Triple A einmal andersvorstadt

Drei Linzer Künstler machen Leerstand zum Thema

Wenn sich Städte verändern, lauert der Leerstand an vielen Ecken. Thematisiert wird er trotzdem nicht. Das wollen drei Linzer mit ihrem Projekt «Avanti Anti Anti» ändern – unter anderem mit Partys an ungewöhnlichen Orten.

Foto: Violetta Wakolbinger

Ein Sommerabend in Linz: Auf einer Tankstelle im Makartviertel herrscht Hochbetrieb. Allerdings nicht im herkömmlichen Sinn: Denn rund um die Zapfsäulen stehen keine Autos, sondern 200 Partygäste. Über eine Leinwand flimmern Straßenszenen aus dem belebten Zentrum von Linz, aus den Boxen wummert elektronische Musik und neben der Waschanlage wird Tischtennis gespielt. Getankt wird kein Benzin, sondern Bier. Denn die Tankstelle hat vor mehr als einem Jahr ihren Betrieb eingestellt und war ungenutzt, bis sie drei Linzer Künstler zum Schauplatz einer Zwischenpräsentation ihres Projekts «Avanti Anti Anti» machten.

«Wir wollten uns auf künstlerisch-wissenschaftlicher Ebene anschauen, wie das Thema Leerstand in einer Stadt wie Linz wahrgenommen und zwischen verschiedenen Akteuren verhandelt wird», sagt Florian Huber, Soziologe mit Schwerpunkt auf Stadtentwicklung, Bassist der Linzer Post-Harcore-Band Valina und einer der drei Initiatoren von «Avanti Anti Anti». Der Name ist eine Referenz an das Triple-A aus dem Bankensektor, die Betreiber wollen aber keine Unternehmen, sondern Orte in Linz bewerten. Der Startschuss für das Projekt erfolgte Ende 2013, im Kernteam finden sich neben Huber noch dessen Valina-Bandkollege und Filmemacher Anatol Bogendorfer und der Medienkünstler und Sozialwissenschaftler Andreas Mayerhofer. Ihre Untersuchungsobjekte sind vier Nebenschauplätze der oberösterreichischen Landeshauptstadt, die einem Wandel ausgesetzt sind: Das Neustadtviertel, ein zentrumsnahes Gebiet mit einem traditionell hohen Migrant_innenanteil, das unter anderem durch den Bau des angrenzenden Musiktheaters aufgewertet wurde. Die Rudolfstraße nördlich der Donau, eine der Hauptadern des Pendlerverkehrs aus dem Mühlviertel. Die Waldeggstraße in Bahnhofsnähe, wo ganze Häuserblöcke wegen des geplanten Verkehrsgroßprojekts Westring leer stehen und das Makartviertel, südlich davon, wo Wohnblocks neben Industrieunternehmen stehen.

Leerstand kann unterschiedliche Gründe haben – sie reichen von unattraktiver Lage über nicht geklärte Eigentumsverhältnisse bis hin zur Immobilienspekulation. Genauso unterschiedlich sind auch die Erklärungen und Lösungsansätze, auf die die Projektbetreiber im Rahmen ihrer gefilmten Interviews stießen. «Für uns war interessant, wie Leerstand und damit verbundene Vorhaben von Verantwortlichen verkauft werden, und vor allem, wie das vor Ort wahrgenommen wird», sagt Anatol Bogendorfer. Vor die Kamera gebeten wurden deshalb Politiker_innen, Expert_innen, Immobilienbesitzer_innen, Bewohner_innen und Aktivist_innen. «Die Reflexion der normalen Leute über ihr Grätzl ist sehr interessant – und auch sehr profund, weil sie auf Erfahrungen beruht, die die Leute Tag für Tag vor ihrer Haustür machen. Das ist keine Suderei auf Stammtischniveau, sondern hat durchaus Tiefe.»

