Trance statt Drehwurmvorstadt

Österreichs einziger offizieller Weihnachtsmarathon führt seine Teilnehmer_innen 44 Runden um einen Badeteich. Zwei Tage vor Weihnachten besuchte Nina Thiel (Text & Fotos) die Laufveranstaltung, welche neben dem Sport auch die Besinnlichkeit in den
Mittelpunkt rückt.

Schnee liegt in Langenzersdorf keiner, der Wind weht bei winterlichen vier Grad Celsius. Der Himmel ist grau. Ein roter, aufblasbarer Zielbogen hebt sich in der gedeckt gefärbten Landschaft hervor. Die ersten Teilnehmer_innen des Weihnachtsmarathons wärmen sich auf. Einige tragen kurze Hosen. Die meisten haben Weihnachtsmützen auf dem Kopf. In wenigen Minuten starten sie alle die erste von insgesamt 44 Runden um den Badeteich der Freizeitanlage Seeschlacht (der Name rührt von einer «Schlacht» im Sinne einer Uferbefestigung aus Holzpflöcken). «Läufer haben alle einen leichten Vogel», so erklärt ein Teilnehmer die ungewöhnliche Marathonroute, bevor er sich zur Startlinie begibt.

Immer im Uhrzeigersinn.

«42 Kilometer sind 42 Kilometer. Wo man sie läuft, ist eigentlich egal.» Peter Rathammer ist Urheber des Langenzersdorfer Weihnachtsmarathons. Verrückt findet er die Route nicht. Ganz im Gegenteil. Er spricht von einem Mekka für Läufer_innen. 20.000 Mal ist er, nach eigenen Angaben, die 959 Meter lange Rundstrecke in Vorbereitung auf verschiedene Großevents gelaufen. Mindestens. Die Richtung habe er aber noch nie geändert. «Gegen den Uhrzeigersinn laufen – das wäre für mich eine verrückte Veranstaltung.» Drehwurm hatte er noch keinen, der hauptberufliche Sportlehrer spricht stattdessen von einer Trance, in der man gut nachdenken könne. Zum Beispiel über Geburtstagswünsche.
Hoch soll er leben. Für den 23. Dezember 2018 hat Peter den ersten Weihnachtsmarathon organisiert und war einer von insgesamt fünf Teilnehmern (drei davon haben die volle Marathondistanz bewältigt). Anlässlich seines 40. Geburtstages hat sich der Hobbyläufer damals selbst mit dem offiziellen Laufevent beschenkt. Inklusive professioneller Zeitnehmung der Firma Pentek Timing. «Das hatten wir noch nie, ist aber eine nette Idee», hieß es seitens des Unternehmens, welche Veranstaltungen wie den österreichischen Frauenlauf oder den Salzburg Marathon betreut. Trotz der unüblich geringen Teilnehmerzahl wurde der Auftrag angenommen. Der Weihnachtsmarathon konnte damit im offiziellen Laufkalender 2018 aufgenommen werden.
Gewidmet hat Peter den Weihnachtsmarathon seinem Großvater. Karl Simek war zu Lebzeiten selbst begeisterter Mittelstreckenläufer und hat seinen Enkel zu Laufveranstaltungen begleitet. «Er hat mich zum Sport gebracht.» Peter stellt beim Weihnachtsmarathon die Bewegung in den Vordergrund. Keine Medaillen. Kein Merchandise. Kein Bling-Bling. «Pure Running», wie er sagt. Seinem Opa hätte es gefallen, dass ein paar Leute zusammenkommen, einfach um gemeinsam Sport zu machen.

Wenig Kommerz.

