Taxi, Uber, Bolt. Um dem Preisdumping im Taxigewerbe durch Uber und Co. Einhalt zu gebieten, ziehen Gewerkschaft, Wirtschaftskammer und Taxler_innen an einem Strang. Die vielen armutsgefährdeten Fahrer_innen der millionenschweren Start-ups
spüren die Auswirkungen.
Text: Christof Mackinger, Illustrationen: Barbara Ott
«Es war die bestbezahlte Arbeit, die ich in Österreich je hatte», schwärmt Dragoș L.* am Telefon. Zwar musste er dafür sieben Tage die Woche, jeweils zwölf Stunden am Tag, auf Abruf bereitstehen, aber das habe sich ausgezahlt. Drei Monate lang hat er bisher für den Plattformdienst Bolt als Ein-Personen-Unternehmen (EPU) in Wien Taxis gelenkt. Das ist es wohl, was Karl Delfs von der Gewerkschaft vida als «enorme Selbstausbeutung» bezeichnet, zu der tausende Menschen in Österreich bereit sind, weil sie am Arbeitsmarkt kaum eine andere Möglichkeit hätten. Zudem: «Man gewöhnt sich an Dinge», so der vida-Fachbereichssekretär für den Bereich Straße.
Eine Fahrerin, ein Unternehmen.
Seit einigen Jahren machen sich sogenannte Plattform-Dienstleister wie Uber oder Bolt im heimischen Personentransportsektor breit. Das freut viele Kund_innen – immerhin sind die Taxifahrten dort um bis zu einem Drittel billiger – und auch viele Fahrer_innen, die die niederschwellige Arbeitsmöglichkeit in Anspruch nehmen. Weniger erfreut sind klassische Taxiunternehmen, Wirtschaftskammer und Gewerkschaften, die von einer Wettbewerbsverzerrung sprechen. Deswegen wird die gesamte Branche mit Anfang nächsten Jahres neu geregelt. Das wird zwar den Wettbewerb fairer gestalten und die Gewinne der Neuen schmälern; die Neuregelung wird aber auch viele der Ärmsten unter den Fahrer_innen aus dem Geschäft drängen.
«Ich habe nach einem zweiten Job gesucht, es gab aber keinen, bei dem ich flexibel genug bin, um mich um meine Kinder zu kümmern», erzählt etwa Osas M.*, Alleinerzieherin und AUGUSTIN-Verkäuferin, der der Zeitungsverkauf alleine zu wenig Geld einbringt. «Ein Freund hat mir letztes Jahr von Uber erzählt.» Seitdem fährt die junge Frau aus Nigeria Taxi. Körperliche Einschränkungen, mangelnde Deutschkenntnisse oder ein gesetzlich eingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt – es gibt viele Gründe, warum Menschen sich ihre Jobs «selbst schaffen» müssen. Asylwerber_innen etwa dürfen mit wenigen Ausnahmen kein Anstellungsverhältnis eingehen – Unternehmensgründung ist ihnen aber erlaubt. Und auf genau solche Ein-Personen-Unternehmen wie Osas M. und Dragoș L. baut das Modell Uber auf.
Vermittlung statt Anstellung.
Seit rund fünf Jahren konkurrieren in Wien Unternehmen wie Uber, Holmi oder Bolt mit herkömmlichen Taxiunternehmen. «In Wien gibt es einen amtlich verordneten Tarif für alle Taxifahrten mit Taxameter, daran hat sich Uber nie gehalten», erklärt Paul Blachnik von der Bundessparte Transport und Verkehr der Wirtschaftskammer. Die Wirtschaftskammer vertritt zwar die Taxibranche und Unternehmen wie Uber gleichermaßen, in der Sache musste man sich aber offensichtlich den Protesten der tradierten Taxler_innen beugen. «Die Auseinandersetzung ist eskaliert», erzählt Blachnik und meint damit nicht nur die Straßenproteste der Wiener Taxler_innen 2018 und 2019, sondern auch Gerichtsverfahren zwischen klassischen Taxiunternehmen und dem Plattformdienst Uber. Das Prinzip Uber arbeite nämlich mit einem Trick: Man würde nur zwischen Fahrgästen und Fahrer_innen vermitteln, mit dem Taxigeschäft an sich will man nichts zu tun haben. «Uber selbst stellt die Technologieplattform zur Verfügung», so eine Sprecherin auf AUGUSTIN-Anfrage, nämlich die Handy-App, mit der das neuartige Taxi bestellt werden kann. Bucht man bei Uber oder Bolt eine Fahrt, so wird die Buchung an ein Mietwagenunternehmen weitergeleitet, das wiederum die Fahrer_innen – alles EPUs – vermittelt. Mietwagenunternehmen müssen sich bisher nicht an die gesetzlichen Regelungen für Taxis halten: Sie haben nicht nur bei der Preisgestaltung freie Hand, ihre Fahrer_innen benötigen auch keinen Taxischein. Damit wurde der Sektor der Personentransportdienstleistung auch für die Ärmsten unter den Arbeitssuchenden geöffnet.
