Subkultur in den Alpenvorstadt

Tirol – Sport – Adler: Da muss man meist an Schispringer_innen denken. Doch seit vergangenem Sommer darf man auch Cricketspieler_innen dazuzählen. Wie aus einem Kunst- ein Sportprojekt hervorgegangen ist, zeichnet Tobias Leo nach.

Bild: Entwicklungshilfe aus Süd- für Nordtirol: ein Spieler vom Team Cricket South Tyrol beim ersten offiziellen Cricketmatch auf Innsbrucker Boden.

Im Sommer, am Sportplatz Fennerareal, der Heimstätte des Fußballvereins Union Innsbruck. Die Mittagshitze machte an diesem Tag ihrem Namen alle Ehre, doch das hielt 22 motivierte Sportler kein bisschen davon ab, das erste Cricketspiel auf Innsbrucker Boden abzuhalten: harte Würfe und spektakuläre Schläge unter den Augen eines offiziellen Schiedsrichters der Austrian Cricket Association (ACA). Es war ein Match zwischen den Alpine Shaheens, den «alpinen Adlern», gegen das Team von Cricket South Tyrol, welches einen Löwen als Markenzeichen auf seinen Shirts trägt.

Ähnlich wie Baseball ist Cricket ein Schlagballspiel mit zwei Teams, bei dem das Duell – hier nicht gegendert dargestellt – zwischen der Werferin (Bowler) und der Schlagfrau (Batswoman) im Zentrum steht. Die Werferin versucht, ihre Widersacherin zu einem Fehler zu zwingen oder die Holzkonstruktion (Wicket) hinter der Schlagfrau zu treffen, damit diese ausscheidet. Die Schlagfrau versucht dagegen, den Ball mit dem flachen Schläger wegzuschlagen, um mithilfe von Läufen (Runs) Punkte zu erzielen. Wird ein geschlagener Ball direkt aus der Luft gefangen, ist die Schlagfrau ebenfalls out.

Die populärste Sportart.

Cricket ist erstmals 1597 in der englischen Grafschaft Surrey anhand eines Gerichtsurteils historisch nachweisbar. Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert wurde die Sportart infolge der expansiven britischen Kolonialpolitik weltweit exportiert: nach Nordamerika, Australien, Neuseeland, Südafrika, auf den indischen Subkontinent sowie in die Karibik. Der erste Ländervergleich fand 1844 in New York zwischen der USA und Kanada statt. Nach Österreich kam Cricket gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Der 1892 von in Wien ansässigen Engländern gegründete Vienna Cricket and Football Club zeugt noch davon. Kurioserweise betreibt der Verein heute ausschließlich Tennis und Leichtathletik. Cricket ist neben Fußball die populärste respektive meistgesehene Sportart der Welt. Das liegt unter anderem daran, dass Cricket besonders in den bevölkerungsreichen Ländern des Commonwealth sehr angesehen, teilweise auch Nationalsport ist. Davon war in Tirol lange nichts zu sehen, mehr als 400 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung brauchte es, bis er auch hierzulande ankam. So gesehen war das eingangs erwähnte Spiel wahrlich historisch.

Schi versus Ball.

«In Österreich wird man auf Schiern geboren, in Pakistan mit Bällen», sagt Tayyab Anwaar Ahmad, ein Spieler der Alpine Shaheens. Damit deutet der 38-jährige PhD-Student für Marketing und Management an, wie Cricket nach Tirol gekommen ist: durch Einwanderung aus Ländern, in denen Cricket beliebt ist. Er selbst lebt schon seit elf Jahren in Innsbruck. Das Team der Alpine Shaheens setzt sich aus Pakistanern, Afghanen und Indern zusammen. Entdeckt wurden die hiesigen Cricketspieler von Matilde Cassani, die beim Kunstprojekt Ein Teil, das fehlt, geht nie kaputt mitgewirkt hat. Es beschäftigt sich unter anderem mit vorherrschenden Sichtbarkeitsregimen der Gegenwart und mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. In ihrer Ausstellung It‘s Just Not Cricket! inKooperation mit dem Künstlerhaus Büchsenhausen sowie der

