Lokalmatador
Helmut Mitter fotografiert seit fünf Jahren mit Respekt eine genetisch bedingte Minderheit. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)Ein Mann sieht rot. Klick! Nein, nicht Charles Bronson in dem gleichnamigen Thriller, der de facto die Selbstjustiz rechtfertigt. Wir sind hier auch nicht in New York, sondern in einem kleinen Fotostudio im Süden von Wien. Wo Helmut Mitter wieder einmal eine Gruppe von Menschen mit roten Haaren zu sich bzw. vor seine Kamera bittet.
Seit fünf Jahren arbeitet der 50-jährige Wiener, der hauptberuflich Architektur, Industrie und Menschen fotografiert, an einem Projekt, mit dem ihn selbst viel Herzblut verbindet: Er porträtiert Menschen, die wie seine Frau Rafaela und seine Tochter Sophia aufgrund ihrer Haarfarbe seit Menschengedenken in der Minderheit sind.
Man schätzt, dass nur knapp zwei Prozent der Wiener_innen rothaarig sind. Deutlich mehr «ginger people» leben in Schottland, wo immerhin jede_r Achte auf dem Kopf ein_e Rote_r ist. Genetiker_innen führen die rote Farbe übrigens auf eine kleine Mutation auf dem Chromosom 16 zurück. Diese soll sich vor rund 50.000 Jahren vollzogen haben.
Klick! Lena, die mit ihren gewellten roten Haaren wie eine kleine Diva hofiert wird, tritt als Erste vor die Kamera. Während sie langsam ihre Aufgeregtheit ablegt, erzählt ihre ebenfalls rothaarige Mutter von ihrer Kindheit, die weniger harmonsich war: «Wir waren fünf Kinder, vier mit roten Haaren. Und wir sind von Wien nach Schwechat gezogen.» Fünf Kinder, davon vier mit roten Haaren – mehr haben die Zuzügler_innen aus Wien nicht gebraucht: «Pumuckl war noch die netteste Zuschreibung.»
Helmut Mitter kann wenig Pumucklhaftes an seinen Porträtierten erkennen. «Ich bin der Meinung, dass es unter den Rothaarigen außergewöhnlich schöne Menschen gibt», erklärt der Fotograf, während er seine Kamera neu fokussiert. Seine Frau und seine Tochter, die heute auch fotografiert werden sollen, hören das nicht ungern.
Bald 200 Rothaarige hat er für seine Porträtsammlung abgelichtet. Mit seinen Fotografien möchte er nicht die Welt retten und schon gar nicht weltberühmt werden, sondern vielmehr «auf eine Besonderheit der menschlichen Evolution aufmerksam machen». Derzeit sind seine aufwändig produzierten und hochwertig ausgedruckten Porträts in der Galerie am Park in Mariahilf zu sehen.
Helmut Mitter, Jahrgang 1966, ist Wiener – und kein Rotschopf. Nach Abschluss der «Graphischen» im Jahr 1989 hat er als Fotograf zu arbeiten begonnen. Seither ist er für namhafte Agenturen, Firmen, Architekturbüros und Zeitschriften tätig.
Sein privates Projekt, das er schlicht «Rot» nennt, zieht inzwischen größere Kreise: Waren die ersten «Models» noch aus dem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis, hat der Mann mit den brünetten Haaren heute auch Unbekannte im Fokus: «Den einen oder die andere habe ich auf der Straße angesprochen.»
Die Augen des Fotografen leuchten noch immer, wenn er von seinem Besuch in Breda berichtet. Gemeinsam mit der Visagistin Martina Hirsch, die auch an diesem Abend ein gutes Händchen beweist, war er im Vorjahr beim alljährlichen «Roodharigendag». Einmal im Jahr, am ersten Wochenende im September, verwandeln sich die Straßen der niederländischen Kleinstadt in ein rotes Meer.
Bei diesem Treffen, das ursprünglich von einem Maler begründet wurde und inzwischen tausende Rothaarige anlockt, löste das Wiener Duo einen Ansturm auf ihr provisorisch aufgebautes Zelt aus. «Das war großartig. Ich hatte dort an nur zwei Tagen so viele Rothaarige vor mir, dass ich mir bald einzelne Typen aus der Menge auswählen konnte.» Breda war so betrachtet ein erstes Highlight seines Porträt-Projekts.
Sind Rothaarige anders als andere? Der Fotograf zögert mit einer Antwort, will keinen voreiligen Biologismus an den Haaren herbeiziehen. Lieber möchte er wiedergeben, was ihm während seiner Arbeit aufgefallen ist: «Die, die ich vor meiner Kamera kennen gelernt habe, sind stolz auf ihre Haare.» Im Wiener Stadtbild sieht er aber auch Männer, die ihre roten Haare kurz geschoren haben. So, als würden sie diese lieber verbergen.
Insgesamt sei das Klima für Rothaarige aber deutlich entspannter geworden. Das weiß Helmut Mitter auch aus Geprächen in der eigenen Familie: «Während meine Frau als Kind noch gehänselt und mit den einschlägigen Titeln versehen wurde, wird meine Tochter heute fast auf Händen getragen.»
Eine mögliche Erklärung dafür ist der liberalere Umgang mit Minderheiten ganz allgemein. Während man jahrhundertelang Menschen mit außergewöhnlichen äußeren Merkmalen zur Volksbelustigung vorführte oder auch politisch missbrauchte, sind Abweichler_innen von der Norm heute vielfach akzeptiert.
Ein Zwölfjähriger betritt jetzt das Fotostudio. Sein Rot ist dunkler als das der bisher Fotografierten. Auch er trägt seine Haarpracht, die ihn mit seinem Vater verbindet, stolz. Und am Ende kommen heute auch die Königin und die Prinzessin aus dem Hause Mitter ins Studio. Klick. Schön auch bei ihnen zu sehen: Rote Haare können Spaß machen.
Nach der Ausstellung in der Galerie am Park (noch bis 19. 11. geöffnet) möchte Mitter auch ein «Rot»-Buch herausgeben. Mehr über seine Arbeit unter:
www.helmut-mitter.com.