Wie ein fahrender Geist.
Weil die niedrigen Preise von Uber und Co. Kundschaft anziehen, brach für die klassische Taxibranche schon vor Jahren das Geschäft ein. Das musste der Taxikleinunternehmer Keivan Amiri, seit bald 20 Jahren im Geschäft, selbst erleben: «Durch Uber habe ich 50 Prozent meiner Kunden verloren», klagt der Wiener. In der Taxibranche gäbe es ständig Polizeikontrollen. «Warum nicht auch bei Uber?» «Wie ein Geist» fahre Uber durch die Stadt, so beschreibt der Taxler die ungreifbare Struktur des Unternehmens: ungekennzeichnete Autos und eine steuereffiziente Firmenkonstruktion mit Zentrale in den Niederlanden. Die Uber Austria GmbH zahle natürlich «ganz regulär Steuern in Österreich», beteuert eine Sprecherin. Die GmbH verwaltet die Uber-App und hat dafür vermutlich eine überschaubare Anzahl an Beschäftigten. Was seine rund 3.000 selbstständigen Fahrer_innen betrifft, ist das Unternehmen aber nicht abgabenpflichtig. Gewerkschafter Delfs nennt das Modell «Parasitärwirtschaft»: Unternehmen entziehen sich der Zahlung von Steuern, Lohnnebenkosten und Sozialversicherung und wälzen jedes finanzielle Risiko auf die individuellen Fahrer_innen ab. «Wenn alle in Österreich so wirtschaften würden, hätten wir bald keine Arbeitsplätze und keine Steuereinnahmen mehr», sagt Delfs. Zwar gibt man sich bei Uber zugeknöpft, was die Finanzen angeht, Gerichte gehen aber in Österreich von einem Monatsgewinn von 1,5 Millionen Euro aus. Osas M. fährt fünf Tage die Woche für Uber. Sie schätzt daran vor allem die Flexibilität. «Wenn mich der Kindergarten anruft, dass mein Kind Fieber hat, dann kann ich direkt die Arbeit beenden.» Spricht M. über ihre Einkünfte pro Stunde, so zeigt sich, wie niedrig die Messlatte angesetzt ist: «Manchmal bekommt man in drei Stunden nur eine Fahrt und verdient zehn Euro, zu einem anderen Zeitpunkt kann man zwanzig Euro pro Stunde verdienen.» Fünfzig Prozent des Fahrpreises gingen an die Fahrerin, der Rest an die Autovermietung und Uber, erzählt Osas M. Auch vom Trinkgeld müsse sie die Hälfte abtreten. Mit diesem Modell scheint Uber – zumindest in Österreich – wirtschaftlich gut zu fahren. Dem Uber-Geschäftsführer Dara Khosrowshahi wurden 2017 allein 200 Millionen Dollar bezahlt, um von seiner alten Firma zu Uber zu wechseln. Letztes Jahr, als Sebastian Kurz im Silicon Valley unterwegs war, traf der damalige ÖVP-Chef und später Wieder-Bundeskanzler Kurz auch mit dem Uber-Millionär zusammen. Man sei sich einig, dass es einen «fairen Wettbewerb» geben solle, wurde damals verlautbart.
Das Gesetz der Straße.
