Marianne Gruber tanzt in ihrem Fachgeschäft in der Ottakringer Straße Bauch. Sehenswert!
Ottakringer Straße Nr. 96. Gewiss keine Adresse, die in Wien als bemerkenswert fein gilt. Bellissimas Orient-Palast. Gewiss kein Schriftzug, der die Laufkundschaft en masse ins Geschäft lockt. 100 Kilogramm auf 170 Zentimeter verteilt. Gewiss kein Körpermaß, das dem hiesigen Schönheitsideal zu 100 Prozent entspricht.
In der Tat stellt Marianne Gruber mit ihrem Bauch einige Klischees auf den Kopf. Die 53-jährige Geschäftsfrau führt an der Ottakringer Straße, die rechts von der Mitte postalisch nach Hernals tendiert, «den größten Bauchtanzbekleidungsladen Europas».Die «Chefin», wie sie von ihrem Mann auch genannt wird, folgt dort in erster Linie ihrem Bauchgefühl. Kostprobe gefällig? Treten Sie näher! Sofort erwacht auf einer CD leise Musik, ertönen sanfte Klänge aus dem Orient, die dem Schlag des Herzens folgen wollen. Und schon wischt die leicht bekleidete Tänzerin leichtfüßig über das Parkett. Mit anmutigen Handbewegungen führt sie den Schleier, rollt mit den Augen und dazu über die Fußballen, ehe sich langsam ihre Hüften zu drehen beginnen.
«Es ist der Ausdruck purer Lebenslust, purer Weiblichkeit, natürlich auch subtiler Erotik», erläutert Frau Gruber während des Hüftendrehens. «Man kann sich dabei selbst entdecken, Blockaden im Körper lösen, den eigenen Körper genießen.» Und nach einer weiteren Drehung: «Das Tanzen hebt das Selbstwertgefühl, enorm.»
Pausentaste. Eine Dame hat den Laden betreten. Sie wundert sich nicht, sie kennt den Hausgebrauch. Man würde sonst in einem «Orient-Palast» an der so titulierten «Balkanmeile» nicht unbedingt eine waschechte Waldviertlerin als Tänzerin erwarten.
Die Tochter von Bauern aus dem Bezirk Horn hat mit neun Jahren ihr erstes Kleid genäht. Nach der Matura hat sie 15 Jahre lang in einem Büro in Wien gearbeitet. Nach der Eröffnung ihrer ersten Boutique für Damenmoden weitere 15 Jahre auf der Wollzeile und am Graben. Rückenschmerzen und der Ratschlag einer erfahrenen Wirbelsäulentrainerin haben sie schon 1992 zum Bauchtanzen gebracht.
Die Kundin ist eine von immerhin 9000 Bauchtänzerinnen in Marianne Grubers Kundenkartei. Sie findet hier, auf 170 Quadaratmetern Verkaufs- und Tanzfläche, vieles, was ihr Herz und wohl auch der Bauch begehrt: Tanzschleier ab 25 Euro, Hüfttücher und Tops mit Münzen in allen Größen und Farben von 16 bis 69 Euro. Schön anzusehen sind auch die gold schimmernden Finger-Zimbeln, mit denen die Vortänzerin den Takt vorgibt. Komplette Kostüme gibt es in einer Bandbreite von 99 bis 699 Euro. Die Teureren sind mit Swarovski-Strass bestickt.
«Alle Artikel sind handgearbeitet», wird der Kundin nun erklärt. «Das ist kein billiger Ramsch aus dem Basar, mit dem Sie nur im Fasching auftreten können, und den Sie dann nach drei Mal Tanzen wegschmeißen müssen.» Bellissima! Die nicht ganz schmalgepickte Geschäftsinhaberin weiß, wovon sie spricht. Regelmäßig besucht sie ihre Zulieferbetriebe Schneiderinnen in und rund um Kairo: «Die bearbeiten die Textilien noch nach alter Tradition.»
Sie selbst hat das Bauchtanzen an der Volkshochschule gelernt, dann mit einem bekannten ägyptischen Tanzlehrer verbessert. Hunderte Bühnenauftritte hat sie in der Zwischenzeit aufs Parkett gelegt. Vom Waldviertel bis nach Spanien.
Dabei konnte sie auch jene für sich gewinnen, die mit dem Bauchtanzen zuvor wenig oder nur Schmutziges assoziiert haben: «Sobald die Musik einsetzt und ich zu tanzen beginne, wandelt sich das sofort in Ergriffenheit und Ehrfurcht. Und wenn ich dann fertig bin, gibt es tosenden Applaus.»
Öfters hat ihr ein begeisterter Zuseher nach der Show schon zugerufen: «Ich will dich heiraten!» Spätestens seit dem ersten Antrag weiß auch ihr Mann, dass «das mit dem Tanzen» bei seiner Frau nicht wieder vorbeigehen wird, und dass er zu ihren Auftritten besser mitgeht. Weil sicher ist sicher.
Es ist nun aber nicht so, dass Marianne Gruber die Augen vor den Spiegeln in ihrem intimen Palast verschließt. «Ich weiß, ich bin über fünfzig, bin blad, aber ich habe beim Tanzen eine besondere Ausstrahlung, die die Menschen anspricht.»
Regelmäßig hält sie in ihrem Laden eigene Bauchtanz-Kurse ab. Ganz schlecht dürfte sie auch als Pädagogin nicht sein. Ihre Workshops sind inzwischen derart gefragt, dass Teilnehmerinnen auch mit dem Flugzeug anreisen.
Die Hüften schwingende Österreicherin eckt dafür bei den rechten Ordnungsrufern an, die vor dem Ausverkauf und dem Gewaltpotenzial der Ottakringer Straße warnen. Jenen will sie gesagt haben: «Ich habe Nobelboutiquen im ersten Bezirk geführt und in einer traumhaft schönen Wohnung in Döbling gewohnt. Hier an dieser Straße fühle ich mich am wohlsten.»
Rundum zufrieden. Marianne Gruber spürt ihre Mitte, wie sie sagt. Genießt das Essen, das Leben, den Tanz. Sie hat abgenommen, auch wenn man das nicht auf den ersten Blick erkennen muss. Und sie hat auch noch einige Ziele vor sich: «Ich möchte zum Beispiel noch mit siebzig tanzen können.» Gewiss keine Utopie! Sie zitiert am Ende ihres Freudentanzes den ägyptischen Tanzlehrer: «Erst eine voll erblühte Rose entfaltet ihren vollen Duft.»
Info:
Die Serie «Lokalmatadore» erscheint seit mehr als zehn Jahren im Augustin. Das gleichnamige Porträtbuch kann auch per E-Mail bestellt werden: mario@augustin.or.at.