Viel Besinnlichkeit. Mittlerweile bereiten sich auch die Teilnehmer_innen der Halbmarathon-Distanz auf die asphaltierte Rundstrecke vor. Windböen zeichnen Linien in die Wasseroberfläche des Badeteichs. Freunde und Familien spenden ermutigende Worte und beobachten die Läufer_innen vom Streckenrand. Die kühle Luft verwandelt ihren Atem in weißen Rauch. Es wird gelacht und abgeklatscht.
Um den zweiten Weihnachtsmarathon in vollen Zügen und als Teilnehmer genießen zu können, hat Peter sich Unterstützung gesucht. Katina Prähauser hat die Planung 2019 zum Großteil übernommen und dabei Wert auf Nachhaltigkeit und Simplizität gelegt. «Bei super Stimmung, wenig Kommerz, aber ganz viel Besinnlichkeit» solle man zusammenkommen, wie sie auf der Website schreibt. Anstelle persönlicher Einladung stand die Anmeldung zum Weihnachtsmarathon 2019 jeder Person offen. Ein Teil der Startgelder von je 24,12 Euro wurden an die Bewegungsinitiative School2run gespendet. Auf Einwegbecher und Wasserflaschen haben Peter und Katina bewusst verzichtet, stattdessen setzen sie auf Selbstversorgungsstationen, an welchen mitgebrachte Getränke und Lebensmittel in Reichweite abgestellt werden können.

Platzierung ist wurscht.

Die ersten Marathonläufer erreichen nach Runde 44 den roten Zielbogen. Und feiern ihre Leistung an der Punschstation neben der Laufbahn. Die «Seeschlachtwirtin» stellt vor ihrem Restaurant Glühwein und Punsch gegen eine freie Spende für einen karitativen Zweck zur Verfügung. Im Lokal werden währenddessen Startnummern für die weiteren Bewerbe und personalisierte Weihnachtsmützen ausgegeben. Peter selbst hat die Hauben wenige Tage zuvor mit den Vornamen der Teilnehmer_innen bedruckt.
Insgesamt 370 Teilnehmer_innen zählt der 2. Langenzersdorfer Weihnachtsmarathon inklusive Halbmarathon, Rentierlauf (zehn Runden um den Teich) und Elfenlauf (fünf Runden), so Gregor Goldmann von Time Now Sport. Er betreut die Zeitmessung mithilfe von Chips in den Startnummern und wertet bereits die ersten Ergebnisse der Veranstaltung aus. Am schnellsten hat Robert Glaser die 44 Badeteich-Runden zurückgelegt. Mit einer Zeit von 2 Stunden und 46 Minuten und mit Weihnachtsmütze am Kopf, hat er gewonnen. Bei den Damen hat Doris Löffler die Bestzeit von 3 Stunden und 36 Minuten erlaufen. Um die Zeit geht es hier aber gar nicht vorrangig, meint Peter: «Die Platzierung ist mir eigentlich wurscht.» Er selbst ist glücklich über seinen 4. Platz, schreibt dem Marathon aber andere Prioritäten zu. Wichtig ist vor allem das Beisammensein. Begleitet seine Familie ihn zu Großveranstaltungen, sieht er sie meist nur zwei Mal. Am Start und im Ziel. Auf seiner Heimatstrecke hingegen darf er sich in jeder Runde von seinem Sohn anfeuern lassen.

Gegenveranstaltung.

Der Langenzersdorfer Weihnachtsmarathon wirkt wie eine Gegenveranstaltung zu den großen Laufevents. Peter steht zum Beispiel dem Wien Marathon kritisch gegenüber. Als ehemaliger Teilnehmer sieht er die von 40 auf 100 Euro gestiegene Teilnahmegebühr problematisch und spricht sich gegen die Müllproduktion der Veranstaltung durch Werbematerialien und einzeln verpackter Kostproben aus.
Peter plant, sich weiterhin mit Marathonläufen zu beschenken und spricht bereits von jährlichen Veranstaltungen bis zu seinem 50. Geburtstag. «Immerhin lade ich ja alle meine Freunde ein», er vergleicht den Marathon mit einer Geburtstagsfeier. Einer etwas anderen Geburtstagsfeier. Wie sich die Veranstaltung konkret entwickeln soll, möchte Peter nicht festlegen. Wie viele Teilnehmer_innen in Zukunft mitmachen sei egal. Er erwartet zwar einen Anstieg, möchte dem Ursprungsgedanken der Veranstaltung aber, unabhängig der Größe des Events, treu bleiben. Und auf Kommerz verzichten. Die Anmeldung für 2020 bleibt damit offen, das Startgeld ident und es wird weiterhin keine Medaillen geben. Stattdessen überlegt Peter ein Charityprojekt in den nächsten Weihnachtsmarathon zu integrieren. 

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