Podersdorf am See ist die größte Tourismusgemeinde am Neusiedler See: Von April bis September besuchen hunderttausende Menschen das 2000-Seelen-Dorf. Die Betriebe werden hochgefahren und alles wird getan, um die Tourist_innen zu unterhalten. Doch wenn die Saison zu Ende ist, sieht es anders aus.
TEXT & FOTOS: MARTIN SCHLUTTNER
Nebelschwaden hängen über dem Boden vom «Platz der Radchampions» in Podersdorf am See. Die Luft ist feucht. Die Bäume werden kahl, die Bänke auf den Bushaltestellen sind leer. Leer sind auch die Straßen, von Spaziergänger_innen ist keine Spur zu sehen. Es wirkt wie ein inoffizieller Lockdown, der jedes Jahr von Anfang Oktober bis April stattfindet. Der Wind heult über das leere Seegelände, und der erste Schnee fällt. Im Sommer hat man hier keinen Platz für das Badetuch gefunden.
Mitte November war der letzte Tag des traditionellen Martinilobens, an dem die Winzer_innen ihre Weinkeller für Besucher_innen öffnen. Tourist_innen waren wenige, Einheimische fast noch weniger. Typisch für das Dorf: Viele Bewohner_innen besuchen die Veranstaltungen gar nicht mehr. Warum? «Was die Leute vor der Tür haben, ist ihnen wurscht», meint Johanna Groß zynisch. Sie spielt im Musikverein und hilft im Sommer im Heurigen aus.
Geht man die Seestraße, quasi die «Hauptstraße», entlang, sieht man verlassene Heurigen und tote Clubs. Einige Jahre früher war hier Dreh- und Angelpunkt des ganzen Bezirks. Wo sich die legendäre «Tenne» befand, steht seit einigen Jahren ein Wohnkomplex. Die letzte Disco, «Tonis Martinskeller», hat vor zwei Jahren zugemacht, und man erzählt, es sollen auch hier Wohnungen hinkommen. «Teure Wohnungen für Snob-Wiener, die sich der Pöbel vom Dorf nicht leisten können soll», so in etwa spricht man über solche Projekte auf der Straße. Aber Gerüchte von Bauprojekten haben sich in der Vergangenheit mehr als einmal als falsch herausgestellt.
Trotz Pandemie konnte Podersdorf 2020 rund 379.000 Übernachtungen verbuchen, was einem Sechstel der Nächtigungen im gesamten Burgenland entspricht, und ist somit im Nordburgenland konkurrenzlos. Es konnte auch Bad Tatzmannsdorf als stärkste Tourismusgemeinde überholen. Stolz präsentiert die Tourismus und Freizeit Betriebsgesellschaft m. b. H. die Schönheit des Naturschutzgebietes auf ihrer Website und die vielen Möglichkeiten, wie man den Tag als Tourist_in gestalten kann. Die Kehrseite der Medaille sieht man als Gast nicht: Wer schon lange hier wohnt, kann dem Dorfleben beim langsamen Sterben zusehen.
Die Tourismus-Website wirbt auch mit dem breiten Sportangebot, das der See und die umliegende Region bieten. Podersdorf wurde letzten November vom Sport Business Magazin als «Sport Tourismus Region des Jahres» ausgezeichnet. Alljährlich kommen tausende Surfer_innen und Radfahrer_innen. Der Austria Triathlon, der in Podersdorf ausgetragen wird, ist mit bis zu 2.500 Teilnehmer_innen das jährlich größte Sportevent. Das beworbene Winterangebot ist dünner: Eislaufen ist bei Redaktionschluss nicht möglich, weil der See nicht zugefroren ist. Langlaufen auch nicht, es liegt kein Schnee. Die neu errichtete «Familienerlebniswelt» PODOplay, ein Spiel- und Motorikpark, öffnet erst wieder Anfang März. Für Nordic Walking muss man nicht auf den Winter warten. Selbst die Website untermauert den Widerspruch zwischen Sommer und Winter.
Nichts.
