«They make you crazy»tun & lassen

Nigeria heißt Hölle und Steyr ist kein Paradies

Den Kummer für die ganze Welt spürt und trägt der junge, tapfere Maklele Dennis auf seinen Schultern, und er ist zu groß für ihn. Als Verkäufer der OÖ-Straßenzeitung «Kupfermuckn» liebte er es, mit seinen Kunden zu scherzen. «Das ist das Leben, das ich mag und führen will», sagt er. Der Augustin besuchte ihn auf der Psychiatrie in Steyr.«Die Welt ist schlecht», sagt Maklele Dennis und haut mit der Faust auf den Tisch. «Und Gott, warum macht er nichts dagegen?!» Bumm. «Warum gibt es Kriege? Warum müssen Kinder alleine leben?» Erneut haut er auf den Tisch. Es reicht ihm mit dem Zustand der Welt, seine Frustrationsschwelle ist erreicht und überschritten. Der junge Afrikaner befindet sich auf der Psychiatrie in Steyr, nachdem er sich zum zweiten Mal ein Messer in den Bauch gerammt hat und durch eine Notoperation überlebte. «Ich bin meines Lebens müde, Schwester», sagt er. «Warum habe ich so viel Unglück und Stress und finde keine Ruhe?»

Die anderen Psychiatriepatienten schauen vorsichtig durch die Türe des Aufenthaltsraumes herein und verschwinden wieder, leise weiße «Pflänzchen», die den Schwarzen, der sich noch immer aufregt, vorsichtig beäugen. Es ist schwer, jemanden in der Welt zu halten, der alles Elend auf dem Globus ganz persönlich nimmt und keinerlei politische Erklärungen findet. Maklele redet noch dazu wie ein Kind, das sich all diese Gewalt nicht erklären kann. Er war elf, als sein einziger Familienangehöriger, sein Vater, vor seinen Augen ermordet wurde, und er entkam knapp der Gewalt. «Wenn ich ein Mädchen wäre und nicht so schnell laufen könnte, wäre ich tot», resümiert er. Niemand half dem Kleinen, im Gegenteil: Er musste befürchten, dass es seine Nachbarn auf ihn abgesehen haben. Seine Mutter starb bereits, als er fünf oder sechs Jahre alt war, Geschwister hat er keine.

In dem Schock ist Maklele eigentlich stecken geblieben, eine Kinder-Trauma-Therapeutin würde einen Teil seiner Persönlichkeit nach wie vor als Elfjährigen einstufen, der dringend «nachreifen» müsste. Das ist möglich mit vielen Gesprächen, stabilen Augenblicken und Unterstützung für seine geplagte Seele. Doch seit dem ersten Selbstmordversuch auf dem Hauptplatz von Steyr vor zwei Jahren, nach dem ersten Abschiebeversuch, scheint man sich seinem Trauma allein mit Medikamenten angenommen zu haben. «Ich konnte nicht reden. Erst nachdem ich das erste Mal überlebte, begann ich langsam zu reden mit Gott.»

«Ein Polizist sollte wissen, wer gut und wer böse ist»


Er trägt nach wie vor die panische Überlebensangst eines Kindes in sich und handelte dementsprechend, als er nun zum 2. Mal nach Nigeria abgeschoben werden sollte was den zweiten Messerstich auslöste, der kein Hilfeschrei war, sondern ein ernsthafter Selbstzerstörungs-Versuch. Er spricht Ibu wie ein Elfjähriger, sagt er, ein bisschen Englisch, das er auf seiner Flucht durch den Tschad und den Sudan lernte und etwas Deutsch hat also keine eigene «ganze» Sprache, um seinen Kummer, seine Gefühle oder Wünsche auszudrücken. Er erwartet sich Schutz von Vaterfiguren wie Gott oder dem Bundespräsidenten siehe seinen offenen Brief im Anhang wie der kleine verfolgte Junge, der er immer noch ist.

In anderen Ländern wie in Russland werden Afrikaner von Neonazis auf der Straße mit dem Messer umgebracht und die Mörder stellen ihre Videos ins Internet, bei uns treibt man sie dazu, selber Hand an sich zu legen, sie internalisieren die politischen Verhältnisse. Dieses Verhalten ist die Kehrseite des «Leistungs- und Liebeswahns», der von «Fremden» eingefordert wird, die eventuell bleiben dürfen, wenn sie brav, lieb und süß sind und möglichst viele ÖsterreicherInnen «von sich überzeugen» können. Eine mörderische, äußerst persönliche Konkurrenz. Maklele war einer der besten Verkäufer der Straßenzeitung «Kupfermuckn» in Linz, er liebte seine Arbeit und die Leute, das Gefühl unter den Menschen zu sein.

