Thomas Frankls ErinnerungenArtistin

Chanukka im Bunker

Am 28. September 1944 wurde die Familie Frankl von den Nazis verhaftet. Während der Vater, der Maler Adolf Frankl (1903 1983), zum Waggon nach Auschwitz-Birkenau gedrängt wurde, gelang es seiner Frau Renée und den Kindern Thomas, damals 10 und Erika 8 Jahre alt, sich noch in letzter Sekunde zu retten. Die Kinder verbrachten Chanukka (Lichterfest, in der Regel im Dezember) 1944 im Bunker versteckt. Thomas Frankl erinnert sich in einem Gespräch mit Gerald Grassl.

Am Judenplatz 2 befindet sich seit Oktober 2006 die Galerie Art-Forum, in der jetzt und zukünftig die Werke Deines Vaters unter dem Titel Kunst gegen das Vergessen gezeigt werden. Was machst Du eigentlich beruflich?

Ich hatte früher einen Großhandel in München, bin aber jetzt permanent mit dem Betrieb dieser Galerie und Ausstellungen beschäftigt.

Dein Vater arbeitete früher im Betrieb Deines Großvaters in Bratislava.

Das war ein Geschäft für Innenausstattung, Tapeziererzubehör, Sattlerei usw. 1937 hatte er sich dann selbständig gemacht.

1939 kamen auch in der Slowakei die Faschisten an die Macht. Kannst Du Dich daran noch erinnern?

Wir mussten aus unserer Wohnung ausziehen und in eine kleinere übersiedeln. Das war im Herbst 1941. In Bratislava hat man es nicht Ghetto genannt, doch es war ein Stadtgebiet, in dem Juden damals nur mehr wohnen durften. Wir mussten öfter die Wohnungen wechseln und haben sie auch mit anderen Familien teilen müssen. Später folgten weitere Einschränkungen: Wir durften nicht mehr ins Kino, ins Schwimmbad oder in die Parks und nur zu bestimmten Zeiten auf die Straße. Unsere Familie hatte in Pressburg seit sieben Generationen gelebt.

1941 war der Betrieb des Vaters arisiert worden. Wovon lebte die Familie?

Ein Freund meines Vaters hatte den Betrieb arisiert, doch er war nicht vom Fach und hat daher meinen Vater angestellt. Aufgrund dessen hat man die Deportation meiner Familie aufgeschoben. Vater brauchte daher auch nur einen ganz kleinen Judenstern aus Plastik der hier auch ausgestellt ist zu tragen. Der wies ihn als einen wirtschaftlich wichtigen Juden aus.

Im September 1944 erfolgte die Verhaftung der Familie.

Im August 1944 gab es einen Volksaufstand gegen das faschistische Regime von Josef Tiso (ein katholischer Priester, 1887 1947), in dessen Folge auch noch die letzten Juden der Slowakei verhaftet wurden. Vor dem 2. Weltkrieg lebten in der Slowakei über 130. 000 Juden. Nach dem Aufstand kam SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1906 1962) in die Slowakei, und dem war es egal, ob einer wirtschaftlich wichtig war oder nicht. Dass nur der Vater ins KZ kam, das ist eigentlich wie ein Wunder. Und großer Dank gilt dafür unserer Mutter! Wir wurden in der Nacht nach Jom Kippur 1944 abgeholt. Meine achtjährige Schwester hat sich noch vor die deutschen Soldaten gekniet und gebettelt, dass man uns zu Hause lassen soll. Mutter war etwa eine Woche zuvor operiert worden und hat den Soldaten die Wunde gezeigt. Das hat alles nichts genützt. Wir mussten in Fünferreihen durch die Stadt marschieren. Zuerst wurden wir in die jüdische Gemeinde in einen ganz dunklen Raum gebracht, danach in das Haus der Gestapo. In der Früh jagten sie uns raus und wir wurden durch die ganze Stadt getrieben. An den Straßenrändern standen deutsche und slowakische Soldaten mit Hunden. Dahinter die gaffenden Mitbürger, wo eine Frau auf Slowakisch schrie: Recht geschieht ihnen! Daran erinnere ich mich auch, weil mich das besonders erschreckt hat. Als wir an der Rampe am Güterbahnhof ankamen, sprach plötzlich der Gehilfe von Eichmann, Alois Brunner (SS-Hauptsturmführer, gebürtiger Burgenländer, die Red.), meine Mutter mit der Frage an: Was machen Sie hier? Sie antwortete: Ich hole meinen Mann ab, weil er irrtümlich hergebracht wurde. Er und wir sind nicht Jüdisch. Brunner stieß aber meinen Vater in die Richtung zu den Waggons, zum Abtransport. Meine Mutter und wir Kinder konnten aus unbegreiflichen Gründen stehen bleiben. Er sagte dann zu meiner Mutter: Gehen Sie hier weg, sonst müssen Sie mit Ihren Mann zur Arbeit begleiten. Dann rief er Soldaten, die uns wegbrachten. Nachdem wir von dort wegkamen, haben wir uns bei Freunden und Bekannten versteckt. Aus Gründen der Sicherheit waren wir von unserer Mutter getrennt versteckt. So wussten wir gar nicht, dass sich unsere Mutter gleich im Nebenhaus befand.

