Eishockey in Wien, Teil 2: Platzhirsche und Nachwuchs
Die Vienna Capitals haben den Meistertitel geholt und blieben in den Playoffs sogar ungeschlagen. Das Match um die Fankultur und die Nachwuchspflege wurde schon deutlich früher gewonnen. Karl Weidinger (Text und Fotos) war beim Lokalaugenschein im Eissportzentrum Kagran in der Donaustadt.
(Fototext: Die Albert-Schultz-Halle ist auch Sitz der Nachwuchsakademie, dem vereinseigenen Schulungsbetrieb)
Die Namen der Eishockeyteams, eine Geschichte für sich. Die Adler (gleich zweimal), die Haie, die Füchse und die roten Bullen. Die Vienna Capitals stechen als «Wiener Hauptstädter» aus dem Reigen von Tiernamen. Wie bei den «Säbelzahntigerinnen» (siehe Ausgabe 433) haben die meisten Begriffe ihren Ursprung in der amerikanischen Eishockey-Tradition.
Die «Platzhirsche» laufen als Vienna Capitals aufs Eis. Der Verein wurde zum Millennium 2000 gegründet und spielt seit der Jahrtausendwende in der höchsten Spielklasse in der Albert-Schultz-Halle. 2005 gewannen sie gegen den Rekordmeister KAC aus Klagenfurt. Und wieder gegen den KAC ist der Meistertitel zum Greifen nah. Läuft also bei den «Caps».
«Niemand braucht es sich zweimal überlegen, zu uns in die Halle zu kommen. Viele Familien, auch mit Kindern, wissen, dass die bei uns sicher und gut aufgehoben sind», sagt Thomas Zach, zuständig für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.
Die Legende vom Testosteron, ein Mythos? Das Männlichkeitshormon besitzt eine anabole, muskelaufbauende Wirkung. Ein hoher Testosteronspiegel steigert dominantes und aggressives Verhalten – was gut sein soll für den harten Sport. Angeblich ist dieser bei einem Heimspiel höher, um sein Revier, sein Territorium zu verteidigen. In der ersten Meistersaison der Vienna Capitals gingen die ersten sechs Begegnungen jeweils für die Heimmannschaft verloren. Es siegte immer das Auswärtsteam. Beweis oder Gegenbeweis, Ausnahme der Regel? Eins ist sicher: Fans und Fankultur haben sich in letzter Zeit deutlich gebessert. Mit oder ohne Überschuss an Männlichkeit.
Der Kampf ums Niveau
Früher gab es noch Derbys, also direkte Duelle um die Vorherrschaft in Wien: WEV gegen Stadlau stand für Rivalität auf unterster Ebene. Im damaligen Rockermilieu gab es durchaus ein Gewaltproblem (oder ein soziales?) rund ums Eis.
Der Kampf ums Niveau: Fankultur versus Hooliganismus; unausrottbar wie das Begriffspaar Feuer und Eis. Müssen Gestörte auch dazugehören, Inklusion von jedem, um jeden Preis (wie bei Rapid oder Austria)? Unlängst warf jemand aus der vermeintlich anonymen Masse vor der U-Bahn-Station Kagran einen Böller in die Menge und traf ein Mädchen. Knalltrauma. Der Übeltäter war schnell ausgeforscht: ein Villacher «Fan», der ein Verfahren plus Stadionverbot bekam. Sanktionen wirken, sind effektiv, wenn sie nicht gegen eine Horde unbelehrbarer Gewaltfanatiker ausgesprochen werden müssen.
Nach Konkursen und Zwangsabstiegen hat seit 2003 der WE-V (jetzt Wiener Eislöwen-Verein) wieder eine Kampfmannschaft auf regionaler Ebene. In der Oberliga, Österreichs dritthöchster Spielklasse, sind zwei Wiener Vereine aktiv: Die Spielgemeinschaft um die Junior Capitals und «Die 48er». In der Wiener Liga sind sogar sechs Teams am Start, in der Unterliga zwölf.
