Lokalmatador
Alek Burt hält den Balalaika-Klub am Leben: in der Inneren Stadt – in einem Gemeindebau. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).Der Balalaika-Klub ist im Untergeschoß einer Gemeindebaufestung im ersten Bezirk untergebracht. Die rote Trutzburg steht Mauer an Mauer mit dem großbürgerlichen und dem katholischen Wien. Die genaue Adresse lautet: Fischerstiege Nr. 1–7. Neben dem Eingang zum Klub steht geschrieben: «Videoüberwacht». Und: «Eintritt nur für Mitglieder».
An einem Freitagabend nach 19 Uhr schiebt Alek Burt die Rollläden des Gassenlokals nach oben. Burt ist der Obmann des Vereins zur Förderung der russischen Musikkultur, der an die 2000 eingetragene Mitglieder zählt. Unter ihnen Balletttänzer_innen und Sänger_innen der Wiener Staatsoper, Menschen mit und ohne Geld, aus Kunst, Kultur, Society, Wirtschaft, Sport, Angehörige von Botschaften, auch einige Wien-Pendler_innen aus dem nahen und fernen Osten, der früher einmal sowjetisch war.
Wir sind schnell per Du. Alek bittet einzutreten. Drinnen zündet er sich eine Zigarette an, was ausdrücklich erlaubt ist. «Bevor wir hier im Jahr 2006 eingezogen sind, war da ein kleines Wirtshaus», erzählt er. Stiegen führen heute hinauf zu den High-Tech-Musikanlagen und den Kühl- und Wärmeaggregaten für die Getränke. Der Obmann eilt hinauf, von oben ruft er hinunter: «Wir können von hier mehr als 30.000 russische Karaokelieder aller Generationen anspielen.»
Gemeinsam die Getränke der Heimat konsumieren und die vertrauten Lieder singen – der Balalaika-Klub unterscheidet sich da kaum von den Klubs der Auslandsösterreicher_innen in Tokio, Rio, Chicago oder Sydney. Alek versichert: «In erster Linie kommen wir hier zusammen, um uns in entspannter Atmosphäre zu unterhalten.» Apropos. Er bittet, an einem der Tische des Klubs Platz zu nehmen.
«Ich wurde im Jahr 1970 in Tschernowitz geboren», erzählt er. Als Sohn der Genossin Krankenschwester und des Genossen Fabriksarbeiter. Seine Heimatstadt liegt in Galizien, sie war in der Monarchie ein Außenposten des Wiener Kaiserhauses. Daran erinnern Fassaden von Gebäuden ebenso wie die Biografien vieler Familien oder das noch immer eigentümliche Sprachengemisch.
Seine Geburt fällt in die Zeit der Sowjetunion, genauer gesagt in die Regierungszeit des Genossen Parteivorsitzenden Leonid Breschnew, vor dessen strengem Blick und Regime auch die Burts lieber früher als später geflüchtet wären.
Noch zwei Stunden bis zum Einlass. Eine Studentin, die an diesem Abend im Klub aushilft, bringt Wasser (nicht Wodka!) und heißen Kaffee. So viel zum Klischee. Im Dezember 1979 dürfen die Burts – Mutter, Vater und Sohn Alek – nach einem schier unendlichen Papierkrieg aus der Sowjetunion ausreisen. Es folgt eine lange umständliche Heimatsuche, die die Familie via Wien, Israel, Frankfurt, Kopenhagen und Westberlin zurück nach Wien führt.
Ein Handy lässt den Tisch vibrieren. Auf dem Display sind die ersten Klub-Mitglieder vor der Eingangstür zu sehen. Man begrüßt sich freundlich, auf Russisch, auf Ukrainisch.
Zum Thema Diaspora können viele Gäste persönliche Erinnerungen beitragen. Die jüngsten sind brandaktuell und haben mit dem Krieg östlich von Kiew zu tun. Auch wenn der Obmann darauf achtet, dass das Schlechtreden der jeweils anderen keinen Eingang in den Klub findet, schwingt auch hier im Gemeindebau Sorge, Leid, Hoffnung sowie das eine oder andere Ressentiment mit.
Burt erzählt weiter: Sein Vater nimmt in Wien zunächst einen Hilfsjob am Mexikoplatz an. Von dort aus kann er sich langsam nach oben arbeiten. Aus ihm selbst wird nach seinen Wirrungen in der Pubertät, die auch der schwierigen Heimatsuche geschuldet sind, ein erfolgreicher Versicherungsmakler, Vermögensberater und Lebensmittelhändler.
Sein Vorteil, sein Alleinstellungsmerkmal ist seit vielen Jahren: «Ich bin der einzige Makler weit und breit, der Russisch spricht.» Der 47-Jährige hat vor kurzem zum vierten Mal geheiratet. Aus seiner zweiten Ehe mit einer Zahnärztin entstammt sein noch schulpflichtiger Sohn. Seine jetzige Frau, eine ukrainische Gerichtsmedizinerin, brachte im Vorjahr Zwillinge zur Welt.
Der Obmann muss sich jetzt gleich um seine Gäste kümmern. Wir wollen heute Abend nicht länger stören. Verabschieden uns daher vor 23 Uhr. Gerne hätten wir den Mieter eines Gemeindebaus in der Wiener City singen gehört. Denn er singt für sein Leben gern: «Singen ist für mich Stressabbau.» Und wenn in einer Nacht von Freitag auf Samstag oder Samstag auf Sonntag wenige Gäste zum Mikrofon greifen wollen, singt er gut und gerne die halbe Zeit. Seine Mission hier im Klub ist klar: «Ich will, dass die Community in Wien ihren Zufluchtsort behält.»
Gerne würde er auch helfen, das Image seiner Landsleute in Wien zu verbessern. Dass das notwendig ist, weiß er aus leidvoller Erfahrung: «Alles ist gut, solange mich die Leute nicht Russisch reden hören. Danach werden sie sofort vorsichtig.»
Alek Burt hat sich auch selbst große Ziele gesetzt: «Ich möchte in die Geschichte eingehen als jemand, der für die Menschheit etwas Positives bewegt hat. Auch meine Kinder und Enkelkinder sollen stolz sein, wenn sie mich am Ende zum Friedhof hinaus bringen.»
Nastrovje!