Phettberg, den gestürzten Star, gibt´s auch im Coimic
«Gestions-Gejammer» ist eines der wunderbaren Wörter, mit denen Hermes Phettberg in der ihm eigenen Mischung aus Understatement, Selbststilisierung und ausgestellter Wahrheit sein Dasein und sich selbst kommentiert. Im Juni 2013 ist der Grafiker, Illustrator und Zeichner Walter Fröhlich auf Phettbergs Gestionen gestoßen und war, wie er sagt, von der rohen, ungeglätteten Sprache und ihrem Rhythmus sogleich angetan. Von Martin Reiterer.«Gestionen» und «Gestionsprotokolle» nennt der «Predigtdienst»-Verfasser Phettberg seine akribischen Tagebuchaufzeichnungen, die er seit 2007 regelmäßig ins Netz stellt (http://www.phettberg.at/gestion.htm), eine Art Blog. «Was die Kurzversion des Twitterns ist, ist in totaler Langatmigkeit das Gestionieren.» Die wiederholten Schlaganfälle und ein Herzinfarkt, die er in der Zeit zuvor erlitten hatte, haben Phettbergs Sprachzentrum beschädigt, seine Einträge hat er dennoch über längere Zeit mühselig selbst eingegeben. «Tausenede Tippfhler» schmücken die so belassenen Buchstabenprodukte dieser Zeit, vom Autor als «tippfehlerversauter Radebruch» bezeichnet, während inzwischen seine «Nothelfys», wie er seine Betreuer_inn und Heimhelfer_innen liebevoll nennt, die Tipparbeit verrichten.
Der Zeichner Walter Fröhlich, unter anderem Herausgeber des «Kriminal Journals», hat zuletzt auch Gedichte von H. C. Artmann illustriert. In Phettbergs sozusagen naturbelassenen Gestionen fand er «genau das, was ich nach meinem Artmann-Buch gesucht hatte». Über Crowdfunding hat Fröhlich seine Gestionen-Umsetzung finanziert, die nun als «Blue Jeans. Der Phettberg-Comic» erschienen ist. Ein Grundeinfall ist dabei das Blue-Jeans-Blau, das dem Schwarzweißcomic eine kontrapunktische Färbung verleiht und außerdem die von Phettberg so begehrten Textilien sofort ins Auge springen lässt.
Den Rahmen bilden die Gestionen, die Phettberg im Sommer 2013 zwischen 24. 6. und 14. 8. tippte, als gerade die Phettberg-Dokumentation «Der Papst ist kein Jeansboy» (2011) des deutschen Filmemachers und Schriftstellers Sobo Swobodnik im Wiener Spittelberg-Kino zu sehen war. Dem Phettberg «zum Trost», wie dieser sogleich notiert, «damit alle wissen, dass versaute Kerle wie ich auch nur mit ‹Wasser› kochen müssen.» Der Comic rahmt das Film-Ereignis mit der frisch plakatierten Litfasssäule am Spittelberg, während das Plakat am Ende der Laufzeit überklebt wird. Für Phettberg, einst auch körperliches Schwergewicht, durch die Krankheitsfälle zum Leichtgewicht und »bucklicht Männlein« geworden, inzwischen angewiesen auf Rollator ebenso wie auf Sozialhelfer_innen und Sozialhilfe, ist sein Film Ansporn genug, um sich täglich von Wien Gumpendorf zum benachbarten Spittelberg zu begeben und dafür die nötigen Fahrscheine aufzutreiben.
Seine Aufzeichnungen sind protokollarische Vermerke über Nahrungsaufnahme – meist bei Le Phau oder Steman («Rinsuppe mit Fritatten, Chremespinatt, Spiegelei, geröstete Kartoffel.») –, Medikamentenlisten, Besuche von Helfer_innen. Aber desgleichen über Tagesereignisse, über das Begehren und die Sehnsüchte, über größere und kleinere Missgeschicke («Plötzlich gelingt es mir nimmer, einen Prono tauf »gaytube« zu erreichen») und nun auch über die «Besuchys» seines Filmporträts.