Trainingstag im Eissportzentrum Kagran. Auch hier der Kampf ums Niveau – im wörtlichen Sinn. Stiegen ohne Ende, Niveauunterschiede auf allen Ebenen. Stufen und Abstufungen, barrierefrei ist hier kaum etwas. Dafür ist das Training «niederschwellig», also öffentlich und eintrittsfrei. Alle vier Linien trainieren Abläufe. Die gelben Shirts separieren die Verteidiger von den schwarzen Trikots der Stürmer. Alle ballern im Stakkato aufs Tor, kreiseln in schnell wechselnden Formationen. Der Trainer steht zwischen zwei Mini-Pyramiden, die diesen Bereich als Tabuzone markieren. Er beobachtet, lobt und tadelt einzeln, indem er rückwärts vor den Spielerstars davonfährt, die ihm folgen müssen, um zuzuhören. Dominanzverhalten. Sein Übungsleiter an der Flanke ordnet die Einheiten. In Strategiepausen sammelt er die abgewehrten Pucks ein und befördert sie dorthin, wo sie für die nächste Serie gebraucht werden.
Wer schaut noch zu? Eine Spielerfrau samt Spielerkind, wahrscheinlich. Die Dienstwohnungen liegen gleich hinter der Anlage. «Alle kommen zu Fuß in die Halle», sagt Thomas Zach, der Vereinssprecher. Eine Eishockeysaison hat durchaus Ähnlichkeiten mit einem Schuljahr. Es beginnt im Spätsommer und endet, je nach Erfolg früher oder später, im Frühjahr. Der Vergleich ist nicht abwegig. Die Albert-Schultz-Halle ist auch Sitz der Nachwuchsakademie, des vereinseigenen Schulungsbetriebs.
Theorie und Praxis
Nicht nur Tor-, sondern auch Schulabschlüsse sind hier gefragt. Pflichtschule, Handelsschule und Matura werden neben dem Training für die U16, U18 und U20 gepaukt. Hört sich hart an.
Die Akademie begann 2015. Das altersgerechte Schul- und Sportprogramm umfasst drei Klassen. «Die Schulkooperation mit Humboldt ermöglicht die Kombination zwischen schulischer Ausbildung und sportlicher Heranführung ans Profiniveau», sagt Jürgen Wallner ganz wie ein Schuldirektor.
«Mir ist wichtig, dass nicht nur auf den Sport geschaut wird, sondern auch auf die berufliche Ausbildung. Nicht jeder Spieler schafft den Sprung zum Profi», sagt Christian Dolezal, der das volle Programm von Kindesbeinen an durchlief, und nun für die Nachwuchsarbeit verantwortlich ist. Vor zwölf Jahren war er schon Meister und begann nach seiner Aktivzeit als Spartentrainer. «Es gibt auch etliche Drop-outs, also Ausfälle nach Verletzungen», sagt er. Was er nicht sagt: mitsamt sozialen Abstiegen nach dem Verlust der professionellen oder finanziellen Unterstützung.
Die Nachfrage nach den Plätzen in der Akademie ist hoch. Zuerst muss beim Sichtungstraining überzeugt werden. «Jeder Schüler muss seine Prüfungen vor der Externisten-Kommission ablegen. Die Jahrgänge beginnen mit der Oberstufe, plus der Aufnahme bei den Silvercaps, dem offiziellen Farm-Team», umreißt Akademieleiter Wallner den Werdegang. «Das sind die sogenannten Käfigspieler, die eine vergitterte Maske im Gesicht tragen müssen, aus Sicherheitsgründen.»
Und was ist für einen Rookie, den Nachwuchscrack, am wichtigsten, mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres? Dass er den «Käfig», den vollständigen Gesichtsschutz hinter Gittern, ablegen kann, erstens. Und zweitens, dass er anfangen kann, sich die Unterarme tätowieren zu lassen?
