Am Platz der Menschenrechte wird von nun an Halay getanzt
Die Gemäuer der Stadt im Rahmen der Wienwoche erzittern lassen. Der Halay City Marathon schlägt mit anatolischen und balkanischen Tanzschritten eine Schneise durch die sich ständig neu formierenden Fronten. Ein Text von Richard Schuberth.
Foto: Blanka Urbanek
Das Gesicht des Zurna-Virtuosen Münür Tunc wird sich aufblähen wie ein Dudelsack, denn das Spiel der Zurna erfordert permanenten Druck auf das Rohrblatt dieses Schalmeieninstruments, Zirkularatmung nennt man das. Münür hat die Zurna schon während seines Präsenzdienstes in Allentsteig gespielt, und seinen Kameraden hatte es gefallen. Ein Perkussionist wird die große Rahmentrommel Davul dazu schlagen, und zu pentatonischem Bio-Hardrock wird sich unter Rufen und Trillern eine tanzende Schlange in Bewegung setzen, so lang wie die Liste an Vorurteilen und falschen Projektionen, die das Zusammenleben der Menschen in dieser Stadt vergiften.
Moment. Wird hier wieder einmal Völkerliebhab-Pädagogik betrieben, die mit ihren Kulturalisierungen gesellschaftlicher Widersprüche permanent zugibt, Teil und nicht Lösung des Problems zu sein? Mit der naiven Annahme, Migrant_innen seien irgendwie ethnischer als andere Menschen, und durch interkulturelles Kochen und Nationalhymnenabsingen kämen die Leut’ besser z’samm – Friede, Freude, Toleranztanz und Baklava. Doch Vilimsky lässt sich seinen Kebab gut schmecken, und Kinderbemalen gegen den Golfkrieg hat schon in den 90er Jahren außer Hautausschlägen nicht viel bewirkt.
Der Halay City Marathon tanzt hier aus der Reihe. Und zwar mit fröhlicher Unverfrorenheit. Zeynep Alan, Dilan Şengül und Natalie Assmann, allesamt Schauspielerinnen und kulturarbeitende Aktivistinnen, haben die Aktion ins Leben gerufen, und so sehr sie auch deren Internationalität betonen, so dürften vielen eingefleischten Wiener_innen beim Anblick des integrativen Reigens sofort sein orientalisches Gepräge, und folglich Begriffe wie Fremdheit und Bedrohlichkeit in den Sinn kommen. Denn in Zeiten von AKP-Demos, des enervierenden Dauerdiskurses über den Islam, den medial hochschwappenden «Flüchtlingsfluten» aus dem Morgenland, den – aus welchen Gründen auch immer – durchdrehenden jungen Männern und den noch viel bedrohlicheren Verallgemeinerungen, gehört Chuzpe dazu, die Straßen mit Halay zu erobern.
Halay, so heißen in der Türkei die Reihen- und Kreistänze, die zu Instrumenten wie den erwähnten Zurna und Davul getanzt werden, im Kurdischen nennen sie sich Govend, im Armenischen Kochari, an der Schwarzmeerküste Choron, der zirkumpontisch wiederum mit der rumänischen und ostjüdischen Hora verwandt ist und mit dem bulgarischen Horo (bzw. mazedonischen Oro), mit dem Kolo Ex-Jugoslawiens, dem griechischen Sirtos und dem kretischen Pentozalis. Gar nicht bedroht fühlt sich Otto Normaleuropäer vom süßlichen Urlaubskitsch des Sirtaki, handelt es sich dabei ja auch um eine Verniedlichungsform des Sirtos und geht seine Choreographie der Legende zufolge entweder auf die tänzerische Ungeschicklichkeit Anthony Quinns oder seine Fußverletzung bei den Dreharbeiten zu «Alexis Sorbas» zurück.
Auch der Liebe Augustin hat Halay gespielt
Manchen sind traditionelle Reihentänze mit ihren standardisierten Schritten Ausdruck beglückender Kommunalität, anderen wiederum stupide Entindividualisierung und Transformation in einen Gemeinschaftskörper. Beides kann wahr sein. Denn zumeist bietet sich in der Praxis für Einzelne die Möglichkeit, sich aus dem Verband zu lösen und durch eigene Choreagraphien zu brillieren. Gleichwohl sind diese Tänze inklusiv wie exklusiv, einfachere Schrittfolgen laden die größtmögliche Zahl an Partizipant_innen ein, komplexere lassen die Profis auf ihre Kosten kommen.
