Käthe Kratz
Käthe Kratz wollte Filme machen – aber anders. Das Filmarchiv Austria zeigt nun eine Retrospektive der revolutionären österreichischen Regisseurin. Julia Pühringer (Text) und Carolina Frank (Foto) haben sie getroffen.
«Vöcklabruck Ende der 70er Jahre, Filmclub, Käthe Kratz kommt ins Kino bei der Essokreuzung und dann ins Gasthaus Leingartner», postete Regisseurin Sabine Derflinger kürzlich ihre Jugenderinnerungen auf Facebook. Für sie war es ein großer Moment, der in der Erkenntnis gipfelte: Ja, es gibt auch in Österreich eine Regisseurin. Die kleine Derflinger bleibt bis 3 Uhr früh wach und lauscht gebannt den Gesprächen. Die Folge: ein «Nichtgenügend» bei der Mathe-Schularbeit und ein erstes Vorbild bei der Berufswahl.
Käthe Kratz selbst hat es 1983 so formuliert: «Ich erinnere mich, dass es mir schon als junges Mädchen wehtat, als weibliches Wesen bestimmt zu sein, abseits von allem Großen, Bedeutenden zu stehen, nichts und niemand zu haben, auf die ich mit Ehrfurcht und Stolz hätte zurückblicken können […]. Die eigene Geschichtlichkeit ist eine Frage der Würde.» Käthe Kratz war tatsächlich die erste Regiestudentin an der Filmakademie überhaupt und die erste Frau, die im ORF einen eigenen Spielfilm umgesetzt hat. So hat sie diese Geschichtlichkeit der Frauen selbst mitgeschrieben, auch wenn man sie damals von der Chefetage nonchalant wissen ließ: «So lang ich hier sitz, wird keine Frau Regie führen.» Doch es kam anders.
Frauengeschichten.
Ungemein heutig wirken die Folgen ihres bahnbrechenden TV-Mehrteilers Lebenslinien von 1983, über fünf Frauen aus fünf Generationen zwischen dem Ende des 19. Jahrhunderts und der 68er-Bewegung. Mit völliger Selbstverständlichkeit stellt die Serie Frauen und ihre Beziehungen im Leben und Arbeiten in den Mittelpunkt, zeigt die Lebenskonsequenzen von Arbeitslosigkeit, Abhängigkeitsverhältnissen und Abtreibungen, dabei aber den freudvollen Teil des Menschenlebens ebenfalls umarmend.
An den aktuellen Film Porträt einer jungen Frau in Flammen von Céline Sciamma muss man da denken und zürnen über das ewige schwarze Loch Filmgeschichte, wenn es um das Werk von Frauen geht. Und daran, was das im österreichischen Fernsehen, damals in den 1980er-Jahren ja noch universelle Abendunterhaltung und nächstentags landesweites Gesprächsthema, wohl ausgelöst hat. Schön nachhören kann man das in einer online verfügbaren Aufzeichnung der Ö1-Sendung Von Tag zu Tag, in der Käthe Kratz von den zugeschalteten Anrufer_innen zwar durch die Bank gelobt, aber durchaus auch der «Schwarzweißmalerei» bezichtigt wird.
Dienstmädchen hätten es doch auch sehr gut gehabt, wird da in Bezug auf die Lebenslinien-Folge Augustine – Das Herz in der Hand moniert. «Schwarzmalerei und zu viel Gewicht für Frauen und zu wenig Gewicht für Männer, das waren immer die Grundvorwürfe», erzählt Kratz lachend. «Beides hat natürlich mit einem Traditionsbruch zu tun. Ich behaupte nach wie vor, dass die Männer in meinem Film weitgehend mehr Raum, mehr Differenziertheit gehabt haben, als die Frauen in Männerfilmen. Die Deutungshoheit in Frage zu stellen, das ist das größte Tabu.» In den Lebenslinien kugeln also unbetreute Kinder herum, sterben kleine Geschwister, haben Freundinnen Spaß und Geheimisse, Liebschaften und lebensgefährliche Abtreibungen in einer Gleichzeitigkeit, die atemberaubend und doch ganz normal ist.
Revolutionäre Möglichkeiten.
Auf die Geschichte der Dienstmädchen in Augustine – Das Herz in der Hand stieß Kratz bei einer Recherche, in einem kurzen Zeitungsartikel, «in dem stand, dass die Dienstmädchen auf die Straße gegangen sind, gestreikt haben. Die waren ja der Inbegriff der Unterdrückten, auch derer, die sich mit der Herrschaft immer solidarisieren und identifizieren und genau das Gegenteil von den Personen, denen man revolutionäre Möglichkeiten zugesprochen hat.»
