TaxiDichter Innenteil

Ich habe mal so ein feines Erlebnis mit einer Taxifahrerin gehabt, daran habe ich mich eben erinnert.

Ein Montagmorgen. Ich eh schon grantig. Mit einem Klienten. Ein Mann mit Lernschwierigkeiten. Zu dieser Zeit wurde «geistig behindert» gesagt. Im Grunde war er aber vor allem Martin. Still vor sich hinschmunzelnd. Er sprach nie. Beziehungsweise ganz selten. Man sah ihm aber sofort an, dass er, nun ja, Martin war. Ich sollte mit ihm ins Spital fahren, so mein Auftrag. Eine Kontrolle. Also nichts Schlimmes.

Wir riefen ein Taxi und stiegen ein. Die Taxlerin war so eine echte Wienerin. Eine derbe Plaudertasche. Meine Laune sofort noch schlechter. Martin schmunzelte. Weil Autofahren voll super. Die Taxlerin sah Martin so seltsam an. Ging mir gleich voll am Arsch. Entweder wird sie nun sagen, wie «arm der nicht sei» oder «was ich nicht für einen tollen Job mache». Ja genau.

Taxi fahren mit Martin. Voll toll. Und Montagmorgen.

Sie laberte mich auch sofort an. Ganze Zeit. Mein finsteres Gesicht irritierte sie nicht im Geringsten. Das mit dem Ohrenzuklappen funktioniert nur im Film. Nicht im echten Leben.

Ich versuchte zu ignorieren, was sie von sich ließ, und studierte mühsam das morgendliche vorbeiziehende Wien. Aber irgendwas an ihrem Gelabere irritierte mich schließlich. Ich begann hinzuhören.

Die Taxlerin erzählte von ihrer behinderten Enkelin. Von dem Drama, dass ihre eigene Tochter ihre behinderte Tochter nicht erziehen konnte oder wollte. Sie selbst aber, also die Oma und Mutter, hatte schon immer Vorbehalte gegen die «Tschopperln». Sie mochte keine Behinderten. Die sind für nix gut, meinte sie, erzählte sie. Braucht niemand.

Meine Ohren wurden nun immer größer. Das stimmt natürlich auch nicht. Dies funktioniert maximal nur im Film. Sie erzählte so offen und frei heraus, diese derbe, bösartige Frau. So erschien sie mir. Und verwandelte sich nun, langsam, aber stetig vor meinen Augen. Sie erzählte davon, dass sie plötzlich damit konfrontiert war, wieder ein Kind erziehen zu müssen. Ein behindertes Kind. Noch dazu ihr Enkelkind. Und es sie graute. Dies nicht wollte. Weil die niemand braucht.

Mich fragte sie zwischendurch immer wieder nach meinem Job als Betreuer. Was ich da tu? Und wie? Und wie ich diese Menschen sehe.

Schließlich verstand ich ihr Interesse. Sie erzählte, wie es ihr von Tag zu Tag klarer und wichtiger wurde, ihre behinderte Enkelin zu erziehen. Für diese da zu sein. Wie wertvoll ihre behinderte Enkelin sei, was sie nicht doch alles kann, welche Fördermöglichkeiten es gibt und sie dies alles nicht gewusst habe! Sie alles völlig falsch eingeschätzt habe …

Beschämt saß ich hinten und hörte fasziniert dieser Frau zu, wie sie von ihrem Alltag erzählte. Von ihrem (erfolgreichen) täglichen Kampf gegen Ungerechtigkeiten im Alltag und der Gesellschaft, von den schwierigen Umständen, wenn man ein behindertes Kind in Wien großzieht, es in Kindergarten oder Schule geben möchte, wie die Menschen es ansehen und so weiter und so fort.

Sie erzählte von ihrem Erwachen und Sich-darüber-Klarwerden, dass ihre Enkelin, ihre behinderte Enkelin etwas ganz Besonderes und Wunderbares ist. Mehr als lebenswert. Und dass überhaupt Menschen mit Behinderungen völlig normal sind. Dies wurde ihr immer klarer.

Viel zu schnell ging diese Taxifahrt vorüber. Sehr bald waren wir beim Spital. Martin und ich mussten aussteigen, ich zahlte, und sie sagte diesen wunderbaren Satz, welchen ich später für die Initiative «WIRSINDÖSTERREICH» verwendete: – Aber ohne die ganze Geschichte ist er nur halb so viel wert:

«Wissen sie?«, hat sie zum Abschied zu mir gesagt, «wissen Sie, es ist gut, dass wir Menschen so verschieden sind, weil so können wir uns besser ergänzen.»

Diese Frau hat es innerhalb von 20 Minuten geschafft, meinen Montagmorgengrant verschwinden zu lassen und mir, wieder einmal, unbeabsichtigt zu zeigen, wie deppert und überheblich ich doch manchmal durch die Welt geh. Wie viele wertvolle Menschen doch in ganz verschiedenen Erscheinungen und Sprachen sich in Wien und der ganzen Welt aufhalten. Man kann sie vielleicht nicht immer sofort erkennen. Wie denn auch?

Also Obacht. Dieser Alltagsrassismus erwischt einen selbst immer und immer wieder.

Danke, liebe Taxifahrerin.