Subkultur trifft ClubkulturArtistin

Magdalena Augustin (Gassen aus Zucker), Laurenz Forsthuber (Märchenwald) im Weghuberpark. Foto: © Carolina Frank

Die warme Jahreszeit lockt Tanz- und Feierwütige hinaus in den öffentlichen Raum. Konflikte sind vorprogrammiert. Muss der Club zurück in den Keller oder ist die Straße die bessere Tanzfläche?

«Mehr Platz für Subkultur» stand auf einem Banner. Ein Wiener Techno-Kollektiv hatte zur Kundgebung in den Weghuberpark aufgerufen. Es war Ende Februar, als gut hundertfünfzig Menschen zusammenkamen, die sich im gerade aufbrausenden Schneegestöber mit Bewegung und Punsch warmhielten. Das Wetter schien ihnen wenig auszumachen, die Freude daran, wieder unter freiem Himmel mit Freund:innen zur Lieblingsmusik zu tanzen, überwog. Dahinter steckten dieselben Bedürfnisse wie im Juni 2021, als die Clubs geschlossen waren und die Polizei den Karlsplatz von feiernden Jugendlichen räumte: sich Raum nehmen, der woanders nicht vorhanden ist, auf Missstände aufmerksam machen und verschiedene Kulturformen öffentlich ausleben. In diesem Fall die Clubkultur.

Clubkultur unter freiem Himmel

Sagt der Name Clubkultur nicht schon, dass diese Subkultur in Clubs, also in vermeintlich dunkle, stickige, laute ­Räume gehört? Lässt sich das einfach nach draußen verlegen oder braucht es dafür ­einen neuen Begriff? Magdalena Augustin sieht das nicht so dogmatisch. Seit einem Jahrzehnt legt sie unter dem ­Pseudonym ­Lenia mit dem Kollektiv Gassen aus ­Zucker auf und war in der IG Kultur Wien und der Initiative Kultur for President aktiv. Sie ist außerdem Teil des Teams, das im Fluc – vor über zwanzig Jahren von einer Unterführung in einen Club umgebaut – derzeit den Transformationsprozess von einem Kulturraum mit Schwerpunkt Musik und zeitgenössische Kunst zu einem partizipativen und vielschichtigen Kulturzentrum mitbetreut. «Wenn man von Clubkultur spricht, wissen alle, worum es geht: nämlich um Raum für Musikevents, wo aufgelegt wird, wo mit Turntables gearbeitet wird, wo es um laute, immersive Erlebnisse geht. Das lässt sich auch nach draußen übertragen.»

Elektro am Bauernhof

Um diese «immersiven Erlebnisse» zu schaffen, reicht es allerdings nicht aus, lediglich den Gehör­sinn zu stimulieren. Ein wichtiger Bestandteil der Clubkultur ist die visuelle Gestaltung des Ortes, an dem Musik erlebt wird. Das geschieht oft über die Dekoration eines Clubs, also eines dafür ausgelegten Raums, jedoch immer öfter auch durch die Umfunktionierung und Ausgestaltung von Gebäuden und Plätzen.
Für Magdalena Augustin ist das nicht nur privates Interesse, sondern auch ein studienrelevantes Forschungsgebiet. Im Zuge ihrer Dissertation an der Technischen Universität Wien beschäftigt sie sich mit urbanen Orten, die architektonische Besonderheiten aufweisen und Platz für kollektive Erfahrungen, kreative Prozesse und elektronische Musik bieten. Das Hauptforschungsobjekt bildet ­dabei der Zukunftshof, ehemals ­Haschahof, an der Stadtgrenze im 10. ­Bezirk. Durch verschiedenste Interventionen aus Nachbarschaft, Zivilgesellschaft und Politik konnte das Areal vorerst vor dem ­Abriss gerettet werden und bietet seit 2019 ­neben dem landwirtschaftlichen ­Betrieb auch Platz für Veranstaltungen. In der warmen Jahreszeit findet dort einmal im Monat der Kosmos Kuriosum statt, der den Zukunftshof für einen Tag und eine Nacht in ein Spektakel aus farbenfroher Dekoration, elektronischer Musik und Tanz verwandelt. Projekte dieser Art haben für Magdalena Augustin eine spezielle Faszination: «In etwas Altem stecken ein gewisser Charme und viele ­Herausforderungen, die etwas Neues, wie ein durchgeplanter Club, nicht hat. Für diese Herausforderungen müssen dann wiederum Lösungen gefunden werden. Was im Großen in der Stadtplanung oft nicht geschafft wird – alte Orte umzugestalten und zu revitalisieren –, wird hier im Kleinen geschafft. Dieser Teil der Kulturszene ist sehr gut darin und hat enorm viel Spaß daran, Räume für die eigene kulturelle Praxis zu adaptieren und ihre architektonischen Besonderheiten hervorzuheben.»

