und Gläser. «Auf Stephen Hawking und seine Liebe zur Schifffahrt!»

Auf Hawking trinke er gern und auf die Schifffahrt auch, erwiderte der Dozent. «Aber was Hawking mit der Schifffahrt zu tun hat, erschließt sich mir nicht.»

«Hawking sprach davon, dass die Menschheit sich um bewohnbare Himmelskörper umschauen solle, denn die Chancen, dass der blaue Planet die nächsten hundert Jahre übersteht, stünden so schlecht, dass er, der für sein Leben gern Wetten einging, auf das Überleben der Menschheit keinen Pfifferling setzen mochte. Die Flucht in die Milchstraße sei der einzige Ausweg und womit flüchtet man im Kosmos? In einem Schiff, verehrter Dozent, einem Raumschiff! Sie wissen schon: On board were the twelve: the poet, the physician, the farmer, the scientist …»* Er prostete Kuffners Büste zu. Dann nahmen die beiden einen Schluck, von dem sie hofften, dass er der Bedeutung des Augenblicks angemessen war.

*Dem Macho Donovan zufolge spielten Frauen bei der Rettung der Welt keine Rolle

Translate »