Für Kinder sind normalerweise die schönsten Erinnerungen die, an die Geburtstagsfeste oder an Weihnachten bei den Juden ist es Chanukka.

Wir waren nicht streng religiös. In unserem Haus wohnten Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit. Wir waren eine sehr große Familie, allein in Bratislava gab es etwa 80 bis 100 Verwandte. Zu den so genannten hohen Feiertagen luden wir Familienmitglieder und auch arme Leute zum Feiern und Essen ein. Wir gingen in den Tempel, besuchten die Groß oder Urgroßeltern es war immer ein sehr schönes und großes Familienfest.

Wie viele von der großen Verwandtschaft haben 1945 überlebt?

Ich habe allein für die Toten aus meiner engsten Verwandtschaft und nur in Auschwitz-Birkenau zum Gedenken 40 Kerzen angezündet. Ich bin sicher, dass weit mehr aus meiner weiteren Verwandtschaft ermordet worden sind.

Deine Familie lebte ursprünglich in gutbürgerlichen Verhältnissen. Und dann verschlechterten sich die Lebensbedingungen abrupt.

Ja, aber das ging nicht so schnell, sondern die Behörden wandten eine Art Salamitaktik an. Kleinweise erlebten wir immer wieder Einschränkungen. Während dieser Zeit wurde es auch immer schwieriger mit den Lebensmitteln. Es waren nicht jüdische Menschen, die uns versteckt haben, sondern die so genannten Gerechten, denen wir dafür unsagbar dankbar sind, was sie für uns getan und gewagt haben. Wir waren im Bunker, so nannten wir unser Versteck. Da hat man an Feiern gar nicht gedacht, man hat vielleicht still gebetet. Wir konnten auch fast nie an die frische Luft gehen. In dieser Zeit und ich hoffe, dass sich das nie mehr wiederholt wurden auch sehr viele Menschen denunziert.

Viktor Frankl, der mit euch jedoch nicht verwandt war, beschrieb in Trotzdem ja zum Leben, dass im KZ viele der Häftlinge überzeugt waren, dass sie zu Weihnachten 1944 befreit sein werden. Das war dann nicht der Fall und Anfang 1945 begann ein Massensterben. Wie war die Stimmung im Bunker?

Im Bunker hat man kaum daran gedacht. Wir hatten ja keine besondere Beziehung zur Weihnacht. Aber wir wussten natürlich dass es für Christen ein großer Feiertag war. Damals war wahrscheinlich die Erinnerung an Chanukka für mich und meine Schwester zu fern, oder die Situation zu extrem, um das besonders zu beachten. Unsere Gedanken kreisten nur darum, ob wir unsere Eltern wieder sehen, ob wir entdeckt und ob sie uns abholen werden. Als unsere Retter Weihnachten feierten, waren wir auch anwesend und es war auch schön.

Wie habt ihr die Befreiung erlebt?

Das war natürlich ein ganz besonderes Gefühl und Freude, das ich nie vergessen werde. Man hörte wie sich das Donnern der Kanonen näherte. Unsere Retter hörten manchmal auch verbotenerweise BBC London, sodass wir über den Kriegsverlauf einigermaßen informiert waren. Als die Front näher kam, wurden wir in den Keller des Nachbarn, der Familie Fazekas, übersiedelt, wo wir unsere Mutter wieder gesehen haben. Wir sahen auch einige Deserteure deutsche und slowakische Soldaten. Das war ein unbeschreibliches Gefühl: Eng neben den Soldaten zusammen zu sein. Plötzlich öffnete sich die Tür und ein russischer Soldat kam herein. Ich hatte am Mantelknopf eine Militärtaschenlampe hängen. Er schaute sich um, kam auf mich zu, riss mir die Taschenlampe vom Mantel, gab mir die zweite Ohrfeige in meinem Leben und sagte Ty Nemec Du bist ein Deutscher. Es war unbeschreiblich, wie ich mich gleichzeitig dabei gefreut habe. Wir sind dann vom Keller hinaufgegangen. Ich habe vom russischen Soldaten ein Stück Speck, Brot und Zwiebel bekommen. Ich war ja erst 11 Jahre alt und habe von ihm einen Schluck Wodka zu trinken bekommen. Seither trinke ich zur Erinnerung an dieses wunderbare Ereignis, zu besonderen Gelegenheiten, gerne ein kleines Gläschen Wodka.