Stadtspaziergang mit dem AUGUSTIN: Helmut Seethaler, der Zettelpoet
In absehbarer Zukunft wird die Maßeinheit für den Grad der gefühlten Freiheit, Liberalität und Toleranz in einer Stadt «Seethaler» heißen. Null Grad Seethaler wird dann bedeuten: Die Stadt ist totalitär kontrolliert, die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Meinung sind storniert. Zehn Grad Seethaler hingegen: Die Stadt gehört denen, die drin wohnen; niemand, der unangepasst lebt, braucht in ihr Angst zu haben.
Für Helmut Seethaler, als «Zetteldichter» inzwischen weit über Wien hinaus bekannt, wird eine solche Fiktion eher abschreckend wirken. Aus einer «Zehn-Grad-Seethaler-Stadt», aus einer Metropole, in der seine Kunst niemanden mehr provoziert, würde er fliehen, hat er ein paar mal in Interviews angedeutet.
Mit 21 Jahren startete Helmut Seethaler als absoluter «Solist» sein persönliches Projekt zur Aneignung des öffentlichen Raums. Das war 1974! Mit Hilfe eines Klebebandes begann er, stark frequentierte Stellen dieser städtischen «Commons» (Plätze, die allen und niemandem gehören») in Poesiegärten zu verwandeln. Die Passant_innen wurden eingeladen, die Gedichte Seethalers, die an den Bändern klebten, reichlich zu ernten. Diese Aktionen, die er bis heute konsequent fortsetzt, haben ihm mehr als 4000 Anzeigen wegen Verschmutzung, Ordnungsstörung oder Behinderung des Fußgängerverkehrs eingebracht. Obwohl Seethaler auf einen richterlichen Spruch verweisen kann, wonach die Herstellung von Pflück-Literatur eine künstlerische Tätigkeit und kein Vandalenakt ist, ist kein Ende der Schikanen abzusehen.
Die Akteur_innen der Kunstvernichtung sind eher Privatsheriffs als Polizist_innen, sagt Seethaler. «Meistens sind die Beamten freundlich und Beamtinnen noch freundlicher.» Eine Ausnahme erlebte Seethaler 2008, als er Gedichte auf Baustellenabschirmungen schrieb. Ein Polizist und FPÖ-Gewerkschafter sagte zu ihm: «Leit wie di hätt’n wir früher wegg’ramt. Schod, dass‘ die Zeit nimmer gibt.»
Zum Thema «Seethaler» lädt der AUGUSTIN im Rahmen seines Stadtspaziergangs «Strawanzerei» zu drei spannenden Stunden ein.
Die Teilnehmer_innen werden gebeten, ihre selbst fabrizierten Zettelgedichte oder -botschaften mitzubringen (sie sollten die Größe A4 nicht überschreiten).
Termin: Donnerstag 17. Mai, 16:45 Uhr,
Treffpunkt: U4-Station Rossauer Lände, Ausgang Seegasse
Teilnehmer_innenbeitrag: 15 Euro
Anmeldung unter: strawanzerei@augustin.or.at