Trara trara die HochkulturArtistin

Warum Theaterschaffende von ihrer Arbeit immer weniger leben können

Die Armutsgefährdung ist bei Künstler_innen dreimal so hoch wie in der nicht künstlerisch tätigen Bevölkerung. Schauspieler_innen geht es im Schnitt besonders schlecht. Wer in der freien Theaterszene Fuß fasst, muss oft fünf andere Jobs haben, um überleben zu können. Die rot-grüne Theaterförderungspolitik wird daran nichts ändern – solange innerhalb der SPÖ in Vergessenheit bleibt, wofür sozialistische Kulturpolitik einmal stand.

Dass es ein Theaterpublikum geben muss, sei eine Überlebensfrage des Politisch-Demokratischen, schreibt Marlene Streeruwitz in der Einleitung des Buches über die freie Theaterszene, das 2013 von Eva Brenner herausgegeben wurde (siehe Info). «Deshalb müssen alle Projekte jederzeit möglich gemacht werden. Und das ohne jede Zensur», in diesem schönen Bild gipfelt Streeruwitz‘ schöne Vision, und rhetorisch wundert sich die Schriftstellerin, warum dies nicht auch der Kulturstadtrat so sehe: «Dieses Wiener Kulturregime sollte froh sein über jede Initiative und jeden Versuch. Im Grund müsste der Hegemon betteln gehen, dass so viele wie möglich so viel sie können ausprobierten. Das sollte alle Kunst und Literatur betreffen […] Ein riesiges künstlerisches Forschungslabor müsste in einer Art therapeutischen Nachvollzugs die an die postkatholisch neoliberale Reaktion verlorenen Schuldlosigkeiten erforschen. Und zur Erscheinung bringen. Dazu müsste die Hochkultur in die Durcharbeitung genommen werden und durch eine basale innere Kritik sich selbst auflösen. Das war das, was ich mir in meiner Arbeit am Theater vorgenommen hatte.»

 

Keine Rede davon, dass sich die Hochkultur (ich verwende hier diese Kategorie im Bewusstsein, dass die Grenzlinie, an deren anderer Seite mutmaßlich die freie Szene dahinvegetiert, undeutlich ist) auflöst. Nach zehn Jahren «Theaterreform» liege die finanzielle Förderung freier Gruppen im Jahr 2013 unter dem Niveau des Jahres 2001, rechnete die IG Freie Theaterarbeit aus. Zwar stieg die Gesamtfördersumme der MA 7 von 73 Mio. Euro im Jahr 2004 auf 101 Mio. Euro im Jahr 2010, es mangle jedoch «am sozialdemokratischen Gespür für Verteilungsgerechtigkeit. Der Großteil des Zuwachses ging an Großbühnen. Allein die Renovierung des Ronacher kostete einen zweistelligen Millionenbetrag, und die Eröffnung des Theater an der Wien wurde ebenfalls mit Millionen dotiert.»

 

Der Kulturstadtrat wisse offenbar immer noch nicht, unter welch bedrückenden Bedingungen die große Mehrheit aller Künstlerinnen und Künstler in dieser Stadt leben und arbeiten, ärgert sich die Interessensvertretung der freien Theaterszene.

Stadtrat prangert «Neidgesellschaft» an


Spätestens mit seinem Sager «Neidgesellschaft und Jammern auf sehr hohem Niveau», mit dem er die Kritik an der sich seit Jahren verschärfenden Prekarität und an der auch im Kulturbereich immer weiter aufklaffenden Einkommensschere abtat, hat Wiens Kulturchef Mailath-Pokorny jeden Autoritätsbonus unter den Theaterschaffenden verspielt. Ihm wird Realitätsverweigerung diagnostiziert; besonders frustrierend sei, dass sozialdemokratische und bürgerlich-konservative Kulturpolitik völlig austauschbar geworden sind. «Wir fordern Produktionsbudgets, mit denen Theaterschaffende professionell und in legalen Arbeitsverhältnissen arbeiten und von denen sie leben können»: Dieses Ansinnen der IG Freie Theaterarbeit scheint mittlerweile ebenso utopisch zu sein wie Streeruwitz‘ Fantasie eines kulturellen Raums, in dem kein Projekt aus Mangel an Geld oder Mangel an inhaltlicher Freiheit abgesagt werden würde.

Für den Pessimismus, den ich als Grundduktus der kulturpolitischen Wortmeldungen Eva Brenners wahrnehme, gäbe es demnach viele gute Gründe, dennoch sträubt sich manches in mir gegen Resignationsüberschüsse: Sie könnten die Handlungsunfähigkeit der betroffenen Theatermenschen perpetuieren. Eva Brenner in ihrem Kapitel: «Den meisten freien Theatern bleibt nichts anderes übrig, als Anpassung an die Normen und Arbeitsweisen der Großtheater mit zu vollziehen oder sich dort zu verdingen. Diese nehmen allerdings wenig bis kaum neues Personal auf. Andere schaffen eine ästhetische Umprogrammierung auf postmoderne Kopien, Rekonstruktionen und «Reenactments» oder im Trend liegende Shows, Spektakel und Events, die sich pseudo-kritisch geben und von den Kurator_innen favorisiert werden […] Auf der Seite des Publikums, um das es eigentlich gehen sollte, bleibt der Fernseher, das Kino, der Gang ins Stadt- oder Staatstheater, ins touristisch ausgerichtete Museumsquartier, zu Mega-Events mit erhöhten Preisen und Zugangsschwellen.»

Stadttheater? Staatstheater? Statt-Theater!


