Telemark am Himmelhofvorstadt

Der Sprunglauf in Wien ist nicht absurd gewesen

Auf den Hängen über Hietzing begeisterten die Skispringer vor 50 Jahren die Massen, erfuhr Reinhard Krennhuber im dortigen Bezirksmuseum. Bis der nächste Stadtadler über einen Wiener Bakken geht, könnte aber noch viel Schmelzwasser die Donau hinunterfließen.

Foto: Bezirksmuseum Hietzing

Wenn ab 18. Februar die Skispringer_innen im schwedischen Falun ihre Weltmeister_innen küren, werden auch tausende Wiener_innen die Bewerbe im Fernsehen mitverfolgen. Den wenigsten dürfte dabei bewusst sein, dass auch die Bundeshauptstadt über eine fesche Tradition im Sprunglauf verfügt. Zwar sind deren Spuren weitgehend verwischt, an einer Wiederbelebung wird jedoch gearbeitet.

(zwiti) Pürstl und die 20.000

Was der Bergisel für Innsbruck, war für Wien der Himmelhof. Auf den steilen Wiesen am Rande des Lainzer Tiergartens, die bis dahin Skifahrern, Rodlern und Wildschweinen vorbehalten gewesen waren, errichtete die Wiener Ski Union 1948 eine Schanze, die Sprünge von bis zu 45 Metern erlaubte. Eine für die bescheidenen Nachkriegsverhältnisse aufwändige Holzkonstruktion trug Anlauf und Schanzentisch», schrieb der Heimatkundler Emil Mlejnek für einen Vortrag. Als Aufsprung habe der darunter liegende Steilhang gedient, «dem man die richtige Kurve verlieh, indem der Hohlweg mit Holz überdacht und die Talsohle durch Erdarbeiten zum Auslauf am Gegenhang hin präpariert wurde». Für den Bau der Schanze mussten 300 Kubikmeter Erde händisch bewegt werden – eine Maloche, die Freiwillige des Skiklubs Hadersdorf erledigten. «Als Lohn gab es manchmal eine Handvoll Zigaretten», so Mlejnek – und wohl auch Ehrenplätze bei den ersten Bewerben, die ab Jänner 1949 über den Bakken gingen.

Die Skispringen am Rande der Metropole wurden schnell zum Renner. Unter den Teilnehmern fanden sich nicht nur die mutigsten Wiener, sondern auch Koryphäen wie Otto Leodolter, Sepp Wallner und der spätere Vierschanzentournee-Sieger Willi Pürstl. Bei beachtlichem Publikumsinteresse: Jahr für Jahr pilgerten Tausende von der Endstation der Stadtbahn in Hütteldorf die Hänge hinauf. Vierstellige Besucherzahlen waren keine Seltenheit, 1953 verfolgten laut Medienberichten gar 20.000 Zuschauer_innen die «Wiener Meisterschaft im Spezialspringen».

(zwiti) Billige Hetz, feuriges End

Live erlebt hat den Hype ab den 1960er Jahren auch Ewald Königstein. Der Gymnasiallehrer und Leiter des Hietzinger Bezirksmuseums wuchs direkt am Himmelhof auf und konnte im Winter mit den Skiern bis in den Garten des Elternhauses abfahren. «Immer wenn eine Action auf der Schanze war, haben wir das natürlich mitgekriegt», erzählt Königstein. «Es war faszinierend, dass da Buben runtergesprungen sind, die kaum älter waren als ich. Für mich war die Abfahrt über den Auslauf das höchste der Gefühle.» Die Popularität des Springens erklärt der 64-Jährige auf gut Wienerisch: «Es is a Hetz und kost ned vü.» Konkret ein paar Schilling, die Kassierer von den Schaulustigen eingesammelt hätten. Auch wenn es Berichte im Radio und später auch im Fernsehen gab, habe vieles improvisiert gewirkt, meint der Zeitzeuge. «Die Weitenrichter haben mit Skistöcken die Weite angezeigt. Wenn es zwei Meinungen gegeben hat, hat man sich auf die Mitte geeinigt.»

Bis in die 1970er war Skispringen ein fixer Bestandteil des Wiener Wintersports, danach sorgten schneearme Winter für einen Bruch. 1978 ging die letzte Sprungkonkurrenz am Himmelhof in Szene – mit dem Steirer Hans Ruhmhofer als Sieger, der mit 46 Metern auch den Schanzenrekord markierte. Am 1. Juni 1980 blieb von der alten Holzkonstruktion nicht mehr übrig als ein paar verkohlte Scheiter. Laut Mlejnek hatte eine Einbrecherbande eine «Rauschgiftparty» am Himmelhof gefeiert und die Schanze dabei angezündet. Nach ein paar Tagen medialer Aufregung wurde es ruhig, ein Wiederaufbau kam nicht zustande. «Es wurde zwar viel darüber geredet, aber die Entwicklungen im Skispringen hatten den Himmelhof überholt», sagt Museumsleiter Königstein. Auch andere Anlagen in der Umgebung – etwa in Mauerbach oder in Kaltenleutgeben – mussten den Betrieb einstellen.

(zwiti) Schanzenlose «Stadtadler»

Sprungschanzen sucht man heute in Wien vergebens. Das Skispringen erfreut sich aber nicht erst seit den Erfolgen des Tullners Thomas Diethart auch unter Flachländer_innen steigender Beliebtheit. In der Hauptstadt finden sie beim Skisprungclub der «Wiener Stadtadler» eine Anlaufstelle, unter den Fittichen des ehemaligen Weltcupspringers Christian Moser und seiner Trainerkolleg_innen gehen rund 50 großteils jugendliche Wiener_innen dem exotischen Hobby nach.

«Für das Trockentraining haben wir sehr gute Bedingungen. Zum Springen müssen wir mit den Kindern aber nach Mürzzuschlag in die Steiermark fahren», beklagt Moser den hohen Aufwand, der viele Talente abschrecke. Die Stadtadler verhandeln deshalb seit Jahren mit dem Rathaus über den Bau von drei Kleinschanzen. Konzepte sind vorhanden, weil die Kosten in die Millionen gehen, waren die Pläne bisher aber nicht realisierbar. Ein möglicher Standort wäre der Kasgraben im 14. Bezirk. Gegenüber am Himmelhof ist für Sprungschanzen kein Platz mehr. Denn dort, wo die Wiener einst fliegen lernten, ist heute fast alles verbaut.

Info:

www.wienerskispringer.at

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