Stoff zum (Alp-)TräumenArtistin

Ausstellung in der Gemäldegalerie/Theatermuseum

Alraune näht alles: Menschen, Tiere, Möbel … Und jetzt auch die Hölle. Denn sie hat sich mit der berühmten Darstellung des Jüngsten Gerichts von Hieronymus Bosch beschäftigt, dem Herzstück der Gemäldegalerie der bildenden Künste Wien, die derzeit vom Theatermuseum beherbergt wird. Ruth Weismann (Text) war bei der Ausstellungseröffnung von Alraune & Bosch.

Foto: Gott sieht alles von Alraune © Alraune

Auf diesem «Flügelaltar» geht es höllisch zu: Monsterfiguren mit spitzen Zähnen, rechts unten wird ein riesiges Messer getragen, Sünder_innen werden von absurden Wesen malträtiert und ein Kopffüßler-Ei mit fischähnlichem Kopf geht auf menschlichen Beinen. Hieronymus Boschs berühmtes Triptychon Das Jüngste Gericht, das er Ende des 15. Jahrhunderts malte und das zur Sammlung der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien gehört, ist wohl eines der fantastischsten und skurrilsten Gemälde der Kunstgeschichte.

Skurril und fantastisch sind auch die Objekte und Installationen der 1952 in Tübingen als Stefanie Siebert geborenen Künstlerin Alraune: lebensgroße Kunst-Menschen, denen etwa Würste von den Ohren hängen, die Perlenzähne haben und in dichten Szenerien stehen. Bei Alraune jedoch ist nichts gemalt, sondern 3D. Und zwar alles handgenäht von der Künstlerin selbst – von der Austernzange bis zum Plattenspieler. Sie stellt «Environments» (Umgebungen) her, die wie Bühnenbilder samt Schauspieler_innen und Geschichte funktionieren. In ihrem eigenen Museum, das sie seit 2014 im deutschen Haigerloch betreibt, näht sie jährlich wechselnde Themenausstellungen, zu denen ihre Fangemeinde pilgert. 2018 läuft unter dem Titel «Alraunes Gefühl für Wurst».

Sünderin mit Witz


In Alraunes Arbeit geht es also ums Fleischliche, Haptische, Stoffliche. Was zur Thematik der Höllenqualen, in denen die Körper der Sünder_innen leiden müssen, einen Bezug herstellt und neben dem mystisch-skurrilen von Alraunes Werken der Grund für Gemäldegalerie-Direktorin Julia M. Nauhaus war, die Künstlerin für die Ausstellungsreihe Korrespondenzen einzuladen. Für diese Reihe werden die Werke zeitgenössischer Künstler_innen dem Weltgerichtstriptychon gegenübergestellt (bzw. um es herum im Raum angeordnet), um in Dialog zu treten.

Zu Alraunes Environment-Ansatz passt es eigentlich gut, dass die Gemäldegalerie derzeit im Theatermuseum zu Gast ist (weil die Akademie am Schillerplatz renoviert wird). Aber den Raum zuzustellen geht in einer Schau alter Meister schlecht, wie Nauhaus erklärt. Also brachte Alraune Objekte mit, die mit dem Weltgerichtstriptychon korrespondieren. Etwa die Bosch – Seelenwaschmaschine, mit den sieben Todsünden als Waschgängen. Genäht, aus silbernem Stoff. «Ich wollte auf keinen Fall einfach etwas rausgreifen und sozusagen von Bosch klauen», sagt Alraune bei der Presseführung. Nur illustrieren, das wäre ihr zu wenig gewesen. Also hat sie die fantasiereichen Szenarien weitergedacht, mit Mystik, Witz (manchmal ein bisschen platt) und alltagskulturellen Anspielungen (Waschmaschine, Telefon, Filmkamera…) die religiöse Komponente des Gemäldes aus den Augen zu verlieren, trotzdem sie, wie sie erzählt, atheistisch erzogen wurde.

Die Arbeit Gott sieht alles bezieht sich formal auf das Ei mit Menschenfüßen in Boschs Gemälde. Alraune gab dem harten Ei und der harten Erzählung von Hölle in ihrem Objekt eine Weichheit, in dem sie durch die Wahl des flauschigen Stoffes das Innere des Eis, das «weiche Küken», wie sie sagt, quasi nach außen stülpte. Leben und Tod in einem. In der Mitte prangt – monstergleich – das Auge Gottes, und alles thront auf einem Eierbecher. Ist Gott ein Monster, was sieht er, oder müssen wir eher selbst unser Inneres nach außen stülpen, um Dinge zu erkennen, da es Gott ja nicht gibt?

Fragen hat sich die Künstlerin während der Beschäftigung mit dem wahnwitzigen Gemälde viele gestellt. «Ich war in der Zeit, wo ich daran gearbeitet habe, total fertig», sagt sie. Zwar gibt es noch weitere Anspielungen auf Grausamkeiten, dennoch kommt auch die Lust der Sinnlichkeit (eine Sünde?) nicht zu kurz. Weil der Künstlerin bewusst war, dass man ihre Objekte unweigerlich gerne angreifen möchte, schuf sie die Tafel der Sinne. Blutige Handschuhe zum Überstreifen, ein Wiener Schnitzel zum Streicheln und einer Überraschung für die Nase, die man wirklich selbst erleben muss.

Info:

Bosch & Alraune – Textile Höllenqualen

Bis 23. September

Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien

Zu Gast im Theatermuseum

1., Lobkowitzplatz 2

Eintritt: 9–12 Euro, Kulturpassbesitzer_innen gratis

www.akademiegalerie.at