Tief in den Abgrund des Wissens fallenArtistin

Nicht alles, was im Kabarett stattfindet, ist Kabarett: Begegnung mit K. F. Kratzl

Ist Karl-Ferdinand Kratzl mittels eines Interviews zu erfassen? Der Augustin versuchte es. Es wurde kein klassisches Interview. Aber Kratzls tiefschürfende Worte suchten und fanden den Weg zu seinem Gesprächspartner. Zu einem «Gespräch» per E-Mail (Frage hin, Antwort her) war Kratzl nicht bereit gewesen. Er bestand auf den persönlichen Kontakt. Er ist ja ein Augenhineinschauer. Und noch vieles mehr. Auch ein Fadenverlierer ist er. Aber schoen der Reihe nach. Die Aufzeichnungen des Augustin-Reporters.Warum interessiert mich gerade Kratzl? Nicht wegen seines «Herrn Claus» in der gerade wieder im ORF laufenden und auch erfolgreich verfilmten Serie «MA 2412». Auch nicht wegen seiner Rolle als Gerichtsmediziner in der TV-Serie «Trautmann». Wegen dieser beiden Rollen ist Kratzl bei der «breiten Masse» bekannt und beliebt. Übrigens: Die Gerichtsmedizin interessierte Kratzl immer schon sehr, «um das Innere des Menschen kennen zu lernen». Ich kenne und schätze seine Bühnenproduktionen. Er nennt sie Komödien und sich einen Sprach- & Körperdarsteller. Weil Kabarett ist das nicht, was er macht. Obwohl: Zu sehen ist er meist in «Kabaretthütten». Aber auch im Theater. «Richtige» Theaterstücke schrieb Kratzl auch. Z. B. für die Sommerspiele Melk «Parzival». Ein Stück voll Schuld und Sühne, Leid und Leidenschaft, hoher Liebe und niedriger Einfalt. «Ein Mythos auf lustig», meinte die Kritik.

Er schrieb auch einige Bücher, deren Rezensionen z. B. in der von Karl-Markus Gauß herausgegebenen Literaturpublikation «Literatur und Kritik», auf der Homepage des Literaturhauses und im «Falter zu lesen waren. Eines der Bücher, «Andachtsbilder & goldene Worte», ein den Geist erhellendes Gesinnungsbuch, zeigt uns am Einband und auch im Inneren, dass Kratzl auch ein Bildermalender ist. Zum Anschauen und Lesen ein vergnügliches Büchlein mit alphabetisch angeordneten subversiven Aphorismen, erkenntnisfördernden Definitionen, wie z. B.: «BEGINN: Ja, ja: Jeder Tag hat sein Oben und Unten. Sein Hoch und sein Tief. Sein Morgen und sein Gestern. Ja, ja: Jede Geschichte nimmt ihren Anfang und findet ihr Ende.» Oder: «VERSCHLOSSEN: Der Schlüssel sagt zum Schloss: Es ist zu spät. Ich kann dich nicht mehr aufsperren. Meine Mutter hat mich in ihr Abendgebet eingeschlossen.» Oder: «WEISHEIT: Eines Morgens trat ich aus dem Gefängnis der Unwissenheit in den Abgrund des Wissens. Und ich fiel tief.» Dieser Mann, so denke ich beim Lesen, kann nicht in Klosterneuburg geboren und aufgewachsen sein. Der muss aus Absurdistan stammen. In seinen Werken führt Kratzl uns alle bewegende Themen ad absurdum, weist uns auf deren Widersinnigkeit hin. Ich denke, den Sinn als sinnlos zu bezeichnen, entsteht aus seinem starken Sinn-Bedürfnis. Kratzl: «Ich weiß, ich wirke absurd, ich bin es aber nicht.»

Und dann zwei Überraschungen. Im Herbst 2009 schaute ich mir im Künstlerhaus die Ausstellung «EVO EVO! / 150 Jahre Darwinsche Evolutionstheorie» an. Thema der Ausstellung war die Kultur-Evolution. Eine Gruppe internationaler bildender KünstlerInnen reflektierte und kommentierte die geistig-kulturellen-religiösen Aspekte der Evolution. Lange stand ich vor rund einem Dutzend Tafeln mit je vier Fotografien. «Gänse und Gott» hieß das Kunstwerk. Es zeigte Wasser, Steine, Pflanzen, Tiere und als Krönung der Schöpfung den Kratzl mit schwarzen Gatsch beschmiert. Jeweils zwei Fotos pro Tafel zeigten die Schöpfung der Welt, wie sie im Buch Moses im Alten Testament geschildert wird. Die anderen beiden Fotos pro Tafel zeigten abgeschnittene Köpfe und Füße von Gänsen in ballettartigen Kompositionen. Und der Künstler, der außer diesen Bildtafeln auch Keramik ausstellte, war Karl-Ferdinand Kratzl. Beim Durchblättern des Katalogs sah ich, dass dieser auch zwei Beträge von Kratzl enthielt.

Und als ich im Frühjahr das Programm des Litschauer Schrammel-Klang-Festivals durchlas, sah ich, dass heuer Kratzl nicht nur auftritt, sondern auch den Workshop «Wienerlied schreiben» abhält.