Alle, die mittanzen

Die eigene ­kulturelle Praxis wird dabei keinesfalls alleine ­gedacht. «Clubkultur ist kein isolierter Teil der Kulturszene. Wir haben keine Scheuklappen auf. Erfolge, die von der Szene erreicht werden, sollen Erleichterungen und Möglichkeiten für alle bringen», so ­Augustin. «Alle» bezieht sich dabei nicht nur auf Kulturschaffende, sondern auf alle, die mittanzen wollen. Denn sozialpolitische Anliegen sind ein zentraler Bestandteil der Clubkultur. Diversität, Inklusivität und Sicherheit werden gefördert.
Die von der Stadt Wien finanzierte Vienna Club Commission beschäftigt sich mit diesen Themen, dazu finden sogenannte Awareness-Teams ­ihren Weg aus den Clubs in den öffentlichen Raum. Seit 2021 sind solche Teams auch im Auftrag der Stadt Wien an ­belebten Plätzen unterwegs und ­treten als Vermittler:innen auf, um Menschen zu ­informieren und zu sensibilisieren ­sowie in Konfliktsituationen zu ­deeskalieren. Das wachsende Bewusstsein für die ­Bedürfnisse der Jugend und die Wahrnehmung der Clubszene als ernst zu nehmender Teil von Kultur sind wichtige ­Errungenschaften der letzten Jahre.

Wiener Free Spaces

Zu Beginn des Jahres 2023 flatterte in den Petitionsausschuss der Stadt Wien ein Text, der die Schaffung sogenannter Free Spaces fordert. Öffentliche Orte sollen ausgewählt werden, die für eine unkommerzielle Nutzung durch gemeinnützige Vereine der Jugend- und Clubkultur zugänglich gemacht werden. Dieses Angebot soll unbürokratisch und niederschwellig verfügbar sein, um nicht nur den Veranstalter:innen, sondern auch den Behörden das Leben zu erleichtern. Eingebracht wurde die Peti­tion von ­Laurenz Forsthuber, der seit vielen Jahren mit dem Kollektiv Märchenwald aktiv und auch beim Kosmos Kuriosum am Zukunftshof v. a. für Bühnenbau und Eventtechnik zuständig ist. Innerhalb der Vienna Club ­Commission leitete er die Fokusgruppe zum Thema ­Clubkultur im öffentlichen Raum. In Wien sieht er im Vergleich zu anderen deutschsprachigen Städten Aufholbedarf. «In ­Zürich oder Bremen gibt es ­Konzepte, die mit den Free Spaces vergleichbar sind. Dort wird zusammen an ­Interessenskonflikten im öffentlichen Raum gearbeitet. In Wien gibt es auch schon länger Ideen dazu, aus ­denen im Zuge dieser Petition ein neues Konzept entwickelt werden soll.» Der politische Wille sei in Wien von vielen Seiten vorhanden, die Hürden lägen v. a. auf rechtlicher Ebene. «Die Einführung von Awareness-Teams oder auch die Gründung der ­Vienna Club Commission zeigen, dass auf die ­Bedürfnisse von Jugend und Kultur reagiert wird. Es braucht aber auch kleine Abänderungen im Veranstaltungsrecht, um ­Abläufe zu vereinfachen. Das würde auch einer Zweckentfremdung des Versammlungsrechts vorbeugen. Zurzeit werden oft Versammlungen angemeldet und ­Strafen in Kauf genommen, um Auflagen und ­Kosten von Veranstaltungen zu umgehen. Das schießt meiner Meinung nach am Ziel vorbei.» Die gesetzlichen ­Auflagen für Veranstaltungen sind ­nämlich ­sowohl auf bürokratischer als auch auf infrastruk­tureller Ebene wesentlich umfassender als jene für Versammlungen. Auch eine Verbesserung der ­Infrastruktur ­würde Free Spaces erleichtern. «Der Zugang zu Wasser und Strom, ­Toilet­ten, Müllsys­teme und Lichtmasten vor Ort würden die Nutzung von ­öffentlichen Plätzen nicht nur vereinfachen, ­sondern auch ­sicherer und ­umweltschonender ­machen», so ­Forsthuber. In ­einem Pilotprojekt soll nun ein ­erster Ort ausgewählt werden, an dem im heurigen Sommer Veranstaltungen mit ­dem ­neuen Konzept durchgeführt werden. Dann kann ungestört unter freiem Himmel getanzt werden.

www.gassenauszucker.at
www.kosmos-kuriosum.com
www.viennaclubcommission.at

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