Schick ist Tischtennis nicht gerade, dafür allgemein beliebt. Ein Sport, der vorzugsweise im Souterrain ausgeübt wird, im Keller. Wer das Tischtenniscenter in Wien-Josefstadt, die angeblich älteste Tischtennishalle der Welt, besucht, muss auch, wie Wenzel Müller (Text und Fotos), zunächst eine Treppe hinabsteigen.
Normalerweise spielen sie zu viert, heute allerdings nur zu dritt. Grund ist, dass es beim letzten Doppel zum Zusammenstoß zweier Spieler kam. Einer ging dabei zu Boden und fehlt seitdem wegen einer Schulterverletzung. Das kann im Eifer des Gefechts schon einmal passieren, natürlich ohne jede böse Absicht.
So muss sich Herr Scholz heute allein mit seinen beiden Mitstreitern duellieren. Er ist 89 Jahre alt, die beiden anderen um die 80. Eine klassische Altherrenpartie, die Kombattanten legen allerdings Wert darauf, nicht Pingpong zu sagen, sondern Tischtennis, also den vergleichsweise ernsteren und ambitionierteren Begriff zu verwenden.
Im sogenannten vierten Lebensalter noch dem Lederball nachjagen? Nur in Ausnahmefällen geschieht dies, Fußball hat so etwas wie eine natürliche Altersgrenze. Tischtennis dagegen nicht, Alte wie Junge, Frauen wie Männer üben diesen Sport mit dem kleinen Ball aus, dessen Durchmesser im Übrigen vor rund 20 Jahren von 38 auf 40 Millimeter hochgesetzt wurde, um Tempo aus dem Spiel zu nehmen.
Die älteste Tischtennishalle der Welt.
Unsere älteren Herren treffen sich nun schon seit gut 30 Jahren regelmäßig im Tischtenniscenter in der Lange Gasse, Wien-Josefstadt. Mit den Jahren wurden sie sukzessive langsamer und grauer, kaum verändert hat sich in dieser Zeit indes die Halle, laut Eigenwerbung die älteste Tischtennishalle der Welt.
Ein zentraler großer Raum, dazu mehrere kleine Räume an den Seiten. Auf 1000 Quadratmetern laden 13 mattblaue Tischtennistische zum Spielen ein. Die Wände sind großteils holzvertäfelt, der Boden rutschfest. Wie im Regelwerk des Weltverbands für Turniere vorgeschrieben, sind die Beleuchtungskörper, Neonleuchten, zumindest in manchen Räumen fünf Meter über dem Fußboden angebracht. Hier und da trennt ein Netz angrenzende Spielfelder.
Zum Tischtennisspiel braucht man nicht gerade viel. Und was man braucht, ist hier vorhanden. Allerdings auch kein bisschen mehr. Dieses Tischtenniscenter ist so etwas wie die Antithese zum modernen, den Wohlfühlfaktor betonenden Fitnesscenter. Hier setzt man auf Nüchternheit, man kann auch sagen: Klarheit oder Retrocharme. Im Umkleideraum eiserne Spinde, fast wie beim Bundesheer. Über Putz verlaufen die Stromleitungen. Nirgendwo ist ein Wille zur Veränderung oder Neugestaltung auszumachen. Vielmehr scheint das Motto zu gelten: Lassen wir alles, wie es ist! In unserer Zeit, die nichts so sehr zu fürchten scheint wie Stillstand, hat diese Einstellung fast schon etwas Widerständiges, in jedem Fall Antizyklisches.
Die «Pritzi-Halle».
Wer die Halle betritt, steigt eine Holztreppe hinab, die so knarzt, wie sie schon in den 1930er-Jahren geknarzt haben dürfte, als die Halle von der seinerzeitigen Tischtennisweltmeisterin Gertrude Pritzi übernommen wurde. Für viele ist das Tischtenniscenter auch heute noch schlicht die «Pritzi-Halle».
Tischtennis ist so etwas wie die kleine Schwester des Tennis. Ins Leben gerufen vom britischen Adel, der sich im ausgehenden 19. Jahrhundert angesichts des gefürchteten Regenwetters wünschte, in einem überdachten Raum das Spiel mit dem Ball, dem Netz und den zwei Spielhälften fortzusetzen. Als markanteste Neuerung kam außerdem ein Tisch dazu.
