Theater – generell ein Wunder und manchmal eine KatastropheArtistin

Nach der Vorstellung: Künstler_innen und Publikum reden drüber

Am 29. Juni führte das 11% K.Theater im Festsaal des Margaretener Amtshauses Peter Turrinis Drama «Sauschlachten» auf. Im Anschluss gab es ein Publikumsgespräch mit dem Ensemble und dem Autor, der seit der Premiere im Jänner erklärter Fan «mit geradezu fanatischen Zügen» ist. Jenny Legenstein (Auswahl aus dem Tonmitschnitt) und Lisa Bolyos (Fotos), ebenfalls Fans der Theatergruppe, geben Eindrücke des Abends wieder.

Andreas Hennefeld: Herzlich willkommen! Wie kam es zu der Idee eines Publikumsgesprächs? Wir haben jetzt die sechste Aufführung gespielt, und jedes Mal haben wir die Rückmeldung bekommen, es war beeindruckend, aber man geht mit einem schlechten, unguten Gefühl nachhause. Man denkt sich: Furchtbar, dass es so enden muss. Das zieht ziemlich runter. Möglicherweise ist es hilfreich, das gemeinsam zu bearbeiten.

Frage aus dem Publikum (an Michael Schütte, der den behinderten Bauernsohn Volte spielt): Ich habe dich in deiner Rolle bewundert, bemitleidet, geliebt. Wie hast du sechs Mal diese Opferrolle ausgehalten, die schon beim Zuschauen heftig war?

Michael Schütte: Tatsächlich ist es so, und das hat mir sehr geholfen, dass ich im richtigen Leben ganz viel Schlimmes erlebt habe. Das geht bis zur absoluten Obdachlosigkeit. Das heißt, ich spiele die Rolle gar nicht – ich kenne sie. Und es ist sehr schön, dass man dann, so wie jetzt, drüberstehen kann.

Peter Turrini: Schauspieler sind ja nicht nur Gestaltungsmaschinen – da können sie eine große Perfektion erreichen –, sondern sind auch aufgefordert, ihr eigenes persönliches Erleben, ja, ihr eigenes Leid mit in die Geschichte zu bringen. Ich sage oft bei den Proben, auch an den großen Theatern: Hört’s auf mit eurer Maskerade! Ihr arbeitet zwar mit Masken, aber ihr müsst dem Publikum auch einen Blick hinter die Maske gönnen, und dort ist euer eigenes Gesicht. Das Tolle an Michael ist, auch wenn ich seine Biografie nicht kenne, dass man immer wieder ein eigenes trauriges, erfahrenes, auch verwundetes Gesicht dahinter spürt. Das meine ich mit Schauspielkunst: dass man auch sein eigenes Leben mit auf die Bühne bringt. Dazu fehlt vielen Schauspieler_innen im professionellen Bereich der Mut.

Publikum: Wie hat sich in all den Jahren die Reaktion auf Ihr Stück verändert?

Turrini: Die Uraufführung 1972 an den Münchner Kammerspielen hat sich als unauslöschliche Katastrophe in mein Gemüt eingebrannt, und zwar aus folgendem Grunde: Mitten in der Aufführung rief eine Stimme aus dem Publikum: «Schlachtet’s doch lieber den Turrini als den Schauspieler.» Applaus kam dazu, die Schauspieler konnten nicht mehr weiterspielen. Ich bin auf die Bühne gegangen und hab mich vor die Schauspieler gestellt, und immer wenn ich mich bedroht fühle, habe ich die blöde Eigenart zu grinsen. Dieses Grinsen hat das Publikum unendlich zorniger gemacht, das Ganze endete in einem aggressiven Tumult, und am nächsten Tag stand im Münchner Merkur: «Dieser Kärntner Orang-Utan soll in die Wälder zurückgehen, aus denen er hervorgekommen ist.» Ich war damals zarte 25 und bin nicht in die Wälder zurückgegangen.

Ich halte es ja nicht vierzehn Tage ohne Schreiben aus, weil dann in mir die Düsternis Platz greift. Wenn ich aber diese Bedrängnis über den Zustand der Welt, die uns alle befällt, aufs Papier bringen kann, nicht wissend, wie die Menschen darauf reagieren werden – und sie reagieren immer unterschiedlich –, dann hilft mir das schlicht und einfach zu überleben.

Publikum: In meiner Jugend ging es bei vielen Theaterstücken um «Publikumsaktivierung». Ich habe heute Abend ein paar Mal das Gefühl gehabt, ich müsste aufstehen und da dreinfahren. Wie weit meint Ihr, dass Ihr damit Leute vom Stockerl reißt, dass sie den Mut haben, auch draußen den Mund aufzumachen, wenn z. B. Fremdenfeindliches geredet wird?

Rudolf Lehner: Ich weiß nicht, ob wir das verändern können, aber irgendwie habe ich die Hoffnung. Ich hoffe sehr, dass wir mit diesem Stück dazu beitragen können, dass Wien nicht Eisenstadt wird.

Turrini: In den ersten Jahren habe ich mir immer gedacht, ich schreib so ein Stück wie «Sauschlachten», und dann werden lauter Bekehrte hinausgehen. Das entsprach meiner linken Überzeugung über Aufklärung. Letzten Endes ist das Theater aber ein anarchischer Ort. Manche im Publikum denken nur an ihre Verdauung, und andere denken nur an die Befreiung. Wir können als Theatermachende mit der ganzen uns innewohnenden Leidenschaft, und hier wohnt offensichtlich eine extreme Theaterleidenschaft inne, unsere Sache machen. Was dann in den Köpfen, Seelen und Gemütern abläuft, ist aber eine eigene Geschichte.

Karolina Hartel: Es geht nicht nur darum, das Publikum zu verändern. Ich bin jetzt seit einem halben Jahr bei dieser Gruppe dabei, und sie hat mich dermaßen verändert, […] ich habe so einen irrsinnigen Weitblick wieder bekommen, den ich ziemlich verloren hatte da draußen.

Turrini: Man kann sagen – und deswegen ist ja das Theater generell so ein Wunder und manchmal eine ebenso aufregende Katastrophe –, dass du im Vorhinein überhaupt nicht weißt, wie dieses lebendige Gebilde Theater funktioniert. Du kannst daheim sitzen – ich schreibe oft ein Jahr an so einem Stück – und dir eine Pointe ausdenken, und dann lacht sicherlich niemand an der von dir ausgedachten Stelle. Letzten Endes kannst du versuchen, das Publikum zu beeinflussen, aber du kannst es nicht zwingen, beeinflusst zu sein.

Ensemble: Michael Schütte (Volte), Fritz Babe (Knecht), Annemarie Stöger (Magd), Traude Lehner (Bäuerin), Rudi Lehner (Bauer), Andreas Hennefeld (2. Sohn, Pfarrer), Hans Edelmayr (Arzt), David Rohrmoser (Lehrer), Mehmet Emir (Notar), Regie: Karolina Hartel

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