Freudianische Analyse für Arme
Immer wieder kreisen seine Tagebuchaufzeichnungen um das Schreiben selbst, seine Bedeutung, seine Motive und Effekte. «Meine Gestionsprotokolle sind An-flehungen, mich zu befrtiedigen ‹irgendwie halt›», heißt es da nicht ohne Lakonie. Wie an letzten Grashalmen klammert sich Phettberg an seiner Aufschreibetätigkeit fest, die ihn durch seinen Tag begleitet, ihm Halt gibt. Schließlich ist es eine Form der Therapie: «Gestionieren ist eine Art Grosse Freudianische Analyse für Arme», lautet es in «Der Papst ist kein Jeansboy». In dem seinerseits großartig gelungenen Porträt des scheiternden Phettberg liest Josef Hader mit angenehm-einfühlsamer Stimme aus den Gestionen, während dieser in einem Fauteuil sitzend zuhört oder sich mühselig in seiner Gumpendorfer Wohnung herumschleppt.
Dass Phettbergs Verschreibungen im Comic «Zeichen für Zeichen» übernommen werden, erschwert fürs Erste die Lektüre beträchtlich, lässt sich aber auch als buchstäbliche Spiegelung eines Zustands lesen, den Phettberg zugleich beklagt, bejammert, ausstellt und zelebriert: sein Gebrechen, sein Elend, seine Not – seine Gebrochenheit als gestürzter Star. Phettberg, der Star der «Netten Leit Show», ist zum Außenseiter und Anti-Star geworden, der auf den Wiener Straßen
für seine Gebrechen und Armseligkeit beschimpft wird. «[M]eine Zeit ist vorbebei», weiß Phettberg: «Ich bin – Statt Gotty ein Jammer!»
«Ich kann ncht genug gefilmt werden»
Doch Phettberg unternimmt alles, um auch im Elend noch ein Star zu sein. Vielmehr, Phettberg hat sich entschieden, auch in der äußersten Armseligkeit seines Daseins noch ein Star zu sein. Ein Star im Elend: Der Glanz, das Schimmern, darf dabei niemals aus Beschönigung entstehen. Das ist die kompromisslose Bedingung für dieses Glänzen. Und Phettberg selbst ist der schonungslose Verwalter der Akte dieses unbeschönigten Glanzes, dessen Aufblitzen die Mühen der täglichen Geduld nicht zu überblenden vermag. Doch da kommt ihm der Film zu Hilfe. Denn obwohl das Aufschreiben gleichsam Phettbergs Lebenselixier geworden ist, wirkt es dennoch wie ein Ersatzmittel, wenngleich wie das beste aller Ersatzmittel. Denn sein eigentliches Lebenselement ist der Film: «Ich kann nicht genug gefilmt werden!», sagt er in dem Porträt, und die Aufzeichnungen während der Spittelbergvorführungen sind wie Fußnoten zum Film-Porträt: «Es hilft mir, seeelisch, wenn ich über ‹mich› e-cho-en sehe!» Man kann nachverfolgen, wie die Nachricht, dass sein Film ins Kino kommt, ihn förmlich aufbaut, nachdem er kurz zuvor, selbigen Tags um 5.40 Uhr, noch notiert hatte: «Heute nicht! Mir ist alles zu viel!»
Als die Laufzeit des Films am Spittelberg zu Ende ist, erhält Phettberg einen Auftrag für eine Rolle als Schauspieler, ein neuer Lichtblick öffnet sich. In «A Perception» (2015) von dem deutschen Regisseur Daniel Pfander spielt Phettberg den heruntergekommenen Freiherrn Vivigenz von Hohenholz. Eine Rolle, die ihm wie auf den Leib geschrieben ist, nicht zuletzt aus dem Grund, weil Phettberg als abgezehrter Gutsherr das vollendete Pendant zu dem von ihm heruntergewirtschafteten Gutshof darstellt. Als Teil einer zwar erdachten und unbeabsichtigten Trilogie schlägt der Comic eine passende Klammer zwischen den beiden Filmen «Der Papst ist kein Jeansboy» und «A Perception». Seine Stärke ist es, dass er Phettbergs mühselige Aufzeichnungen in all ihrer Fast-Unlesbarkeit, ihrer Kakografie beibehält, sie aber durch die leicht karikativ-clownesken Zeichnungen und eine gut getimte Rhythmik zugänglicher und zugleich lesbarer macht. Am aufschlussreichsten wird der Comic, wenn man sich die Filme dazu ansieht, am besten wenn sie wieder einmal im BSL-Kino, den wunderbar morbiden Breitenseer Lichtspielen gezeigt werden.
Info:
Hermes Phettberg, Walter Fröhlich: Blue Jeans. Der Phettberg-Comic. Ohne Verlag: Wien, 2015