Politik ist das, was zwischen den Menschen entsteht, schreibt Hannah Arendt sinngemäß. Das Spontane, das Freie im öffentlichen Raum. In diesem Sinne war Maklele die letzten zwei Jahre ein glücklicher politischer Mensch, der sein Leben allein managte. «Sie brachten mich zum Weinen», sagt er jetzt. «Sie brachten mich dazu, Selbstmord zu machen. Gott zu dienen, ist nicht leicht, aber ohne Gott würde ich nicht mehr leben.» Er liest die Bibel, die voll von Krieg, Gewalt und Tod ist. Lazarus wollte Jesus nicht folgen, weil er erst seinen Vater begraben wollte, erzählt er. «Aber Jesus sagte: Lass die Toten die Toten begraben.» Maklele konnte seinen Vater weder begraben noch adäquat um ihn trauern, zusätzlich hat der spätere Christ schlechte Erinnerungen an seinen Vater, einen «native doctor» der ihn prügelte, weil er mit den anderen Kindern in die Kirche ging. Im Sudan lebte er in einer christlichen Gemeinschaft, doch dann überholte ihn der Krieg, und er musste wieder los. 2005 mit 16 Jahren erreichte er Österreich. «Ich bin müde, Schwester», sagt er noch einmal, bevor er sich darüber aufregt, dass ihn die Polizei, obwohl er total gegen Drogen ist, zum Drogentest zwang. Und dass es anscheinend ein neues Gesetz gibt, nach dem Flüchtlinge nur noch mit ärztlicher Bestätigung alleine privat leben dürfen eine neue Schikane. «Ein Polizist sollte doch wissen, wer gut und wer böse ist», setzt er kindliche Hoffnungen in die Polizei. «Sie machen mich traurig!», ruft er und haut auf den Tisch. «Die Christen in diesem Land haben Angst vor der Obrigkeit. Aber wenn das Gesetz nicht richtig ist, muss man Gottes Regeln befolgen.» Nun bemüht sich gerade die Volkshilfe um ein Bleiberecht für ihn.

Offener Brief an den Bundespräsidenten

Ich habe Nigeria im Jahr 2000 verlassen. Nachdem mein Vater ermordet wurde, kämpfte ich mich durch und floh aus meinem Land. Gott hat mir geholfen, und ich konnte den Menschen, die meinen Vater ermordeten und die auch mich ermorden wollten, entkommen. Seit meinem elften Lebensjahr, seit ich auf der Flucht bin, habe ich keinen Frieden mehr, sondern nur Stress. Gott geleitete mich bis hierher nach Österreich, wo ich 2005 ankam. Seit damals bin ich in Steyr. Die Leute hier in Steyr mögen mich und ich mag sie auch.

2007 bekam ich meinen negativen Asylbescheid. Ich machte damals einen Selbstmordversuch. Gott hat aber mein Leben gerettet. Ich bin ihm dafür dankbar und ich danke auch den Menschen im Krankenhaus, die dazu beitrugen. Im November 2010 bekam ich wiederum einen negativen Bescheid vom

Verwaltungsgerichtshof. Ich überdachte meine Situation: Ich habe keinen Vater, keine Mutter, keine Schwester, keinen Bruder. Und in mein Land zurückzukehren wäre sehr gefährlich für mich. Deshalb verzweifelte ich wiederum und beschloss, mich umzubringen. Ich empfand, da sei niemand, der mir in meiner Lage noch helfen konnte. Gott wollte aber nicht, dass ich sterben sollte.

Seit ich nach Steyr kam, hatte ich mit niemandem Schwierigkeiten. Ich respektierte die Menschen, und die Menschen respektierten mich ebenso. Jeder hier kennt mich, kennt meinen Namen. Das macht mich sehr froh. Niemand hat jemals gesagt, dass ich etwas gegen jemand getan hätte.

Ich nütze diesen Brief nun, um Sie zu bitten: Sie sind nun wie mein Vater und mein Leben liegt in ihren Händen. Ich bitte Sie, mir in meiner verzweifelten Lage zu helfen. Seit ich im Krankenhaus liege, habe ich keinen Appetit, um zu essen. Ich kann nicht schlafen und weine viel bei Tag und Nacht, wenn ich an meine Lebensumstände denke. Viele Menschen kommen hierher ins Krankenhaus und besuchen mich und machen mir Mut, dass mein Leben gut werde. Viele Menschen kommen, weil ich gut zu ihnen war.

Maklele
Dennis, Steyr, am 10. 1. 2011