Transzendentale ObdachlosigkeitDichter Innenteil

Gottfrieds Tagebuch

7. 10.

Schwer bewaffnet mit allen möglichen Einkaufstipps begebe ich mich wieder einmal zum nächstgelegenen Nahversorger. Die in Papierform in meinen Postkasten eingedrungenen Werbemittel befördere ich in den dafür vorgesehenen Papiercontainer.

Grafik: Carla Müller

Zugleich will mir eine Dokumentation über unser Saatgut einfach keine Ruhe lassen. So wie es aussieht, werden Menschen, die gerne privat Gemüse anbauen möchten, in absehbarer Zeit ihren Samen nur mehr am Schwarzmarkt erwerben können. «Heast Oida, host du Gurkn? Na, i hob nua Zucchini!» So, oder so ähnlich könnte unsere Gemüsezukunft aussehen. Interessanterweise habe ich mich während dieses Gedankenganges ganz automatisch auf den Weg zum Supermarkt gemacht. Zweckdienliche Hinweise, was ich zu erwerben gedenke, könnten sich jetzt als durchaus hilfreich erweisen. Ich habe es nicht immer leicht mit mir, aber scheinbar brauche ich diesen Druck, ganz ohne analogen oder digitalen Schummelzettel in die heiligen Hallen der Nahrungsvorsorge einzudringen. Nachdem bemaltes Papier seinen Besitzer gewechselt hat und sich trotzdem irgendwie nichts in meiner Einkaufstasche zu befinden scheint, strebe ich hurtigen Hufes in Richtung Heimat und Kater, der wiederum bereits ziemlich sicher hinter der Tür auf zu erbeutendes Katzenfutter lauern wird. Dass es allerdings kein «Katerfutter» gibt, empört Mucki übrigens ungemein. «1§$%&/!»

9. 10.

Die letzte Woche vor der Wahl. Da ich aber in gewissen Lebenssituationen keine andere Wahl habe, muss ich mich gelegentlich in die derzeit schwer von wahlwerbenden Politikfratzen verseuchte Stadt wagen. Immer schön mit dem Rücken an der Wand entlang und möglichst unauffällig wirken! Mit 190 cm und 105 kg im Schatten ein eher schwieriges Unterfangen. Aber manchmal muss ich einfach mit meinem Kopf Gassi gehen. Denn man muss kein Experte sein, um ahnen zu können, was uns nach dem 15. Oktober erwartet. Da ich aber einen ganz anderen Gedanken an die Luft lassen möchte, mache ich das jetzt einfach. Also, es ist bitte Folgendes! Europa ist ja derzeit nicht so wirklich glücklich mit dem Brexit. Der passierte unter anderem auch deshalb, weil viele junge Leute nicht zur Abstimmung gingen. 2 Wochen später startete «Pokemon Go». Wie leicht hätten die jungen Brit_innen doch zur Wahlurne gelockt werden können? In jeder Wahlzelle ein paar Figuren verstecken und schon läuft die Sache. Aber so …

10. 10.

Wenn ich mich nicht irre, dann ist «der Islam» derzeit an allem schuld. Manchmal ist es aber auch nur «der politische Islam». In Verbindung mit flüchtenden Menschen, die sich laut rechten Politiker_innen wie Kurz, oder Strache gerne als Kriegsflüchtlinge tarnen. Wie intellektuell unbewaffnet muss man eigentlich sein, um mit solchen sozialen Scheuklappen durch sein politisches Leben zu irren?! Und außerdem und nebenbei, … es wird sich also kollektiv vor dem Islam gefürchtet, während man sich selbst in einer Art von transzendentaler Obdachlosigkeit verirrt …

13. 10.

Freitag. Wahlkampffinale. Echt, jetzt schon?! Meine Wenigkeit genehmigt sich des frühen Abends eine Portion Profifußball, die in meinem TV-Gerät gastiert. Im Laufe der Partie hege ich den leisen Verdacht, dass so ein professioneller Balltreter allergisch auf Gegenspieler zu reagieren scheint. Kaum wird er eines Gegners ansichtig, schon sinkt er unter lautem Wehklagen darnieder. Früher schritt der Masseur zur hilfreichen Tat, heute vermeine ich den Privatfriseur des Spielers zu identifizieren, der eine verbogene Haarlocke wieder in Form bringt. Wie meinte einst Tante Jolesch? «Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus!»

15. 10.

Der Tag, vor dem ich mich lange fürchtete. Zur Mittagsstunde schreite ich entschlossen ins Wahllokal, daselbst in die Wahlzelle und beerdige anschließend meinen Wahlzettel in der dafür vorgesehenen Wahlurne. WENN ICH IN NÄCHSTER ZEIT NOCH EINMAL DAS WORT WAHL HÖRE!!! «!§$%&/!» Meinungsforscher Mucki will alles ganz genau wissen. Also freue ich mich, ihm berichten zu können, dass die Wahlbeteiligung heute hoch zu sein scheint. Ich befürchte, dass das nicht den «Gutmenschen» hilft. Es ist 15 Uhr. Nur noch 2 Stunden bis zur ersten Hochrechnung. Als ich vor 20 Minuten meinen Chronometer befragte, war es schon wieder nur 1 Minute später. Irgendetwas stimmt da nicht. «!§$%&/!» Seine Lordschaft sieht das Ganze katerlich entspannt, außerdem durfte er ja gar nicht mitmachen bei der Wahl. Nicht einmal bei der Auswahl seines Futters. Futter, eine gute Idee! Gemeinsames Schmatzen, während sich der Sekundenanzeiger in den Modus extremer Zeitlupe begibt. Endlich, 17 Uhr! Leider der erwartete Ausgang mit einer zu befürchtenden Koalition von Schwarztürkisbraun und Blau mit einem Innenminister Strache. Menschlichkeit, Menschenrechte, Umwelt und wir Augustiner_innen haben heute klar verloren. Mein trauriger Musiktipp für die Grünen: The Doors mit «This is the end». Ich werde euch vermissen …