Stiller Arbeitskampftun & lassen

Illustration: © Bernd Pegritz

Es gibt einen neuen, alten Trend in der Arbeitswelt: «quiet quitting» oder «Dienst nach Vorschrift». Warum lassen es immer mehr Menschen im Job lieber ruhig angehen? Und ist das ein Anzeichen für eine tiefergehende Revolte?

Im vom Regisseur Guido Chiesa 2004 erschienenen italienischen Kinofilm Lavorare con lentezza, zu Deutsch: «langsam arbeiten», graben zwei Burschen im Bologna der 1970er-Jahre im Auftrag eines lokalen Gangsters einen Tunnel zum Zweck eines zukünftigen Bankraubs. Der Auftraggeber gibt den beiden gleich zu Beginn den Rat mit auf dem Weg, es mit der Arbeitshetze bloß nicht so zu übertreiben, und lieber langsam zu arbeiten.

Innere Kündigung

20 Jahre alt ist Lavo­rare con lentezza inzwischen und längst ein Klassiker des Untergrundkinos geworden. Als der Film erstmals über die Leinwände mancher Festivals flimmerte, waren soziale Medien den allermeisten Menschen noch kein Begriff, Facebook gerade online gegangen. Heute sind junge Menschen vor allem auf TikTok unterwegs. Dort geht seit rund zwei Jahren ein Trend mit dem Hashtag «quiet quitting» viral. Der wird auf Deutsch gerne mit «Dienst nach Vorschrift» und «innere Kündigung» besetzt und mit «stille Kündigung» übersetzt. «Langsam arbeiten» würde aber genauso passen.
Etliche Millionen Menschen haben weltweit auf Kurzvideos mit dieser Bezeichnung geklickt, in denen erklärt wird, wie Menschen es «auf Arbeit» langsam angehen können, ohne sich dabei von den Vorgesetzten erwischen zu lassen. Der Job, so die dahinter stehende Idee, hat sich keine Sekunde mehr Aufwand verdient, als unbedingt nötig.
Schon längst ist das Phänomen des langsamen Arbeitens im Mainstream der Gesellschaft angekommen. Erklär-Artikel in Modezeitschriften wie Vogue widmen sich dem Phänomen ebenso, wie Analysen auf der Homepage des World Economic Forum, einer regelmäßigen Zusammenkunft von weltweiten Größen aus Politik und Wirtschaft im schweizerischen Davos. Die 1970er-Jahre waren eine Zeit, in der die Lohnarbeit von jungen Menschen massiv hinterfragt wurde und in der Streiks und Revolten über den Planeten fegten. Auch das heutige Phänomen des «quiet quitting» fällt mit einer weltweiten Zunahme sozialer Kämpfe zusammen. Steht die Lohnarbeit wieder vor einer Legitimationskrise?