Das ist das Wort der kalten Jahreszeiten. Nichts ist auf den Straßen los, nichts hat geöffnet, nichts ist zu tun. Wie vertreibt sich die Jugend jetzt die Zeit? «Gar nicht», sagt die 19-jährige Studentin Lara Ramisch. Ihre Mutter erzählt ihr oft von den Menschenmassen aus den umliegenden Dörfern, die in ihrer Jugend auch im Dezember noch die Straßen unsicher machten. «In den Herbst- und Wintermonaten ist heute einfach nichts zu tun. Alle Betriebe schließen, man schaut anscheinend nur auf das Wohl der Touristen und nicht auf das der Bewohner.» Diese Meinung ist wiederholt zu hören. Viele Einheimische fühlen sich an zweite Stelle gerückt. Das Herunterfahren im Winter auf das Notwendigste unterstreicht dieses Gefühl.
Wilhelm (der nur mit dem Vornamen zitiert werden möchte), ein pensionierter Winzer, spricht von einer Gentrifizierung des Dorfes. Je mehr Betriebe abgerissen und je mehr Wohnungen gebaut werden, desto weniger Einheimische gibt es. «Früher haben die Betriebe das ganze Jahr über offen gehabt. Heute ist im Winter die Podersdorfer Bevölkerung allein. Die Ferienhäuser sind leer und die Leute werden älter. Deswegen rentiert sich das Geschäft nicht mehr.» Mit dem Stichtag 1. Jänner 2021 sind in Podersdorf 925 Nebenwohnsitze gemeldet gewesen – eine beträchtliche Anzahl im Verhältnis zu den 2.184 Einwohner_innen.
Leere Wirtshäuser.
Eigentlich sollte sich die Gemeinschaft über die vielen Tourist_innen freuen, schließlich bedeuten sie mehr Arbeitsplätze, vor allem in der Gastronomie und Hotellerie. Das Gegenteil ist aber der Fall. Fast jährlich sperrt ein anderer Betrieb zu. Tenne, Martinskeller, Seehoada, Elisabethschenke – nur eine Auswahl der in den letzten Jahren aufgegebenen Gastronomie-Betriebe. Aber die Nächtigungszahlen steigen kontinuierlich an, wenn man den Einbruch von rund zwölf Prozent von 2019 auf 2020 aufgrund der Pandemie ignoriert.
Ein ehemaliger Betreiber eines Heurigen, der anonym bleiben möchte, erzählt Folgendes: «Meine Kinder wollen das Ganze nicht weiterführen. Meine Frau und ich wollen auch endlich in Pension gehen. Natürlich ist das schade, aber was soll ich tun? Nur Touristen zu versorgen, ist ein Problem, das uns in spätestens zwei Jahren auf den Kopf fallen wird.» «Immer mehr Touristen, aber wer füttert die Leute? Die Gemeinde kann das Dorf vollstopfen so viel sie will, aber wenn wir voll sind, sind wir voll. Von Unterstützung kann man nicht reden», meint ein Kellner hinter vorgehaltener Hand.
Was tun?
Man kann leicht auf die Gemeindeführung mit dem Finger zeigen, aber der Grund, auf dem die (Ferien-)Wohnungen gebaut werden, ist Privateigentum. Wer es sich nicht leisten kann, muss entweder Beziehungen spielen lassen oder hat Pech gehabt. Dass man eine Tourismusgemeinde für Tourist_innen attraktiver macht, ist einleuchtend, doch vor allem die Wirt_innen fühlen sich allein gelassen. Förderungen gebe es keine und das Parteibuch bestimme, wie gut die Beziehungen sind, so der Kellner. Die Vereine gehen langsam unter, es fühlt sich niemand verantwortlich. Früher gab es viele Dorffeste, von Kirtagsmusik bis zum Windmühlenfest. Diese haben sich außerhalb der Hauptsaison abgespielt. «Da kann die Gemeinde sehr wohl etwas dafür, wenn man die Vereine nicht ausreichend fördert und alle Veranstaltungen sterben lässt», so der Ex-Heurigenbetreiber.
«Alles stagniert, und man wartet nur mehr darauf, dass der Sommer wieder beginnt. Wer studiert, zieht weg und kommt wahrscheinlich nicht mehr wieder. Die Wiener kommen zu uns, und wir kommen nach Wien», sagt Lara Ramisch. Mit dem Sommer kommt das Leben nach Podersdorf zurück. «Da bin ich wiederum gerne hier zuhause. Aber ob ich mein ganzes Leben lang fünf Monate Touristen und dann sieben Monate lang gar nichts ertragen will, das ist eine andere Frage.»