Matteo Popek steht vielleicht schon bald vor diesem Problem. Der 16-Jährige kommt vorbei und wird gleich interviewt. Noch hat er sich keine Gedanken über zukünftige Tattoos gemacht, sagt er. Aber die werden kommen. So sicher, wie er Trikotnummer 16 und Schuhgröße 46 hat.
Matchtag in Kagran: «Let’s make the Halle yellow.» Oder «Yell & Yellow!» Auf gut Deutsch: Schrei und sei gelb dabei. Es geht nicht nur um den Meisterteller, sondern auch um die Atmosphäre im Stadion. Eishockey ist in puncto Fankultur deutlich eleganter und familientauglicher. «Sei Beifahrer auf der Eismaschine». Kids unter zwölf Jahren können bei der Eisaufbereitung in den Drittelpausen dabei sein. Die PR-Schiene macht’s möglich auf der Kehrmaschine: Nur den Wunsch per E-Mail auf der Homepage abgeben.
Beifahrer auf der Eismaschine
«We all love the Vienna Capitals.» Der Beatles-Ohrwurm erschallt, und das Publikum schallt mit. Gemeinsames Erleben gehört bei Sportereignissen dazu. Man fühlt sich geborgen wie im safrangelben U-Boot, der «yellow Submarine». Dazu hauen einige Trommler auf die Pauke und peitschen den Verein wie auf einer Galeere unermüdlich nach vorne.
Maskottchen haben schon alle. Aufgefallen (im Wortsinn) ist das vom violetten FAK, der Wiener Austria. Torkelte veilchenblau betrunken am Spielfeldrand herum und brach nieder. Ein Schuss Realismus für die wenigen Kinder, um aufs harte Leben in Favoriten vorbereitet zu werden. Nicht so in der Donaustadt.
Das kükengelbe Capitano-Maskottchen ist ein fürwitziger Gepard – und unbedenklich. Der ausgewiesene Familiensektor ist lärmtechnisch abgeschirmt. Vor allem erwähnenswert: Es gibt garantiert keine Pyrotechnik oder Raketen. Die Spieler drehen nach getaner Arbeit mit ihren eigenen Kindern gerne einige Runden auf dem Eis.
Und die Fans? Die «Arbeitsgruppe Caps Fans» ließ Sammeltonnen aufstellen. Jeder eingeworfene Pfandbecher unterstützt den Nachwuchs mit einem Euro aus der verzichteten Rückgabe.
Der Fanclub «Icefire» (mit etwa 400 Leuten der größte) organisiert bienengelbe Choreographien, aber auch Auswärtsfahrten, Clubabende und die traditionell beliebten Saisonfeiern. Die «Fiaker Caps» (mit Hut), die «Rossauer Caps», die «Optimisten» und «s’Eck» sind weitere eingetragene Unterstützer_innen.
Safrangelb, Bananengelb, Kükengelb, Dottergelb, Knallgelb, Signalgelb oder Bienengelb: «Unsere Farben, one Mission» lautet die Hymne der Donaustädter Band «Wiener Wahnsinn». Der Song steht für Leidenschaft und Feuer als Motivation. Ein Profi der Jetztzeit hat schon viel länger das Band-Logo auf den Unterarm tätowiert. Oliver Setzinger, Eigenbauspieler wie Christian Dolezal aus dem früheren Nachwuchs, hackelt gerade bei der Konkurrenz, den Graz 99ers. Macht aber nix, ist halt so im Profibetrieb. Und der Betrieb startet wieder im Spätsommer mit der Champions Hockey League in der Albert-Schultz-Halle im Eissportzentrum Kagran, direkt an der U1 gelegen, nach einem schönen sonnengelben Sommer in der Wiener Kapitale.
Die Eishockey-Reportage von Radio Augustin zum Nachhören:
https://cba.fro.at/338068