Sama Maani macht die Wahrheit durch Verzerrung glaubhaft
Passiv und beiläufig schlittern die fragilen Helden von Sama Maanis neuem
Roman, die sich als Vollstrecker der Geschichte wähnen, in einen Gottesstaat – in
einem Land, in dem am wenigsten die Klerikalen an diesen Gott glauben.
Richard Schuberth hat sich von diesem ebenso witzigen wie tragischen Buch
überraschen lassen.
Auf wunderliche Pfade lockt der österreichische Autor Sama Maani die Leser_innen schon am Anfang seines Romans Teheran Wunderland. Der Ich-Erzähler – wie der Autor persischer Abstammung – gerät durch Zufall in die Demonstration von Exiliraner_innen gegen das Regime in ihrer Heimat. Von den Ereignissen wird er in ein Wirtshaus namens «Die deutschsprachige Gemütlichkeit» gezogen, wo drei Brüder ihn als neutralen Zeugen zu einem eigentümlichen Familientribunal einladen. Einer von ihnen soll nämlich mit dem klerikalfaschistischen Regime kollaboriert haben.
Der Schriftsteller, Psychoanalytiker und Kulturkritiker Sama Maani, der mit 12 Jahren nach Österreich kam, erzählt die Geschichte der iranischen Revolution als Farce. Nicht zu Unrecht gilt er als streitbarer Kritiker des Kulturalismus, wovon schon der Titel seines auch bei Drava erschienenen Essaybandes Respektsverweigerung zeugt: Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht. Und so spielt er mit unseren Vorstellungen kultureller Differenz ebenso wie mit den revolutionären Illusionen einer kleinbürgerlichen Linken. Diese muss hilf- und ratlos dabei zusehen, wie ihre Revolution – die ja dem vorbestimmten Lauf der Geschichte gemäß, welcher sie als Avantgarde vorstünde, eine proletarische sein müsse – von den religiösen Fanatikern binnen kurzer Zeit übernommen wird. Eine kleine Ohrfeige auch für die Selbstüberschätzung einer Schicht, welche das einfache Volk idealisiert und zugleich zur Manövriermasse des eigenen emanzipatorischen Führungsanspruchs verdinglicht.
Zu Beginn der Revolution verliebt sich der Poet unter den Brüdern in eine Proletarierin. Als diese ihm wegen des Sohnes eines Wurstfabrikanten, des Klassenfeindes also, verlässt, wird eine Dynamik von epischem Ausmaß in Gang gesetzt. Vorausgeschickt sei, dass ganz Teheran amerikanische TV-Serien schaut, gerne sauft und von früh bis spät Wurstsemmeln verzehrt, auf deren Inhalt Sams Vater, der Wurstfabrikant, das Monopol hält.
Wir sind in Teheran und nicht in Berlin.
In seiner Enttäuschung lässt sich der Poet zu einer lyrischen Abrechnung mit den Frauen hinreißen und dichtet die hinreißend blöden Zeilen: «Versuche sie also nicht zu verstehen / Wie soll das auch gehen / Sie versteht sich ja selbst nicht / Und bevor sie dich bricht / Komm zu Verstand / Und nimm ihr bitte das Heft aus der Hand / Du musst sie bezwingen / Du musst sie erzieh’n / Wir sind in Teheran / Und nicht in Berlin.» Prompt kriegen Machismo und narzisstische Kränkung moderner linker Männer ihre folgerichtige Rechnung serviert. Er, der so gerne der Chefpoet der proletarischen Revolution geworden wäre, muss mit Schrecken erkennen, dass er über Nacht zum Lieblingsdichter der Religiösen avanciert ist und sein «Berlin-Gedicht» von den fanatisierten Massen in den Straßen skandiert wird.
Als er seinen Widersacher, den Klassenfeind Sam, töten will, bemerkt er, dass dieser längst Karriere bei den Klerikalen gemacht hat. Mit dessen Verhältnis zur Religion liefert Maani einen interessanten psychologischen Schlüssel zum Verständnis des modernen Fundamentalismus, das über bloßen Opportunismus oder gar Gläubigkeit hinausweist: Identifikation mit dem Angreifer und ein unendlicher Pool an Allmachtsfantasien, auch gegenüber der Religion: «Und mit der Stimme des Glaubens wäre ihm möglich, was ihm als Ungläubiger undenkbar schien: auf Gott zu scheißen.»
Ausbildung zum Mädchen.
Immer bizarrer und unglaubwürdiger werden die Maßnahmen der gekidnappten Revolution, deren Vollstrecker sich als Meister der repressiven Toleranz erweisen. Kritiker_innen werden manchmal erschossen, zuweilen auch – wie im konkreten Fall der jüngste Bruder – in luxuriöse Umerziehungslager verfrachtet, wo die Umerziehung darin besteht, die freien Geister ihre Freiheiten in solch einer Gated Community so frei ausleben zu lassen, bis sie diese über haben. Böse, wer Böses dabei denkt, und das – auch – als Anspielung auf die sozialen Echoräume unserer Tage verstehen will.
Für Männer mit schwulen Neigungen gibt es eine Möglichkeit, dieser Toleranzhölle vorzeitig zu entkommen. Das Regime, radikal puritanisch und schwulenfeindlich und doch aus allen Poren seiner patriarchalen Kumpanei homophil und vergewaltigungsbereit, hat eine sehr zweckrationale Lösung gefunden, dieses scheinbare Paradox zu seinem Nutzen zu wenden. Männer können sich mit juristischem und geistlichem Sanktus zu «Mädchen» ausbilden und sich hernach vom Staat als ideellem Gesamtzuhälter in eigenen Bordellen für gottesfürchtige Freier prostituieren lassen.
Sama Maani ist ein Aufklärer. Aufklärer_innen stellt man sich, weil sie beständige Störenfriede sind, zu oft als grimmige Gestalten vor. Er aber ist ein heiterer, freundlicher Aufklärer. Da aber jegliche Satire gegen eine wahnwitzige Realität abstinkt, hat Maani auf eine alte Methode zurückgegriffen, die sich in seinen verspielten Händen bestens bewährt. Andere verrätseln die Wirklichkeit, verdoppeln sie bloß oder flüchten aus ihr, er macht sie durch das Fantastische kenntlich, indem er ihre Koordinaten verschiebt, sie als Parabel und bösen Traum erzählt, aus dem zu erwachen nur durch bessere Revolutionen gelingen mag. Und diese Methode möge uns noch viele weitere kurzweilige Romane dieses
Autors bescheren.
Sama Maani:
Teheran Wunderland
Drava 2018, 104 Seiten, 19,80 Euro