To (m)eat or not to (m)eatDichter Innenteil

Illustration: KI-generiert und bearbeitet von Jella Jost

Cherchez la Femme | Ein Annäherungsversuch an das Thema Tierhaltung und Fleischproduktion

Allem voran: Ich verurteile niemanden der:die in Plastik eingepacktes Fleisch aus dem Supermarkt kauft, sich die Extra aufgeschichtet in die Semmel haut, beim Heurigen das Gsölchte isst oder selber gar ein Viech, na besser: ein Lebewesen schlachtet. Ich interessiere mich vor allem für eine bewusste Herangehensweise der Produktion von Fleisch – es ist nicht egal wie, warum und vor allem was ich zu mir nehme. Mich beschäftigten ehemals auch Kindheitserlebnisse, die sich in mir festgruben. Das Unvergessene trieb mich an und nährte meinen Widerstand gegen patriarchale Krusten und Gewalt. Mein fester, ja manchmal sturer Glaube an Alternativen, an veränderbare Bedingungen ließ mich suchen, dabei nicht aufgeben, ließ mich nach Menschen Ausschau halten, die sanftere, menschlichere Werte schätzten, diese durchfochten jenseits von Religiosität, Moral, Trends. In meiner Jugend begann eine Art ahnungsvolle Intuition, dies könne nicht alles sein. In meinem damaligen Umfeld waren Männer – es waren die Männer, die sich über vieles erhoben, was sich ihnen in den Weg stellte, Darwin’sche Hierarchie zählte, Worte und Handeln waren oft rassistisch, unverblümt frauenverachtend, ja lebensfeindlich. Sie schossen, schlachteten Tiere auf dem Hof meines Vaters mit mangelnder Wertschätzung bzw. Achtung vor der Einzigartigkeit jedes Lebens und ohne Hinterfragen ihres Tuns – wie ich es später von anderen Tierzüchtern kennenlernte. Es waren Männer, denen vieles relativ egal war; ihre Frauen, ihre Kinder, ihr Vieh.

 

Geschichte schläft nie

 

Ich sah auch Frauen dieser Generation, die Schreckliches mit Tieren taten. Sie fuhren im Kielwasser der Männer. Die eine Bäuerin kannte ich, sie nahm ihre alte Katze und schlug sie so lange gegen die Mauer, bis sie tot war. Das war für mich in meiner Jugend in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts traumatisierend. Heute taucht eine Mentalität wieder auf; mit anderen Worten, mit anderen Menschen, denselben Mitteln, mit Gewalt, nicht für, sondern gegen das Leben, gegen das Schöpferische. Geschichte schläft nie, das begreift man, wenn man älter wird. Wenn wir unseren emotionalen Zugang und Bezug zur Welt, zur Natur, zu Mutter Erde, zu den Pflanzen, zu den Tieren, ja zu den Mitmenschen, letztendlich zu uns selbst verlieren, öffnet sich der Hahn, und das Wasser der Entfremdung, Abstumpfung und Gewöhnung tröpfelt unmerklich in unser Leben, so lange, bis es zur Flut wird. Die Katastrophe des zutiefst unethischen Verhaltens der Menschen durch gesetzestreue Anomalität und Brutalität.

 

Entrechtet

 

Jahrzehnte später mit eigenen Kindern verbrachte ich den Sommer öfters im Waldviertel. Dort lernte ich auch andere Töne, weichere und wärmere Farben des Schlachtens kennen. Eine ältere Frau, eine Bäuerin, sie war die Nachbarin, sie saß neben mir auf einer Bank und erzählte über ihre liebste Sau. Die Tränen rollten, als sie schilderte, wie ihre alte Sau heute geschlachtet worden war. Ihr Gesichtsausdruck brach mir fast das Herz. Da war so etwas wie eine Liebesbeziehung zwischen ihr und der Muttersau entstanden, und das tat mir gut. Es war nicht nur ein technisches Töten. Es war viel mehr. Später schnitten wir das Schmalz in Würfel, das zu Grammeln verarbeitet wurde und redeten über die Sau. Ja man kann sagen, wir trauerten um die Sau. Die grundsätzliche, drängende Frage abseits der unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten, Ideologien und Wertungen übers Fleischessen lautet: Wie wollen wir mit uns und dem Lebendigen in uns und um uns herum in Zukunft im Sinne einer neuen Gesellschaft umgehen? Wie kommen wir zu mehr evolutionärer Bewusstheit, einem offeneren Denken, individuell und als Gesellschaft und Kultur? Wie ist es möglich, in der Breite der Bevölkerung Aufmerksamkeit zu erlangen, sodass die positiven Auswirkungen einer stressfreien Tierhaltung und (Hof-)Schlachtung in der Mitte der Gesellschaft ankommen und einen sinnhaften, umweltfreundlichen, tierfreundlichen Wert entstehen lassen? Angesichts der Menschenmassen auf der Erde: Sollten wir nicht über eine freiwillige Begrenzung unseres Fleischkonsums nachdenken? In den 70ern gab es den autofreien Tag. Wieso gibt es keinen Tag des Fleischverzichts? Der Tag oder vielleicht sogar die Tage einer Zivilgesellschaft, die ihre Ideen gemeinsam entwickeln und gesetzlich verankern. In welchem Bezug stehen solche Wertvorstellungen zu einer zunehmenden Entmündigung und Entfremdung des Bürgers, der Bürgerin, des Bauern, der Bäuerin, zu Kontrolle durch Konzerne, Wirtschaft und staatlichem Zwang? In welche Richtung wollen wir? Es bedarf viel Widerstands, um zementierte starre Überregelung aufzubrechen. Es leiden die Tiere, die Qualität des Fleischs, die Bauern und Bäuerinnen und zuletzt der Mensch, der das Fleisch konsumiert. So schließt sich ein pervertierter Kreislauf, der das Tier zum Roboter gemacht hat und es entrechtet. Es sollte uns erschrecken, wenn wir das Ausmaß dessen sehen und darüber nachdenken. Ich bin überrascht und betroffen, je mehr ich über das Thema Schlachtung recherchiere, historische Filme ansehe (dreitägige Jagd auf ein Hippopotamus 1970, Afrika, industrielles Töten in den französischen Schlachthöfen, Hausschlachtung eines Schweins in den 1950er-Jahren) die mir wirklich, und zwar bis zum Fliehen aus dem Kinosaal, alles abverlangt haben, was ich zu nehmen vermag. Wie stark Kontrolle mittels Agrarpolitik ausgeübt wird und – sprechen wir es offen aus – Bürger und Bürgerinnen ständig weiter entmündigt werden, sofern sie nicht aktiv Alternativen suchen und finden, liegt auf der Hand.

