Stop.and.GoDichter Innenteil

Als ich vor wenigen Wochen per Autostopp von Wien nach Graz und retour fuhr, sollte ich überrascht feststellen, welche Hoffnungen bei Mitnehmenden geweckt werden können und wie schamlos sie dabei eine Machtposition ausnutzen, die durch das Abhängigkeitsverhältnis geschaffen wird.

Obwohl die Hinfahrt sehr nervenaufreibend war, wollte ich mich für die Rückfahrt nicht entmutigen lassen und stieß dabei «nur» auf den alltäglichen Sexismus, der ja quasi nebensächlich und nebenher abläuft. Ein etwa 40-jähriger Mann konnte gar nicht verstehen, dass es auf dem heutigen Arbeitsmarkt nicht so einfach für mich sei, eine Festanstellung zu finden, wo ich doch scheinbar so «jung und hübsch und sexy» bin. Muss ich mich tatsächlich von einem Mann nach seinen Geschmacks-Maßstäben und Sex-Appeal-Kriterien bewerten lassen, wenn es um irgendein Thema fernab davon geht?

«Abturnend» war die Hinfahrt umso mehr. Der Mann in ähnlichem Alter war unerschütterlich an meiner Sexualität interessiert. Als ich ihm sagte, dass ich in einer Beziehung mit einer Frau bin, freute ihn das, auch wenn er Schwule nicht «gut» findet, so findet er lesbische Frauen doch sehr schön. Ja ja, eine männliche, erotische Phantasie wäre damit schließlich befriedigt, oder doch mindestens angeregt. Als er sich von mir bestätigen ließ, dass ich «bi» bin, war er umso euphorischer. Es schien alles sehr aufregend für ihn zu sein, jubelte er doch: «Eine junge Stopperin, die bi und vegetarisch ist, toll, das glaubt mir keiner von meinen Kumpels!». So aufregend kann es also zugehen. Er sei immerhin schon länger in einer stabilen Beziehung, aber wenn mensch so lange zusammen sei, störten eine/n ja schließlich die Eskapaden und sexuellen Abenteuer des oder der Anderen nicht mehr. Nachdem ich eigentlich ‒ und ich gestehe, es war mehr als naiv ‒ keine Bedenken hatte, da er mit einem Combi mit Kindersitz auf Arbeitsfahrt war, änderte sich dieser Eindruck schnell. Er musste eigentlich nach Wiener Neustadt, fuhr aber dann einen Umweg ‒ ‹für mich› ‒ nach Graz.

Er interessierte sich brennend für meine sexuellen Vorlieben, fragte, ob ich denn auch gerne Dreier mag, trug mir schon seine Visitenkarte an und meinte, ich könne dazu gerne mit ihm Kontakt aufnehmen und lobte Dreier aufs Äußerste.

«Hast du jetzt Stopp gesagt»

Ihm gegenüber verhielt ich mich sehr ablehnend, indem ich auf seine ‹Lustfragen› nicht antwortete, auswich und entnervt seufzte. Das verstand er nicht einmal, als er dann seine Hand auf mein Bein (30°C, demnach kurze Hose und nackte Haut) legte und ich drastisch «Stopp!» sagte. «Hast du jetzt Stopp gesagt», fragte er in seiner unglaublich machoiden Unbeholfenheit. Spätestens dann musste ich ihm wohl von meinem Boxtraining erzählen, was ich an dieser Stelle allen als Tipp mit auf den Weg geben würde. Boxen ‒ oder andere Kampfsportarten ‒ zu beherrschen, kann beim Gegenüber zumindest für Respekt und Zurückhaltung sorgen. So habe ich in einem WSD-Kurs (Women‘s Self Defence) gelernt, dass vor allem eine körperliche Haltung und ein Gebaren, das Stärke und Selbstvertrauen ausstrahlt, Angriffe abwehrt. Natürlich ist es auch hilfreich, gewisse Griffe zu beherrschen, im Falle, dass mensch sich tatsächlich wehren muss. Wobei ich aus einer privilegierten Position spreche; wie mag es Frauen ergehen, die sich auf Deutsch nicht so gut ausdrücken können, die vielleicht asylsuchend sind und sich ein Zugticket nicht leisten können.

«Naturerlebnis»

Die Fahrt war aber noch keinesfalls beendet. Seine seichte Einleitung wirkte beinahe beruhigend: «Ach, ist es nicht schön, hier fahren wir richtig durchs Grüne. Es ist toll, durch die Natur zu fahren». Etwas überrascht, auf der Autobahn ein Naturerlebnis begrüßen zu können, bejahte ich, erfreut über den Themenwechsel. Der nächste folgte allerdings prompt: Es sei toll, im Freien Sex zu haben, erklärte er. Dann fragte er mich, wo ich es denn gerne «treibe». Wieder wich ich aus und antwortete nicht, sondern blickte entnervt weg. Er schilderte mir, dass es das Beste sei, Sex in der Natur, im Wald oder auf einer Wiese zu haben. Ich ignorierte ihn, seine Annäherungsversuche, sein Gerede.

Kurz darauf und nur etwa 20 Kilometer vor Graz frohlockte er schließlich mit seiner plumpen Frage: «Und, Lust auf nen Blowjob im Wald?» Ich entgegnete harsch: «Nein, sicher nicht!!!» Als sei ich ihm eine Rechtfertigung oder Dienstleistung schuldig, da er mich ja schließlich mitgenommen hatte, fragte er nach: «Wieso nicht?» Und hier noch einmal schwarz auf weiß: «Weil mein ultimatives Ziel, wenn ich von einer in die andere Stadt autostoppe, sicherlich nicht ist, irgendwem einen zu blasen und irgendwelche Gelüste zu erfüllen!»

Gibt es deswegen zunehmends weniger Leute, die stoppen? Oder ist es mittlerweile so exotisch, eine Stopperin zu sehen und aufzugabeln, dass es schon Abschlepp-Assoziationen weckt?

Nachdem ich Freund*innen über dieses Erlebnis berichtete, fragten sie, ob ich nicht gleich intuitiv den Fahrer hätte auffordern wollen, anzuhalten, um mich sofort aussteigen zu lassen. Aber nein, in einer Situation, in der ich vermutlich einer physisch stärkeren Person ausgeliefert war, während sie in einem schnellen Tempo über die Autobahn raste, versuchte ich wahrscheinlich vieles, was vor allen Dingen nicht eskalierend oder provozierend wirken sollte.

Das Machtgefälle stand schließlich nicht zu meinen Gunsten!

INFO:

Wenn du dieses Erlebnis kommentieren willst, eigene Erfahrungen teilen willst oder Ähnliches, freue ich mich über eine Mail via Stop.And.Go@outlook.de

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