ar/ge kunst Bozen thematisiert Cassani Communities, welche nicht im gesellschaftlichen Mainstream aufscheinen. Um die Unsichtbarkeit zu überwinden, zeigt die Installation symbolisch das Zentrum eines Cricketfeldes mit zwei überdimensionalen Wickets. Trotz der Unsichtbarkeit im Mainstream haben diese cricketbegeisterten Communities zum Teil seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt in Tirol, nördlich sowie südlich des Brenners. In Südtirol gibt es bereits acht Cricketteams, die Alpine Shaheens sowie ihr erstes Match sind aber durch dieses Kunstprojekt erst zustandegekommen. Eine Woche vor dem Spiel fand ein Workshop im Künstlerhaus Büchsenhausen statt, in dem neben etwa einem Dutzend Spielern mit Lakhvir Hira auch ein offizieller Vertreter der ACA anwesend war.

Zunächst wurde besprochen, was es alles braucht, um einen Verein zu gründen und der ACA beizutreten. «Noch sind wir kein offizieller Verein, aber das ist ganz klar der nächste Schritt», sagt Ahmad: «Auf jeden Fall wollen wir dann auch der ACA beitreten und in der Liga mitspielen.»

Platzprobleme.

Eines der größten Probleme sei ein geeigneter Platz: «Wir spielen eben dort, wo gerade ein Platz frei ist. In Parks, auf Wiesen, auf Basketballplätzen.» Es sei ihr Traum, sagt Ahmad, zumindest für den Anfang einen Platz zum Üben zu finden, man werde sich daher auch mit der Stadt in Verbindung setzen. Auch ein Indoorplatz im Winter wäre wünschenswert. «In Salzburg haben sie ein ähnliches Problem», erzählt Hira, «dennoch spielen sie in der Liga mit, und einige sind sogar im Nationalteam.» Offizielle Cricketfelder, die im Gegensatz zu Fußballplätzen oval sind, gibt es nur wenige in Österreich: zwei davon in Wien und eines in Velden am Wörthersee. Zur Teilnahme an der Liga muss also eine gewisse Reisebereitschaft vorhanden sein.

Adler in Urdu.

Ebenfalls wurde beim Workshop ein Name gesucht und mit Alpine Shaheens auch gefunden. Shaheens bedeutet in Urdu, neben Englisch Amtssprache in Pakistan, Adler. Auch das Logo haben die Mitglieder des Teams selber entworfen: ein Adler, der seine Flügel ausstreckt, im Hintergrund Bergspitzen. Wie soll es in Tirol auch anders sein? Dieser ziert nun auch die weißen Crickethemden und -hosen, die mit künstlerischer Unterstützung designt wurden. Nun war alles bereit für das Spiel. «Wir haben drei Spiele gespielt, alle knapp verloren. Der Abstand wurde mit jeder Partie größer», lacht Ahmad: «Aber das ist nicht so wichtig. Es war für alle eine wirklich schöne Erfahrung, die Organisation war großartig.» Ein angenehmer Nebeneffekt war die Vernetzung mit den Südtiroler Spielern. Prompt wurden die Alpine Shaheens zwei Wochen später zu einem Turnier nach Bozen eingeladen – ein vielversprechender Anfang für die alpinen Adler.

Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von 20er / INSP.ngo

Derzeit gibt es in Österreich knapp über 20 Cricketteams, die offiziell Mitglieder bei der 1981 gegründeten ACA sind, die meisten davon sind in Wien beheimatet. Fast alle spielen in den Ligen und Wettbewerben mit, mit dabei ist auch ein slowenisches Team aus Ljubljana. Das Nationalteam feierte in den letzten Jahren große Erfolge. In der World

Cricket League, eine Stufe unter den zwölf Top-Nationen, stieg die Mannschaft seit 2009 von der vierten in die erste Division auf.

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