Einen Termin mit ihm auszumachen war gar nicht so leicht. Elf verschiedene Tage schlug ich ihm vor. Aber drei Tage waren blockiert mit Dreharbeiten in Salzburg für eine Schwabenitzky-TV-Serie. Vier Tage lang war er in Köln wegen zweier Auftritte und Präsentation der Hoanzl-Kabarett-DVD «Im Liebesrausch». Dann erster Einsatz für den neuen Kottan-Film. Text lernen und Gespräche wegen der Herbstpremiere «Die vierte Schwester» im Landestheater Niederösterreich. Aber jetzt sitzen wir uns im Garten des Schutzhauses «Ameisbachzeile» gegenüber, mit Aussicht ins Grüne und zur goldenen Kuppel der Otto-Wagner-Kirche auf der Baumgartner Höhe.

Der trotzige Saboteur, ein lieber Mensch

Gleich vorweg: Erwarten Sie jetzt keine trockenen Daten über Kratzls Werken und Wirken. Die können sie ergoogeln, wikipedieren und erlinken. Das Eingangsstatement von Kratzl: «Sprache ist Möglichkeit zur Flucht vor dem, was gerade passiert. Man redet und übersieht dabei den Moment. Sprache ist das ganz normale Missverstehen. Man glaubt, man versteht sich. Aber jeder versteht nicht einmal sich selbst. Schon als Kind hat mich das Missverständnis gequält. Aber auch freundliche Worte und Aussagen ohne die dazugehörige Haltung. Die vernichteten mich genau so wie harte direkte Worte.» Und: «Eine mir aufgezwungene äußere Ordnung, der ich gehorchen muss, versuche ich zu sabotieren. Eine innere Ordnung hingegen versuche ich zu erreichen.» Und: «Interviews sind als Plaudern getarnte Verhöre.» Dies sagt er zu einem Zeitpunkt, wo ich noch keine einzige Frage gestellt habe und Kratzl mir offenherzig und wohlmeinend vertrauensvoll gegenübersitzt. Kratzl versucht mir dann fast vier Stunden lang, seine Welt, seine Erfahrungen, seine Anschauungen näher zu bringen. Er schafft es, dass wir uns tatsächlich näher kommen.

Mir fällt auf, seine Erziehung war sehr wirkungsvoll. Anscheinend so wirkungsvoll, dass sie heute noch nachwirkt. Es reicht ihm nicht, von vielen geliebt zu werden. Er braucht unendliche Liebe. Eine Utopie. Trotzdem macht er gute Miene zum bösen Spiel der anderen. Dadurch entstehen Texte, die zum bösen Bühnenspiel mit Worten werden, Empfindungen dem Publikum mitteilen, Empfindungen mit dem Publikum teilen. Viele fühlen sich berufen, seine Texte, seinen Humor sarkastisch zu nennen. Dies (emp-)finde ich nicht. Absurd ja. Krause Gedanken ja. Ironisch sowieso. Surreal ja. Und immer wieder auch märchen- und zauberhaft.

Abschließend noch eine Kratzl-Aussage: «Ich will puristisch und wahrhaftig sein. Ich will und kann nicht um Gefallen buhlen. Ich brauche kein Tamtam. Ich will die kreatürliche Wahrhaftigkeit erreichen. Ein Ziel ist es, die verschütteten Instinkte wieder intuitiv leben zu können.»

Kratzl sagte «ohne Tamtam». Dieser Ausdruck kommt aus China. Und mir fällt der chinesische Pianist Lang Lang ein, der seine Bekanntheit und Karriere eher auf Tamtam als auf Können aufbaut. Bei Kratzl ist es genau umgekehrt. Er macht es sich und uns nicht leicht. Aber sich mit seinen Werken und Wirken zu befassen, das zahlt sich aus.

Info:

Mit Karl-Ferdinand Kratzl Schreiben zulassen lernen

Schreib-Workshop beim Schrammel-Klang-Festival in Litschau.

Workshop: 6.8. Juli / Schrammel.Klang.Festival, 9.11. Juli

Karl-Ferdinand Kratzl, Leiter verschiedenster Schreibwerkstätten, konnte für einen Workshop gewonnen werden. Kratzl setzt die Tradition der Karl-Kratzls fort. Sein Urgroßvater ist der Komponist von Das Glück is a Vogerl. Sein Vater, weltberühmter Naturwissenschaftler, veröffentlichte als «Karl der Eierkopf» Anekdoten und ironische Prosa. Und Karl-Ferdinand schreibt und schreibt. Siehe oben. Den ersten Hexameter lehrte ihn sein Vater in einer städtischen Bedürfnisanstalt. Dort war an der Pisswand ein E-Mail-Schild. «Patent-Öl-Urinoir. Ohne Wasserspülung geruchlos.» Ein Hexameter. Als Kratzl 16 war, wurde der erste Gedichtband veröffentlicht.

Bei vielen Menschen wurde die Lust am Schreiben durch Schulaufsätze getötet. Es gibt aber Methoden, diese Hemmungen der Kreativität auszutricksen. Schreiben soll Freude machen und Lust erzeugen. Die Qualität kommt dann von alleine. Kurze Dialekttexte eignen sich besonders dafür. Thema: Wienerlied! Es werden lustvolle drei Tage werden.

Infos, auch über die Workshops von Agnes Palmisano (Dudeln), Traude Holzer (Gesang), Rudi Koschelu (Dudeln, Kontragitarre), Peter Havlicek (Kontragitarre), Roland Sulzer (Akkordeon), Walther Soyka (Knöpferharmonika), Peter Uhler (Violine): http://www.schrammelklang.at/Dudeln.php oder (0 720) 40 77 04