Im Makartviertel stießen die Projektbetreiber nicht nur auf eine bespielbare Tankstelle, sondern auch auf ein Gefühl der Isolation. «Das Viertel wirkt trotz seiner Zentrumsnähe abgekoppelt vom Rest von Linz. Es ist durch die Westbahn von der Innenstadt getrennt, die Straßenbahn verläuft mittlerweile unterirdisch», sagt Huber. Eine Verkehrsberuhigung, die nicht nur positive Auswirkungen gehabt habe, so sein Kollege Bogendorfer: «Das Wohnen wurde dadurch angenehmer, für die Geschäftsleute in der Wiener Straße war sie aber problematisch, weil niemand mehr aussteigt, um einzukaufen oder eine Pizza zu essen.» Während der Leerstand an der Hauptstraße trotzdem noch die Ausnahme ist, schaut es ein paar hundert Meter dahinter viel trister aus. Wem bei der Tankstellen-Party die Zigaretten ausgehen, der muss zehn Minuten zum nächsten Automaten gehen. Greißler_innen am Eck sind im Makartviertel ohnehin längst verschwunden. «Es ist eine sehr eigenartige Mischung aus Wohn-, Geschäfts- und Industriegebiet. Da steht die Siemens neben dem Plattenbau», sagt Huber. Veränderungen greifen allerdings bereits Platz: Das Gelände des ehemaligen Frachtenbahnhofs wurde zum Stadtentwicklungsgebiet erklärt, in dem gemeinnützige Wohnbauten entstehen sollen. Wie in anderen Städten versucht man auch in Linz die Industrie aus den zentrumsnahen Gebieten wegzubekommen.

«Pizzeria Anarchia» im Kleinen

 

Ein Punkt, an dem man beim Thema Stadtentwicklung nicht vorbeikommt, ist die Gentrifizierung – also die Verdrängung einkommensschwächerer Bewohner_innen durch zahlungskräftigeres Klientel. Florian Huber hat sich bereits in seiner Dissertation und weiteren Projekten damit befasst. Die Situation in Linz sieht er nicht so drastisch wie in London, Paris oder Hamburg, allerdings gebe es auch hier Investoren, die unliebsame Mieter_innen mit alten Verträgen loswerden wollen. Punktuell haben Huber und seine Kollegen das vor allem im zentrumsnahen Neustadtviertel beobachtet. «Diese Entwicklungen laufen noch kleinräumig ab, auf der Ebene von Blocks und nicht ganzer Viertel.»

Für die Betroffenen macht das allerdings keinen Unterschied. Helga Köhl ist eine von ihnen. Fast 20 Jahre betrieb die Linzerin das Second-Hand-Modegeschäft «Moschi» im Neustadtviertel. Nach einem Eigentümerwechsel sollte die Miete von 1.200 Euro auf mehr als das Doppelte angehoben werden. Köhl widersetzte sich dem Versuch, sie loszuwerden, und gründete die Facebook-Gruppe «Moschi bleibt». Letztlich ohne Erfolg. Nach einer Gerichtsverhandlung um die von den Besitzern verlangte Mietnachzahlung verkündete die Betreiberin Anfang August, dass sie auf der Suche nach einem neuen Geschäft sei.

Im Interview mit «Avanti Anti Anti» erzählt Helga Köhl von Schikanen und unzureichenden Geldangeboten, mit denen sie zum Ausziehen bewegt werden sollte. Für Anatol Bogendorfer kein Einzelschicksal. «Die Geschichte könnte sich genauso gut in Wien, Graz oder Salzburg abspielen. Leider gelangen solche Fälle aber kaum an die mediale Öffentlichkeit.» Parallelen zur Wiener «Pizzeria Anarchia», wo Wohnungseigentümer mithilfe von Punks alteingesessene Bewohner_innen loswerden wollten, seien durchaus vorhanden, so der Linzer Künstler. «In beiden Fällen geht es darum, dass Leute mit unzulässigen Mitteln verdrängt werden sollen, damit ein Investor freie Bahn hat.»

Gentrifizierung ist aber nur ein Aspekt von «Avanti Anti Anti». «Wir wollen Linzer Stadtgeschichte und Stadtgeschichten aufsaugen», sagt Bogendorfer. Dauern wird dieses Vorhaben noch zumindest bis Jahresende, zwei weitere Leerstands-Partys sind in Vorbereitung. Und auch ein Nachfolgeprojekt steht zur Debatte, etwa in Form einer Filmdoku. «Die Repositionierung der Stadt, die mit der Krise der Verstaatlichten Industrie in den 1980er Jahren begonnen hat, ist noch nicht abgeschlossen», sagt Huber. «Und Linz ist ja nicht unbedingt eine überbeforschte Stadt, was Stadtentwicklung betrifft.»

Reinhard Krennhuber

Info:

avantiantianti.wordpress.com