Wenn es mich in quicklebendig-nonkonformistisch-tabubrechend-kompromisslosen Abenteuer von Off-Theater-Revolutionären wie Gin Müller zieht, der vor kurzem im Rahmen der «Wienwoche» mit dem «Rebelodrom»-Projekt einmal mehr die Grenzverläufe zwischen politischem Aktivismus, Theater, Performance und Party verschwimmen ließ, kommen mir die Botschaften vom Tod des freien Theaters nur noch halbwahr vor. Wie sich zeigte, ist der «Gang ins Stadt- oder Staatstheater» nicht alternativlos: Es ist auch der Gang ins Statt-Theater möglich, sei dieses nun subventioniert oder nicht.

 

Eva Brenner selbst hat aus der Not (der Sperre ihres Experimentaltheaterraums «Fleischerei») eine Tugend gemacht. Ihr Theater braucht keine Bühne mehr, sondern zieht als Prozession, in der die starre Trennung zwischen Theaterleuten, Theaterpublikum und Zufallspassant_innen sich radikal auflöst, durch die Straßen, Plätze und Läden Wiens. Weil die Situationen, die der Prozession widerfahren, nicht voraussehbar sind, ist dieses dramatische Erlebnis spannender als jegliche Guckkastensensation: Auch Eva Brenner bietet Statt-Theater statt Stadt- oder Staatstheater. Und wenn ich lese, dass in den sogenannten Schuldenstaaten, in denen der Krisensparkurs die staatliche Unterstützung für politisches Theater auf null reduzierte, die freien Künste vom Publikum mehr denn je gebraucht werden, kommt mir die Erzählung vom «Verlust der Vielfalt» (Untertitel des Buches von Eva Brenner) schwarzmalerisch vor.

 

Obwohl es naturgemäß Perspektiven gibt, aus denen das Schwarzmalen als einzig realistische Reaktion erscheint. Es ist schon frustrierend, mitzuerleben, wie wirkungslos innerhalb der Sozialdemokratie die Forderung nach einer sozialdemokratischen Kulturpolitik, die mit dem «The winner takes it all»-Prinzip aufräumt, blieb – und zwar seit Jahrzehnten. Dass Fritz Hermann jüngeren Menschen heute unbekannt ist, verdeutlicht die Niederlage, die die sozialdemokratischen Kritiker_innen der offiziellen Subventionspolitik erlitten. Die Auseinandersetzung zwischen dem staatstragenden Gespann Herbert Karajan/Fred Sinowatz und Sinowatz‘ Ministerberater Fritz Hermann Anfang der 70er Jahre verfestigte die Diskriminierung von Subkultur und engagierter Kunst.

Karajan versus Sozialismus


Fritz Herrmann entwickelte ein Kulturkonzept, das die bildungsbürgerliche Trennung von Kultur und Ökonomie aufheben sollte, um eine sozialistische Kultur als «prinzipiell neue Möglichkeit des menschlichen Existierens» in einer «Gesellschaftsform jenseits kapitalistischer Zwangs- und Herrschaftsverhältnisse» zu etablieren: «Sozialist sein heißt eine neue Kultur suchen.» Er entwarf für Kultur- und Unterrichtsminister Sinowatz ein neues Modell der Film- und Kleintheater-Förderung, das nicht-kommerzielle Filmprojekte und freie Theatergruppen stützen sollte. Nachdem Sinowatz konzeptwidrig die hochkulturellen Einrichtungen (Bundestheater mit Staatsoper, Burgtheater, Salzburger Festspiele etc.) wie eh und je privilegierte, veröffentliche Fritz Hermann 37 Schnaderhüpfeln unter dem Titel «Trara trara die Hochkultur». Als Herbert von Karajan wegen einer festspielkritischen Strophe erklärte, nie wieder in Wien zu dirigieren, ja, Wien nie wieder betreten zu wollen, beendete der Minister die Zusammenarbeit mit seinem Berater. Seither gibt es SPÖ-intern kaum mehr einen vergleichbaren Widerstand gegen die einseitige Förderung elitärer Kultur, obwohl die Anlässe für Widerstand sich vermehrt haben.

 

Auf Stadtebene ist die Kontinuität der Elitekunst-Förderung trotz Teilnahme der Grünen an der Stadtregierung enttäuschend; dass auf der staatlichen Ebene jedes Signal für Transparenz und eine Demokratisierung der Kunstförderung fehlt, war unter der gegebenen Koalitionsregierung der sozialen und kulturellen Inkompetenz zu erwarten. Der Umstand, dass man von diesen Gesichtern ein Überdenken der bisherigen Kulturförderungspolitik nicht ernsthaft verlangen kann, kommt in der Protestbewegung gegen die neue SP-VP-Regierung zum Ausdruck: Es gibt breite Empörung darüber, dass es kein Wissenschaftsministerium mehr gibt, aber die Tatsache, dass ebenso ein eigenes Kunstministerium fehlt, scheint niemanden mehr aufzuregen.

Dabei ist nun aus dem Kreis der freien Theaterschaffenden eine Forderung aufgetaucht, die der neuen Regierung einen Impuls geben könnte, die freie Szene ohne revolutionäre Gewaltanstrengung zu befriedigen: Umwidmung von e i n e m Prozent der Bankenrettungsmittel für freie Kunst und Kultur als Investition in die Zukunft Österreichs …

Anpassung oder Widerstand. Freies Theater heute – Vom Verlust der Vielfalt.

Herausgeberin: Eva Brenner

Mit Beiträgen von Marlene Streeruwitz, Gerhard Ruiss, Richard Schechner, Birgit Fritz, Nicole Westreicher und anderen.

Promedia Verlag 2013, 250 Seiten, 19,90 Euro