Der Wandel

Glaubt man Studien und Statistiken, die auf der Homepage des World Economic Forum veröffentlicht werden, dann ist dem so. So findet sich dort eine Verlinkung zum State of the Global Workplace 2023 Report. Diese vom Meinungsforschungsinstitut Gallup weltweit durchgeführte repräsentative Umfrage befasst sich mit der Stimmungslage unter unselbstständig arbeitenden Menschen. Drei Zahlen stechen besonders hervor. So geben 23 Prozent der Befragten an, mit Spaß und Freude bei der Arbeit zu sein. 59 Prozent bekennen sich zur Praxis des Dienstes nach Vorschrift, während 18 Prozent als so genannte «loud quitters» bezeichnet werden. Während «quiet quitters» sich bemühen, ihren Arbeitsvertrag gerade noch zu erfüllen, aber keinesfalls darüber hinaus eine Leistung erbringen wollen, gehen «loud quitters» zur offenen Sabotage ihrer Lohnarbeit über. Unklar ist, ob die 15 Prozent ihre Renitenz ausschließlich individuell, oder auch kollektiv ausleben. Vielleicht eine Mischung aus beidem? International gab es in den vergangenen Jahren eine Zunahme von Arbeitskämpfen selbst in prekären Branchen und bei ex­trem gewerkschaftsfeindlichen Unternehmen wie Amazon oder Starbucks.
Insgesamt stehen somit also 77 Prozent aller Lohnabhängigen der Arbeit negativ gegenüber. In Europa beträgt diese Zahl laut Gallup sogar 87 Prozent, mit 72 Prozent aller Beschäftigten im Lager der «quiet quitters» und einem aufständischen Potenzial von 15 Prozent. Auffällig ist, dass diese Einstellung quer durch die Geschlechter und Altersgruppen fast gleich verteilt ist. Während also in vielen Medien die Rede davon ist, dass mit der heutigen Jugend eine besonders arbeitsscheue Generation heranwächst, zeigt die Statistik ein anderes Bild: Lohnarbeit wird weltweit generationen- und geschlechterübergreifend mehrheitlich als eine zu hintertreibende, und nicht sinnstiftende Tätigkeit angesehen. Woher kommt dieser Frust?
Eine, die sich hauptberuflich mit Entwicklungen in der Arbeitswelt beschäftigt, ist Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik in der Arbeiterkammer Wien. Sie sagt: «Wir sehen, dass der Druck in der Arbeitswelt massiv angestiegen ist. Die Produktivität pro Arbeitsstunde hat sich seit den 1970er-Jahren verdoppelt. Aber an der gesetzlichen Normalarbeitszeit hat sich seit fast 50 Jahren in Österreich nichts verändert.» Das bedeutet, dass seit der Zeit, in der zwei fiktive Jugendliche einen Tunnel für einen Banküberfall sehr langsam gebuddelt haben, der Arbeitsdruck im Job stark angestiegen ist. Das hat Folgen. So sagten im Jahr 2023 57 Prozent der Beschäftigten über 45 Jahre in Österreich laut einer AK-Umfrage aus, dass sie befürchten, in ihrem derzeitigen Job nicht bis zum Pensionsantritt durchzuhalten. In einem Begleittext zur Umfrage heißt es erklärend: «Besonders gering ist der Anteil derer, die es sich zutrauen, bis zur Pension durchzuhalten, in Tourismus und Gastronomie, am Bau und in der Industrie.» Auch Beschäftigte mit maximal Pflichtschulabschluss, Hilfs- und Facharbeiter:innen, sowie Beschäftigte, die Schichtdienste leisten, hätten massive Zweifel daran, ob sie es gesund bis zum Ende der Erwerbsarbeit durchstehen. Besonders interessant: Von jenen, die derart zweifeln, wünschen sich 65 Prozent eine Verringerung der Arbeitszeit, 42 Prozent ein besseres Einkommen, und 37 Prozent eine Verringerung von Stressfaktoren und psychischer Belastung.
Für Sybille Pirklbauer verbirgt sich hinter solchen Zahlen ein Wunsch nach Erholung und Ruhe. «Es gibt ein Bedürfnis nach Reduktion der Arbeitszeit», sagt sie. «Arbeitnehmer:innen wollen mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Auch Männer wollen zunehmend beide Welten zwischen Job und Familie leben. Das umzusetzen, wäre auch ein Schritt in Richtung gerechterer Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und mehr Fairness zwischen den Geschlechtern.»

Reaktion der Politik

Die österreichische Bundesregierung beantwortet das Bedürfnis nach angenehmeren Arbeitsbedingungen und -zeiten mit repressiven Androhungen. So fordert Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) eine Kürzung für Sozialleistungen, wenn, wie er es in Zeitungsinterviews im vergangenem Jahr formulierte, «Menschen freiwillig weniger arbeiten». Indem der Arbeitsminister vorschlägt, Teilzeitarbeit derart zu bestrafen, will er die Vollzeitarbeit attraktiver machen. Sybille Pirklbauer hält von solchen Ansagen nichts. Sie sieht hier ein Anzeichen dafür, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Unternehmer:innen und Lohnabhängigen verschiebt: «Viele Unternehmen spüren, dass die Zeit des Überangebots an Be­werber:innen vorbei ist. Das ist eine gute Nachricht aus Sicht der Beschäftigten.» Die vom World Economic Forum zitierte Gallup-Umfrage gibt Pirklbauer recht. 56 Prozent der Lohnabhängigen in Europa gehen derzeit davon aus, dass auf dem Arbeitsmarkt jetzt gerade ein guter Zeitpunkt zum Jobwechsel besteht.
Gleichzeitig warnt Pirklbauer aber auch vor einer vereinfachenden Debatte beim Thema Arbeitsstress und Arbeitszeitverkürzung. Ein Beispiel dafür sind die 300.000 Beschäftigten im österreichischen Handel, einer ausgeprägten Frauenbranche. Die Teilzeitquote ist im Handel überdurchschnittlich hoch. Gleichzeitig sind die Löhne vergleichsweise niedrig. Laut AK-Statistiken sind knapp über die Hälfte aller Handelsangestellten mit ihrem Einkommen «mittel bis gar nicht zufrieden». Rund ein Drittel der weiblichen und immerhin 15 Prozent der männlichen Beschäftigten im Handel sind auf finanzielle Unterstützung durch ihre Partner:innen angewiesen, um über die Runden zu kommen. Dort, wo Frauen Teilzeit arbeiten, geschieht das oft nicht freiwillig: «Fast die Hälfte der Frauen arbeitet Teilzeit, weil sie Betreuungspflichten haben. Hier braucht es einen starken Ausbau des öffentlichen Betreuungsangebots.»
Somit gibt es einerseits jene, die weniger Zeit in der Lohnarbeit verbringen möchten. Auf der anderen Seite befinden sich jene, die mit zu wenigen Arbeitsstunden am langen Arm ihrer Arbeitgeber:innen verhungern. Eine konfliktgeladene Gemengelage mit viel Reibungspotenzial für die Zukunft.

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