Wegbegleiterinnen spielen eine große Rolle in den Lebenslinien. Hatte sie selbst solche Vorbilder? «Ich war auf eine eigentümliche Weise naiv», sagt Kratz rückblickend. «Dass ich etwas nicht kann, weil ich eine Frau bin, diese Idee ist mir überhaupt nicht gekommen. Aber der Background, wo ich dann auch eine Sicherheit gekriegt hab, war sicher die Frauenbewegung.» Und während der durchschnittliche österreichische Filmemacher im Interview unhinterfragt einfach über sein Œuvre erzählen könnte, so unterliegt auch dieses Gespräch der ewigen erzählerischen Doppelbelastung von politisch engagierten Frauen in jeder Kunstform, im Werk und im Gespräch. Der Kampf war nicht nur zu führen, er ist auch rückwirkend zu berichten. Wie war das also mit der Frauenbewegung, damals? «Sie hat dazu beigetragen, die Wichtigkeit von Frauenbeziehungen zu erkennen. Das war ja vorher gar nichts wert, das war Weibergetratsche und so eine Übergangslösung, bis endlich der Richtige kommt.» Und so waren die Lebenslinien auch ein deutlicher Bruch mit den damals allgegenwärtigen Heimatfilmen, aber auch mit den ordentlichen Schnitzler-Verfilmungen voller trantütiger, traurige Bärte tragender Männer im Morgengrauen. Auch «das war ein Ergebnis der 68er-Bewegung. Ich hab das Glück gehabt, zu einer Generation zu gehören, die einen anderen Begriff gehabt hat vom Filmemachen, einen anderen Anspruch gehabt hat, ein anderes politisches Bewusstsein. Das war aufregend!»
Vernetzte Filmemacherinnen.
Und dann kamen die 1990er-Jahre mit einer völlig veränderten politischen Situation. «Der Rundumschlag der Neoliberalen hatte begonnen. Ganz viele sozialpolitische Projekte wurden abgedreht, politische Bewegungen kriminalisiert. Der Feminismus ist sofort auf die Schlachtbank geführt worden. Man hat wirklich viel Kraft gebraucht, sich überhaupt noch sagen zu trauen: ‹Ja, ich bin Feministin.› Es ist in den 70er und 80er Jahren gelungen, dass auch mehrere Frauen im ORF Spielfilme gemacht haben. Die haben dann eine nach der anderen keine Aufträge mehr bekommen. Dann kam die Zeit der ‹unpolitischen› Komödien, die natürlich auch was transportierten.» Gemeinsam gründeten österreichische Filmemacherinnen die «Aktion Filmfrauen», eine Art Vorläuferin der heutigen Interessensvertretung «FC Gloria». Man verlangte mehr Frauen statt der ausschließlichen Männerbesetzung in der Filmförderungskommission und tauschte sich über Gagen, «das am besten gehütete Geheimnis» aus.
Heute zeigt sich Kratz «vorsichtig optimistisch». Für die nächste Generation an Regisseurinnen «ist das Eis nicht mehr so dünn, die haben ziemlich festen Boden unter den Füßen, viel fester, als wir das damals hatten».
Was will sie einer jungen Generation von Filmemacher_innen mitgeben? «Worum wir da gekämpft haben und was da erreicht wurde, war ein wichtiger toller und weitgehend schöner, zum Teil euphorischer, zum Teil auch schmerzhafter Prozess in meinem Leben, auf den ich um nichts auf der Welt verzichten möchte. Insofern gilt: riskieren, probieren, sich aussetzen. Ich bin jetzt alt genug, ich darf das so sagen: Nichts ist mehr zu bedauern als alles, was ich gar nicht probiert hab. Und: Um Filme machen zu können, Geschichten erzählen zu können, muss ich wissen, was mich antreibt. Insofern war eine Haltung zu haben und durchaus auch eine politische, auch Partei zu ergreifen, für mich immer existenziell beim Filmemachen. Aber auch: aufpassen, dass ihr euch nicht übernehmt. Es gibt Grenzen. Und das sind keine von außen gesteckten Grenzen, sondern das sind die Grenzen in einem selbst. Die muss man benennen und beachten. Gerade Frauen in dieser vielfältigen Belastungsspirale von Arbeit, dann vielleicht noch ein Kind oder zwei, dazu die dauernde Notwendigkeit, sich zu erklären, sich zu definieren, sich zu behaupten, das ist eine riesige Anstrengung.»
Filmschau und Buch: Käthe Kratz
Retrospektive: Käthe Kratz. Frau Film Bewegung
Das Filmarchiv Austria zeigt ihre Serie Lebenslinien, sowie ihre Filme Das 10. Jahr, Glückliche Zeiten, Mit Leib und Seele, Atemnot, Gekaufte Bräute und Vielleicht habe ich Glück gehabt.
Zu sehen ist darin nicht nur ein Who’s who österreichischer Schauspieler_innen (Monica Bleibtreu, Maria Bill, Dietrich Siegl, Johannes Silberschneider … ), sondern auch das dunkelgraue Wien der 1980er-Jahre, mit seinen unrenovierten Hinterhöfen und Pawlatschen.
Wann: 20. Februar bis 4. März
Wo: Metro Kinokulturhaus, 1., Johannesgasse 4
Infos: filmarchiv.at
Buchtipp: Zündende Funken: Wiener Feministinnen der 70er Jahre mit Beiträgen von Käthe Kratz. Löcker 2019