Klar war aber auch, dass Khosrowshahi über die gesetzlichen Auseinandersetzungen im Kurz-Land «not amused» ist. Nachdem der Europäische Gerichtshof schon 2017 festgestellt hat, dass Uber tatsächlich eine Verkehrsdienstleistung erbringt, wurde 2019 eine Gesetzesnovelle beschlossen, wodurch die selbst auferlegten Sonderrechte der Branche wegfallen sollen. Damit wollte man eine Situation beseitigen, bei der «der eine mit Turnschuhen, der andere aber mit Bleipatscherl spielt», wie es Karl Delfs von der Gewerkschaft ausdrückt. Mit Jahresbeginn 2021 werden das Taxi- und das Mietwagengewerbe in der Novelle des Gelegenheitsverkehrsgesetzes zusammengelegt – branchenintern spricht man von der «Lex Uber». Die Neuerung sei «Ergebnis eines Kompromisses» und bringe «gleiche Spielregeln für alle», meint Paul Blachnik von der Wirtschaftskammer, aber «genug Freiraum auch für andere Geschäftsfelder».
Anders sieht man das bei Uber. Beinahe apokalyptisch äußert sich ein Sprecher auf AUGUSTIN-Anfrage, mit der Gesetzesnovelle würde man die «moderne und nachhaltige Mobilität in Österreich de facto abschaffen». Zuversichtlicher gibt man sich beim Konkurrenten: «Bolt ist eine flexible Mobilitätsplattform und wird sich an den österreichischen Markt anpassen.» Man habe zusätzlich zum Billigangebot bereits eine Taxisparte, die Kund_innen könnten selbst entscheiden.
Was aber heißt die Gesetzesnovelle für die Fahrer_innen von Uber, Bolt und Co.? Mit Beginn des nächsten Jahres sind sie verpflichtet, den Taxischein zu absolvieren. Das bedeutet neben einem zu bestehenden Test, «ausreichenden Deutschkenntnissen» und der regelmäßigen Überprüfung von Zuverlässigkeit und Unbescholtenheit der Fahrer_innen auch Kosten für Kurs und Prüfung. Für die untersten Einkommensschichten kann das zum Problem werden.
(F)Lex Uber. Osas M. betrachtet die Gesetzesänderung zwar als Hürde, unversucht will sie die Taxiprüfung aber nicht lassen: «Ich bleibe optimistisch.» Auch Dragoș L. wird sein Glück versuchen: «Ich will in der Branche bleiben.» Im Moment hat er ohnehin andere Probleme: Gemeinsam mit seiner Familie ist er im März auf Besuch zur Verwandtschaft nach Rumänien gefahren, wo er von Covid-19 und den folgenden Einreisebeschränkungen überrascht wurde. Aktuell erscheint die Rückreise nach Österreich, wo die Familie L. seit 2008 lebt, schwierig. Zurück in Wien will Dragoș L. wieder für Bolt fahren.
Was für den Gewerkschafter Delfs «Überausbeutung» ist, ist für Migrant_innen wie Dragoș L. und Osas M. «der bestbezahlte Job», den sie bisher in Österreich gefunden haben. Um in diese paradoxe Situation eingreifen zu können, würde sich die gewerkschaftliche Organisierung der auf sich gestellten Ein-Personen-Unternehmen anbieten, wie die Gewerkschaft vida mit ihrem Verein vidaflex zumindest theoretisch in den Raum stellt. Gewerkschaftssekretär Karl Delfs ist jedoch der Meinung, solche Dienstverhältnisse solle es rechtlich «gar nicht, oder nur stark eingeschränkt» geben. «Wenn sich eine Dienstleistung mit ordentlichen Anstellungsverhältnissen nicht ausgeht, dann hat sie auch nicht zu sein.» Diesen Wunsch wird ihm die «Lex Uber» nicht erfüllen.
* Namen von der Redaktion geändert
Rote Zahlen, satte Gewinne
Das 2009 in San Francisco gegründete Unternehmen Uber vermittelt neben Taxifahrten auch E-Tretroller, E-Fahrräder, liefert Essen aus und macht einen Jahresumsatz von 11,3 Mrd. US-Dollar. Weltweit erledigen die 3,9 Millionen Uber-Fahrer_innen täglich 14 Millionen Jobs. Aktuell operiert Uber in 600 Städten in 65 Ländern. Obwohl das Unternehmen derzeit noch rote Zahlen schreibt, beträgt sein Marktwert 72 Milliarden Dollar. Unlängst titelte das Börsenmagazin DerAktionaer.de: «Uber-Anleger jubeln nach starken Zahlen». Medien gegenüber gibt das Unternehmen kaum Zahlen bekannt, aktenkundig ist aber, dass Uber in Österreich einen Monatsgewinn von 1,5 Millionen Euro einfährt.