«Tränen in die Augen»vorstadt

Lokalmatador

Nico Langmann ist einer, der viel gewinnen kann. Und das nicht nur beim Rollstuhltennis. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

Wieder und wieder treibt er mit seiner phänomenalen Rückhand seinen Trainer in die Ecken des Tennisplatzes, um in der nächsten Sekunde seinen Rollstuhl kräftig anzutauchen und mit einem Volley erfolgreich abzuschließen. Öfters gelingt das an diesem Vormittag, öfters auch nicht.

«Der Volley am Netz zählt nicht zu meinen Stärken», erklärt Nico Langmann den Zweck dieser Übung. Der 21-jährige Wiener bereitet sich auf eine neue, eine erneut Kräfte raubende Saison vor. Bis zum ersten Turnier gönnt er sich keine langen Pausen.

Langmann ist aktuell die Nummer 24 der Welt, zählt somit zur erweiterten Weltspitze im Rollstuhl-Tennis. Doch er hat auch abseits des Tennisplatzes eine gewinnende Art. Unverkrampft geht er mit seiner Querschnittlähmung um.

Unfall mit zwei.

«Ich war zwei Jahre alt, als es passiert ist», erzählt der Profi-Sportler während einer kurzen Trinkpause. Er kennt den Unfallhergang selbst nur aus Erzählungen. Ungefähr so muss es gewesen sein: Seine Mutter war mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Alex und ihm auf dem Weg zum Skifahren. Es war bereits dunkel, als sein Leben auf der A1 in Oberösterreich in eine so nicht vorgesehene Richtung schlitterte. Seine Mutter sah den nicht beleuchteten Wagen, den ein Führerscheinnovize mitten auf der Autobahn abgestellt hatte, spät. Zu spät. Nach dem Aufprall krachte ihr Auto gegen die Leitplanke.

Hätte und wäre gibt es in der Erzählung von Nico Langmann nicht. Daher stellt er sich auch nicht die Frage, was gewesen wäre, hätte er schon sprechen und den Ärzt_innen im Krankenhaus in Vöcklabruck somit mitteilen können, dass er seine Beine, die ein Monat lang in Schienen gelegt waren, nicht spürt.

Anstatt Urlaub zu machen, trainiert er am Vor- und auch am Nachmittag. Sein sportliches Ziel für 2019 ist klar definiert: «Ich will unter die Top acht.» Dann könnte er mit seinem Freund Dominic Thiem nach Wimbledon oder Flushing Meadows fliegen und dort zeitgleich und in Sichtweite um den Finaleinzug spielen. Bei Grand-Slam-Turnieren dürfen nämlich die weltbesten acht Rollstuhl-Tennisspieler neben den Weltstars ihre Besten ermitteln.

Landsmann Thiem und der Spanier Raphael Nadal sind dezidiert seine Vorbilder: «Weil sich beide ihre Erfolge ehrlich erarbeitet haben», begründet der Bundesheer-Angestellte, bevor er wieder an seinem Angriffsspiel feilt.

Training ist in der Vorbereitungszeit von Montag bis Samstag – in einer Tennishalle im Westen von Wien und in der Kraftkammer. Auf dem Platz arbeitet Langmann hartnäckig an seinen Defiziten: «Ich muss meinen Return verbessern, und ich muss offensiver ins Feld rein.»

Einer seiner Trainer, Patrick Mayer, selbst einmal Weltranglistenspieler, schont ihn beim Training nicht. Zwischen zwei Bällen sagt er: «Der Nico ist auf dem Platz eine Kämpfernatur und auch als Mensch absolut top.»

Als Mensch vergisst das Tennis-Ass nicht, einigen Mitmenschen zu danken: Seinem Vater, der nach dem Unfall seinen Job wechselte («von der Bank in die Medizinbrache»). Seiner Mutter, die ihren Job aufgab und sich unbezahlt um ihn kümmerte («immer lösungsorientiert, mit einem unglaublichen Drive»). Seinem Bruder, der ihm den Weg zum Tennis ebnete («am Anfang habe ich ja nur jede fünfte Kugel getroffen»). Auch all den Menschen im Österreichischen Behindertensportverband, die immer an ihn geglaubt haben («im internationalen Vergleich galt ich lange als nicht besonders talentiert»).

Tränen in den Augen.

Zwischen dem Training am Vor- und am Nachmittag bestellt Nico Langmann in der Kantine eine Tasse Tee. Dann erzählt er vom bisher schönsten Moment in seiner noch jungen Sportlerkarriere. Den hat er in Rio de Janeiro erlebt, bei den Paralympics im Sommer 2016: «Als wir Sportler in das riesige Maracana-Stadion eingezogen sind und ich auf der Tribüne meine Familie erkennen konnte, eine rot-weiß-rote Fahne schwenkend, hat es mir die Tränen in die Augen getrieben.»

Der Sport lässt derzeit wenig Luft für andere Betätigungen. Doch wenn es sein Trainings- und Turnierkalender erlaubt, wirbt der Sympathieträger für die Inklusion behinderter Menschen. Sein Credo: «Ich trete für ein anderes, ein positiveres, ein reales Bild von Menschen mit Behinderung ein.»

Das scheint auch weiterhin notwendig: Behindert werden Behinderte in erster Linie von Nichtbehinderten, etwa von jenen Lehrkräften, die seinen Eltern und ihm seinerzeit einen Volksschulplatz in Aussicht gestellt und kurz vor Schulbeginn wieder entzogen haben.

Es kommt nicht oft vor, dass Nico Langmann böse Miene macht. Aber da fehlt auch ihm das Verständnis. Dass er sein geliebtes Tennis zum Beruf machen konnte, beschreibt er hingegen als großes Geschenk: «Ich kann jeden Tag an meiner eigenen Perfektion arbeiten, im direkten Vergleich zur Weltelite, sehe auch sofort, was ich weitergebracht habe. Das ist schon cool.»