Die Fremd- und Wildheit der Musik wird unweigerlich durch einen orientalisierenden Gegensatz von Zivilisation und Barbarei wahrgenommen, nicht eingedenk des Umstandes, dass die größten Barbareien der Geschichte von Regionen ausgegangen sind mit dem größten Happy Sound in ihrer Volksmusik. Eine Gelegenheit freilich, die Dichotomie von eigen und fremd erneut auf Herz und Hirn zu prüfen. In vorbürgerlichen Zeiten hatten Tanz und Tanzmusik von Irland bis China ein ähnliches Gepräge, frühneuzeitliche Gemälde von Reigen bezeugen diese Universalität. Und die Kirche agitierte aus guten Gründen gegen die enthemmenden Klänge von Dudelsäcken, Schalmeien und Trommeln. Düstere Skalen, wilde Sounds, bis ins 19. Jahrhundert keine Frage von Orient und Okzident. In der Bretagne werden bei den sogenannten Festoú-noz jetzt noch Reihentänze getanzt, die den anatolischen nicht nur in Schritten gleichen, sondern auch in ihrer Begleitung durch die Schalmei namens Bombarde.
Wer sich beim Halay City Marathon die vorhersehbare Assoziation mit der Türkenbelagerung Wiens nicht verkneifen kann, dürfte nicht einmal ahnen, dass die Durchhaltetänze der Verteidiger dem Groove der Angreifer kaum hinterhergehinkt sein könnten, denn der Liebe Augustin mit seiner Sackpfeife war sicher kein Waserl.
Bleibt schließlich noch die Frage nach der Aktualität des ästhetischen Ausdrucks. Warum macht ihr keinen Rap oder Breakdance, waren die Initiatorinnen gefragt worden. Ein nicht unberechtigter Vorwurf der Ethnisierung und Folklorisierung schwingt da mit. Doch ist migrantischer Rap mit seiner artifiziellen Außenseiterattitüde nicht selbst schon ein folkloristischer Ladenhüter im Migrantenstadl?
Spiel der Ent- und Neucodierung
Man kann es auch so sehen: Halay City Marathon spielt ein Spiel. Er entfremdet Tanz und Musik ihres ursprünglichen Kontextes, entführt sie aus den Subkulturen der Neuwiener und präsentiert ihn als selbstverständlichen kulturneutralen Ausdruck. Je weniger politische Programmatik, umso politischer, denn das Politikum besteht ja auch darin, sich gleich gar nicht diskursiv rechtfertigen zu müssen, und «performativer Akt» zu sagen, wo einfach eine Hetz gemeint ist. Das Provokative der Initiative könnte sein, dass sie ausnahmsweise nicht von den «weißen Tanten und Onkelz» kommt, sondern aus den schaurigen Tiefen der angeblichen Parallelgesellschaften (mit Frau Assmann als schwer integrierbarer Tiroler Binnenmigrantin). Vienna City Halay Marathon ist nicht fremdbestimmt, von keinem Kulturamt verordnet. Das migrantische Wien reicht dem nichtmigrantischen die Schwesterhand, lädt dazu ein, sich endlich nicht so deppert anzustellen und einfach mitzutanzen. Eine heitere Halayschlange, die selbstbewusst über das Giftpfauchen der pöbelhaften Kulturfronten samt ihrer hässlichen Zäune hinwegtanzt; Kulturen nicht verbindet, sondern ihre Trennung von vornherein nicht akzeptiert. Eine Taktik der Verführung und Überrumpelung, ein dionysischer Flashmob …
Dabei wäre mit einer heilsamen Verwirrung der Wiener Wahrnehmung schon genug geleistet, wenn diese gespenstische Kette aus dem Nichts auftauchen und dort wieder verschwinden wird. Was war das jetzt? Für Türkendemo zu fröhlich, für Attentat zu wenig bumm. Das war ein Teil von Wien, Dummy, wie es leibt, wie es lebt, wie es tanzt und wie es trillert – und nicht vor uns kuscht.