Heute liegen fast Welten zwischen den beiden Sportarten. Die eine spielt man mit einem großen, die andere mit einem kleinen Schläger. Und dieser Unterschied steht fast sinnbildlich dafür, dass Tennis klassischerweise der Sport der eher feinen Leute ist und Tischtennis so etwas wie das demokratische Pendant dazu, ausgeübt von jedermann und jederfrau und frei von jeglichem Standesdünkel.
Nicht einmal groß umziehen braucht man sich zum Tischtennisspiel. Nur ihre Jacken haben sie abgelegt, die beiden Studenten, die nach einer Vorlesung kurzerhand in das Tischtenniscenter gekommen sind, um eine Stunde Bewegung und Spaß zu haben. Sie spielen in T-Shirt und Jeans, dazu Sportschuhe. Vom Reglement her könnten sie auch Skischuhe tragen. Aber nicht empfehlenswert, denn bei diesem Sport tänzelt man auf den Fußballen, während man gleichzeitig etwas in die Knie geht. Nach der Partie geht es wieder zurück zum Uni-Campus, ist ja nur fünf Minuten entfernt, in die nächste Vorlesung.
Im Sommer herrscht Flaute. Am Vor- und Nachmittag hat man kaum Schwierigkeiten, hier einen freien Tisch zu finden. Mehr los ist am Abend und am Wochenende. Nicht allerdings im Sommer, da herrscht generell Flaute, und da gilt auch: «Bei Badewetter ab 14 Uhr geschlossen», so steht es auf der Homepage.
Wer einen Tisch reservieren möchte, ruft einfach an. Die Reservierung wird – stilecht – in einem Ordner festgehalten, mit Bleistift. Man mietet sich für ein, zwei Stunden ein, ganz ohne Vereinszwang.
Die Halle ist erfüllt vom steten Klacken der aufspringenden Bälle. Tischtennis kennt jede_r. Tischtennis hat wohl auch jede_r schon einmal gespielt. Ein Sport, der nicht um seinen Niedergang zu fürchten braucht, um den es aber auch nie einen Hype gab und gewiss in Zukunft auch nicht geben wird. Ganz im Unterschied zu Squash, das vor einigen Jahren noch in aller Munde war, von dem heute aber kaum noch jemand spricht.
Die Noppen-Frage.
Tischtennis ist nicht schick, etwas Gemütliches, wenn nicht gar Gemächliches umweht diesen Sport. Geht es allerdings um den Schläger, legen die Aktiven, zumindest die besseren unter ihnen, plötzlich größte Leidenschaft an den Tag. Kann doch der Schläger so «vielfältig wie das Leben» sein, wie es der Bedienstete an der Rezeption ausdrückt. Die Noppen können kurz oder lang sein, innen oder außen liegen, und nicht zu vergessen der Kleber, der auch entscheidenden Anteil daran hat, was wie mit dem Spielgerät zu machen ist. Zeige mir deinen Schläger, und ich sage dir, was für ein Mensch – oder zumindest: was für ein Spielertyp du bist.
Ab einer gewissen Niveaustufe ist es nicht mehr damit getan, den Zelluloidball (inzwischen öfters aus Plastik) irgendwie über das Netz zu bringen, nun heißt es, ihn kurz oder lang, hart oder weich, schnell oder langsam, gerade oder diagonal zu spielen, und fast immer gehört er dabei angeschnitten, geschnibbelt – der Fachmann spricht in diesem Zusammenhang von Rotation, in die der Ball versetzt wird. Die je unterschiedlichen strategischen Bemühungen haben das nämliche Ziel: die Gegnerin oder den Gegner in Schwierigkeiten zu bringen, den Ball ordentlich zu retournieren.
Ballonabwehr.
Topspins und Sidespins werden geschlagen, und die abwehrende Spielerin antwortet, noch so ein schöner Fachbegriff, vielleicht mit einer Ballonabwehr – in einer hohen, ballonförmigen Kurve schlägt sie den Ball zurück. Gefragt ist schnelles Reagieren und stetes Antizipieren dessen, was die Gegnerin wohl als Nächstes im Sinn hat – und vor allem mentale Stärke. Selbst in den nervenaufreibendsten Momenten einer Partie muss die Spielerin sich stets so weit im Griff haben, dass sie mit fein platzierten Schlägen antwortet – und nicht etwa mit dem Schläger um sich wirft.
Verletzungen unter Fremdeinwirkung sind bei diesem Sport ausgeschlossen. Sagt man. Stimmt aber nicht ganz, wie unser Beispiel oben zeigt. Immerhin kann man diesen Sport auch so ausüben, dass man nicht ins Schwitzen gerät.