 

Zukunftsaussichten

 

Sich über fleischlose Ernährung ernsthaft Gedanken zu machen, das kann ich mir als weiße privilegierte Europäerin, die leichten Zugang zu jedem Supermarktangebot in Wien hat, gut leisten. Die Stadt-Land-Schere ist wohl auch hier am deutlichsten. Traditionen werden eher in ländlichen Gebieten hochgehalten als in urbanen, kann ich mir vorstellen. Wie aber denken darüber Menschen, die von ihren Haustieren wie Hühner, Ziegen, Schafe, Schweine leben müssen, weil sie keine andere Wahl haben? Es ist die Massenproduktion von Fleisch und Milch, die mir den Horror der menschlichen Spezies wieder einmal vor Augen führt, das industrielle Abschlachten, nicht das Halten und Verzehren von Vieh durch Kleinbäuer:innen. Ich frage mich: Wie geht es anders bei 8,06 Milliarden Menschen? 3 Milliarden Menschen können sich keine gesunden Lebensmittel leisten und 3 Milliarden Menschen leiden durch schlechte Ernährung an Krankheiten. Es eilt! Ressourcen schonen ja – aber wie? Die molekulare Biotechnologie geht da interessante und notwendige Schritte, um die Welternährung gewährleisten zu können, beziehungsweise den Hunger der vorgewölbten Bäuche aller Industriestaaten zu befriedigen. Der Garten soll in die Küche mit Plantcube-­Kitchen, Indoorfarming, Salaten und Kräutern. Die Photosynthese läuft über LED und Wasser mit Nährstoffen. Mit Salaten klappt das schon ganz gut. Was kostet das für eine urbane schicke Küche? 3.000 Euro kostet der Plantcube. Cool! Ja! Gesunde Ernährung frisch zu Hause – aber bitte nur für jene, die die Mäuse dafür liefern. Der Stromverbrauch ist hoch. Ob das der Treiber für die Transformation ist? Hm … Besser gemeinschaftliche Projekte angehen, sich vernetzen. Vielleicht mal mit der Stadt Wien reden, dass die Grünflächen zwischen den Gemeindebauten für Gemüseanbau freigegeben werden könnten! Ideen gibt es viele. Aber jene Kalorien, die es braucht, um Menschen zu ernähren, die kommen von woanders her: Proteine, Kalorien. Ein Hühnerstall im Gemeindebau? Ist die Landwirtschaft dafür bereit? «Wir sollten uns nicht nur auf eine Technologie versteifen und nicht die gleichen Fehler machen, die wir mit anderen gemacht haben, wo der Konsument wenig Teil des Prozesses war und ein schwieriges Verhältnis zur Technologie erhielt», höre ich auf SWR, «es geht ja darum, Pflanzen zu kultivieren, die wir schnell ernten können.» Gut, aber was ist mit den Lebewesen, frage ich mich? Vertical Farming klappt nicht für Tiere – oder doch? Ich hoffe nicht. Das Fleisch unserer Zukunft wächst in einer Nährlösung. Muskelstammzellen von Tieren kommen in eine Nährlösung und formieren am Ende einen Hamburger. 1 kg In-vitro-Gulasch kauft man dann beim In-vitro-Fleischer. Ethisch ist das nicht unumstritten.* Fakt ist, Frauen essen weniger Fleisch als Männer. Lassen wir Mutter Erde in Ruhe; wir haben sie verbrannt, ausgeschlachtet, und nun gibt sie nicht mehr genug her für derart viele gefräßige Mäuler. Schaffen wir einen intelligenten und mitfühlenden Umgang mit unseren empfindlichen Ökosystemen! Essen wir, ohne Gewalt zu produzieren. Können wir überhaupt noch verzichten? Autsch, was für Fragen!

Infos: SWR – Planet Wissen

Neu überarbeiteter Artikel, erstmalig publiziert in der Zeitschrift der ÖBV-Via Campesina Austria 2018

* Für Kunstfleisch müssten ebenfalls Tiere sterben, da für die Herstellung des Zellkulturmediums etwa von künstlichem Rindfleisch ­fetales Kälberserum benötigt wird. Das wird auch wirklich eingesetzt. Allerdings gibt es längst Alternativen dafür – die von einigen ­Unternehmen ebenfalls bereits eingesetzt werden.

Translate »