Showdown am Donaukanal
Der Augustin beleuchtet in einer neuen Serie, was sich aktuell im Kampf um eine Stadt für alle tut. Diesmal: der Donaukanal zwischen Profitinteressen und nicht kommerziellen Freiräumen. Ein Auftakt von Frank Jödicke und Samuel Stuhlpfarrer.
Was passiert, wenn der öffentliche Raum verlorengeht, lässt sich gut anhand des Bahnhofs Wien Mitte illustrieren. Der darf als eine Art steingewordene Gemeinheit gelten. Die bahnhofsüblichen, allgemein zugänglichen Funktionsbereiche, wie Fahrkartenautomaten,
U- und S-Bahnabgänge befinden sich auf einem windigen Vorplatz, der vor Kälte und Regen nur leidlich durch einen darüber liegenden, auskragenden Gebäudeteil schützt. Ein eigentliches Bahnhofsgebäude existiert nicht mehr, der hinter Glastüren geschützte Bereich markiert die Grenze zur Shopping-Mall. Aus dieser darf vertrieben werden, wer den dortigen Hausherr_innen nicht gefällt. Hinsetzen, ausruhen, insbesondere für Menschen, die seit Längerem auf Durchreise sind – gibt es nicht mehr oder nur gegen Geld in einem gastronomischen Betrieb.
Zeitsprung.
Im Sommer 2008 wollte sich die Stadt Wien mit dem Supa-Dupa-Event Fußball-Europameisterschaft der Herren schmücken. An jeder Ecke winkten die beiden Corporate-Identity-Lümmel «Trix und Flix» den Besucher_innen krampfhaft fröhlich zu. Wer kurz vor dem Mega-Event durch die Stadt wanderte, begegnete vor allem einem neuen Stadtmöbel: dem Zaun. Überall war der Zugang plötzlich privilegiert und limitiert. Zumindest der Donaukanal sollte ein Gegenmodell sein. Statt großer Areale im Klammergriff der Sponsoren, sollten kleine, feine und niederschwellige Projekte die Vielfalt der Stadt dokumentieren. Vom weitgehend misslungenen Großevent redet heute in Wien niemand mehr. Der Donaukanal aber ist seit der EM ein lebendiges Freizeitareal.
Jetzt, zehn Jahre später, laufen viele Pachtverträge aus. Und die Neuausschreibung hat es in sich. Zwar soll fortan die Weitergabe der Pacht verboten werden und pro Betreiber jeweils nur mehr eine Liegenschaft erlaubt sein. Zur Irritation vieler findet sich darin allerdings auch kein einziger Hinweis auf die künftige Einbindung kleinerer, weniger kommerzieller Initiativen. Als unrühmlich erweist sich auch der Rechnungshof, der sich im Falle des Donaukanals zum Anwalt neoliberaler Interessen macht. Die Argumentation des Rechnungshofberichts ist teils nachvollziehbar. Tatsächlich sind die Vergabekriterien am Kanal intransparent, tatsächlich klaffen die Pachtpreise fallweise erheblich auseinander. Dass die Stadt Wien die Preise aber nun am höchstmöglichen Ertrag orientieren will, stimmt bedenklich. Wenn vornehmlich die Höhe von Pacht und Investitionen für den Zuschlag ausschlaggebend ist, dann werden nur große Unternehmen zum Zug kommen.
Zunehmend verzweifelt.
Der Bahnhof Wien Mitte und der aktuelle Disput um die Neuvergabe der Pachtflächen am Donaukanal – siehe dazu auch das Interview mit Gabu Heindl auf den Seiten 8 und 9 – stehen exemplarisch für eine Entwicklung, die selbst Wien längst eingeholt hat. Wenn jeder Quadratmeter Stadt bloß noch an seinem potenziellen Ertragswert bemessen wird, bleibt für die mit dem kleinen Börsel wenig übrig. Das betrifft die Rast-Suchenden auf Bahnhöfen und die von Verdrängung bedrohten kleinen Gewerbetreibenden auf boomenden Gastromeilen genauso, wie die elf Freunde, die vergeblich nach öffentlichen Sport- und Freiflächen Ausschau halten. Vor allen Dingen trifft es aber die vielen Mieter_innen, die an den Preisen am Wohnungsmarkt zunehmend verzweifeln. Längst schon explodieren die Mieten in dieser Stadt. Dazu kommt eine exzessive Befristungspraxis, die die Mietverhältnisse immer unsicherer geraten lässt. Wer heute mehr als die Hälfte seines oder ihres Einkommens – sofern eines da ist – für die Versorgung mit Wohnraum aufwenden muss, ist längst nicht davor gefeit, alle drei oder fünf Jahre umzuziehen – oder zu erhöhter Miete wohnen zu bleiben.
Beginnend mit dieser Ausgabe wollen wir diesen und ähnlich gelagerten Fragen im Rahmen unserer neuen Serie «Immo Aktuell» nachgehen. Wir werden über drohende Delogierungen berichten und über spekulative Geschäfte mit Grund und Boden, über allgegenwärtige Verdrängungsprozesse und über die Privatisierung öffentlichen Raumes. Wir möchten uns aber auch dem Widerstand gegen umstrittene Projekte widmen und die Bemühungen und Kämpfe um eine Stadt für alle in den Blick nehmen. Ab sofort, in jedem Augustin, an dieser Stelle.