Torschlusspaniktun & lassen

Der Abriss von Altbauten ist höchst lukrativ

Neue Bauordnung. Ab 1. Juli unterliegen Abrisse von Gründerzeithäusern einer Genehmigungspflicht. Das führte in den letzten Wochen zu einer auffälligen Häufung von ‹Rückbauten›, wie Christof Mackinger beobachtet hat.

Grafik: © Much

«Ich war oft hier essen. Ein schönes Lokal.» Der ältere Herr blickt von außen durchs Fenster und fügt leise hinzu: «Wirklich schade.» Im Inneren ist eine unaufgeräumte Gaststube zu sehen. Zwischen den Stühlen lehnt ein Schild mit der Aufschrift «Restaurant Sperl». Noch vor zwei Tagen gab es hier Kartoffel-Pilz-Suppe mit Rohschinken oder Sparerips. Jetzt ist geschlossen. Vor dem Lokal stehen Parkverbotsschilder, sie gelten ab übermorgen. Dann nämlich, am 26. Juni, beginnt der Abriss des Gründerzeithauses in der Karolinengasse in Wieden. «Dabei ist das Haus ja in so einem gutem Zustand», bemerkt der Mann. «Neue Fenster, das Dach hängt nicht durch. Eigentlich perfekt.»

Abrissbirne, ole!

Perfekt ist auch der Standort: In ruhiger Lage, nahe dem Belvedere. Mit der Fläche weiß der neue Besitzer des zweistöckigen Hauses jedoch Besseres anzufangen: Anders als Gründerzeithäuser wie jenes, in dem sich eben noch das Gasthaus Sperl befunden hat, haben Neubauten weniger hohe Räume und meist mehr Etagen. Das bedeutet mehr Nutzraum, der vermietet werden kann – ist gleich: mehr Gewinn. Dazu kommt, dass bei Neubauwohnungen, im Gegensatz zum Altbau, keine Mietzinsbeschränkung existiert. Das macht den Abriss von Altbauten für viele Immobilienbesitzer_innen so attraktiv.

Der Abrisstermin des Restaurant Sperl ist wohl auch kein Zufall. Ende Juni wurde die neue Wiener Bauordnung im Landtag beschlossen. Besitzer_innen eines Hauses, das vor 1945 erbaut worden war, durften dieses bisher einfach abreißen. Letztes Jahr ist dies in Wien allein 115-mal passiert. Einzig Gründerzeithäuser, die unter Schutz stehen, konnten nicht ohne weiteres abgerissen werden. Von den rund 250.000 Gebäuden in Wien, die vor 1945 erbaut wurden, stehen etwa 22.000 Häuser in sogenannten Schutzzonen. Über 90 Prozent des Altbestands an Wohnhäusern konnte demzufolge bisher nach Laune der Eigentümer_innen beseitigt werden.

Überstürzt

Mit Inkrafttreten der neuen Bauordnung ist ein Abriss in Zukunft genehmigungspflichtig. Bei der MA19 muss ein Antrag gestellt werden, danach wird die Sachlage geprüft: Ist das Gebäude wichtig für das Stadtbild oder in einer Schutzzone? Besteht ein öffentliches Interesse am Erhalt, weil es sich um ein kultur- oder architekturhistorisch interessantes Objekt handelt? Trifft, dem Magistratsamt für Stadtentwicklung und Stadtplanung zufolge, all dies nicht zu, darf planiert werden.

War die Novelle eigentlich für Anfang 2019 geplant, so wurde sie per Initiativantrag von SPÖ und Grünen vorverschoben, um überstürzte Abbrüche zu vermeiden. Marktkenner_innen berichten von umso überstürzteren ‹Rückbauten› gerade in den letzten Wochen, angesichts der Genehmigungspflicht ab Juli. Markus Landerer, von der Initiative Denkmalschutz, liegt eine ganze Liste von Liegenschaften vor, bei denen noch vor Ende Juni mit dem Abriss begonnen wurde. Auch Guido Markouschek von der MA37, gemeinhin bekannt als ‹Baupolizei›, geht von einer Häufung der Abrisse bis Ende Juni aus. «Belegen kann ich das aber nicht, weil wir unsere Unterlagen für den Zeitraum noch nicht ausgewertet haben», so der technische Direktor der Baubehörde.

Radetzkystraße

Ein besonders kreativer Hausbesitzer scheint in der Radetzkystraße 24 in Wien-Landstraße am Werk zu sein. Das 1849 erbaute Gebäude hat einen auffallenden, an die Neogotik erinnernden Eckturm. Dass es aufgrund dessen demnächst unter Schutz gestellt werden könnte, ist nicht ganz unwahrscheinlich. Ohne den noch darin wohnenden neun Parteien Bescheid zu geben, wurde das Gebäude, ungeachtet unbefristeter Mietverträge, von den Eigentümer_innen als Abbruchobjekt gemeldet. Einem Mieter zufolge wurde am Dach bereits mit Abrissarbeiten begonnen. Vermutlich wird auch der Eckturm noch demontiert werden.

Brauchte es bisher noch ein Ensemble von mindestens drei schützenswerten Gebäuden nebeneinander, können mit der Novellierung der Bauordnung auch alleinstehende Gründerzeithäuser zur Schutzzone erklärt werden. Ist das Äußere eines Hauses aber unwiederbringlich beschädigt – und die Durchführung einer solchen Demontage wäre vor Inkrafttreten der neuen Bauordnung wohl noch legal – so wird das Haus in der Radetzkystraße kaum unter Schutz gestellt. «Wenn der Eigentümer dann, in ein, zwei Jahren die Mieter draußen hat, kann er das Haus einfach abreißen», befürchtet ein Sprecher der Initiative Denkmalschutz.

Und tatsächlich: Das prunkvolle Gebäude im dritten Bezirk ist umgeben von Baugerüsten, mehrere Wohnungszugänge sind zugemauert, der Zugang zum obersten, unbewohnten Stock versperrt. Ein Mieter erzählt vom kaum zu ertragenden Baulärm ab 7 Uhr morgens, eine Lärmkulisse «wie im Krieg». Seine Mutter wohne seit über 50 Jahren hier. Er werde in der Sache vor Gericht ziehen. Beim aktuellen Hauseigentümer, der GT14 GmbH, waren die Zuständigen bis Redaktionsschluss nicht für den AUGUSTIN erreichbar.

Ein letzter Schnappschuss

Wurden aber keine kurzfristigen Abbruchmaßnahmen angeordnet, so wird die neue Wiener Bauordnung den Abriss von Altbauten künftig erschweren. Das könnte die Gewinnspirale für die Spekulation mit Immobilien in der Stadt auch ein Stück weit eindämmen.

Den Altbau in Wieden, wo bis letzte Woche noch traditionelle Küche serviert wurde, kann die neue Bauordnung nicht mehr retten. Der – jetzt ehemalige – Stammgast im Restaurant Sperl, hält seine Kamera ans Fenster und holt sich einen letzten Schnappschuss von der Gaststube. «Na ja, dann komme ich am Dienstag nochmal. Dann mache ich noch Fotos vom Abriss.»

 

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