Von Gott verlassen und den Grünen verschont
«S Lebm is hoart in Favoriten» ist eine Hymne aus den Banlieus, dem Homeground des
Lieder- und Uhrmachers Fritz Nussböck. Die Gegend um die «Trostlosstrossn», das Trostviertel, besuchte Karl Weidinger (Text & Fotos).
Ein hartes Pflaster. Frost- oder Frust-Aufbrüche? Das Ziel am Ende der Troststraße in Sichtweite. Fritz Nussböck, ein Alt-68er. Ein Hippie, Beatle mit Schiebedach. Der Haaransatz ist nach hinten gewandert. Wie das Dasein auch. Fast sein ganzes Leben lang wohnt der 65-Jährige nun schon in Favoriten, seit er mit zwei Jahren «als g’schertes Kind» immigrierte. Ein klassisches Zuwanderungsprofil, auch urtypisch für den Bezirk. Sein Lebensmittelpunkt ist dort, wo die Troststraße anfängt oder endet, exakt dort, wo sie auf die Favoritenstraße mündet oder aus dieser entspringt, direkt beim grünen Haus an der Ecke. Aufgewachsen ist er hier mit dem «Gigerer», dem Pferdeleberkas, den er statt der Muttermilch quasi aufgesogen hat, sagt er. Neue Lokale mit Smoothies, Lattes und Veganem werden entstehen, gleich neben dem aufgerissenen Höllenschlund, der schon bald die Massen in den Untergrund saugen und ausspucken wird.
Jetzt verlängern sie ihm die U-Bahn direkt vor die Haustür. Station Troststraße, die er immer schon als «Trostlosstrossn» bezeichnet hat. Wann sein gleichnamiges Buch erschienen ist, weiß er nicht mehr genau. «Muass so um 1994/95 g’wesn sein.» Vom U-Bahn-Bau hat er nix gespürt – bis jetzt zumindest.
Auch wenn er sich nicht erinnert, andere erinnern sich gerne. Der Vorzugsausgabe war eine CD beigelegt. Die Nummer «s Lebm is hoat in Favoriten» wurde inzwischen mehrfach gecovert, nicht nur von Sigi Maron. Ein Stück Realität, gespeist aus einer gewissen Trostlosigkeit. Dort entsteht nun ein neues Trendviertel. Mit der U1-Verlängerung nach Oberlaa geht ein Boom einher, Anfang September 2017 wird eröffnet. Ein Ausbau des Radwegsystems ist angedacht, ebenso die Ausdehnung der Fußgängerzone vom Reumannplatz. Fix ist hingegen: Favoriten wird der siebzehnte Bezirk, wo das Parkpickerl eingeführt wird; ab Montag, dem vierten September um neun Uhr.
Die Troststraße zieht sich quer durch den Bezirk. Sie beginnt im Osten bei der Favoritenstraße und verläuft westlich bis zur Triester Straße. Sie endet gegenüber dem SMZ Süd und dem Preyer’schen Kinderspital. Laut Fahrradcomputer ist sie zwei Kilometer lang und ihren Namen verdankt sie dem Fleischhauer Michael Trost (1831–1893), der es zum Gemeinderat für die Liberale Partei brachte.
«Musikalisch a Nudel» Auf einer Absperrung steht: «Die U1 wird verlängert. Damit in Zukunft der Stadtrand näher ins Zentrum rückt.» Stadtrand? Ins Zentrum – sofern man das überhaupt will. «Für mi hätt’s da 67er auch getan», sagt der pensionierte Uhrmacher.
«Musikalisch bin i a Nudel», sagt Nussböck und meint unterbegabt. Zittern ist nur eine Frage des Könnens und lässt sich durch richtiges Aufstützen vermeiden, sagt er. Wenn nicht gerade die Vögel zu sehr dazwischenzwitschern. Das hätte ihn in seinem windstillen Innenhof deutlich mehr gestört, zeitlebens. «Oba du konnst ned n gonzn Obnd saufn und tschickn und spüln, und am nächsten Tog in da Hockn gstöllt sei wie a Uhrwerk», sagt er rückblickend auf seine Karriere.
Er hatte sein Erweckungserlebnis Anfang der 1970er-Jahre im legendären Folkclub Atlantis, einem dieser Kellerbiotope der Stadt. Erich Meixner von den «Schmetterlingen» und einige der «Worried Men Skiffle Group», Jack Grunsky und die «Milestones» waren hier zugange. Wolfgang Ambros probierte hier seinen Song «Da Hofa woar’s». Obwohl nicht immer gut besucht, hatte das Lokal große Bedeutung für das Coming-out der Wiener «Folkniks», heißt es in den heroisierten Annalen der inzwischen hochgeschriebenen Musikgeschichte.
Sigi Maron, Erich Demmer und Reinhard Liebe traten dort auf und brachten ihre «Protestsongs» als kritische Liedermacher unter die Leute. Ein Durchlauferhitzer von Kabarett und Austropop, hauptsächlich kritisch und politisch verbrämt. Mit dem Einsatz in den Medien wurde das Politische deutlich heruntergekocht und vereinnahmt.
Was blieb, war die lebenslange Freundschaft zum etwas älteren Sigi Maron, die von hier seinen Ausgang nahm. Auch für Nussböck gab es einen Plattenvertrag und dennoch keine Zukunft als Schlagerstar. Maron blieb zeitlebens ein «Lebensbruder» als Wegegefährte und ein künstlerischer Partner. Im literarischen Nachlass «Schmelzwasser» von Sigi Maron wird er als der «Kleingewerbe treibende [!] Fritz N.» immer wieder erwähnt. Ebenso wie dessen Liebe zum «Marüllinger», dem Marillenschnaps, dem ungarischen Barack.
Ein Skandaltext? «Des mit’m Schlaganfall und’m Krebs im Beuschl is zuföllig entdeckt wurdn. I hab s Wort Nylonstrumpfhose nimma sogn kenna.» Kleine Ursache, große Auswirkung. Das Leben stellte die Weichen von hart auf weich. Mit der Sauferei und Tschickerei ist es seither vorbei.
Mit Aufhören kennt er sich aus. Seine Gesangstätigkeit stellte er aus Gründen des Lampenfiebers hintan. Aber nicht nur das: In Verehrung für Kurt Schwitters hat er viele seiner Texte verbrannt, weil er nix vom Konzept der Unsterblichkeit halte.
Als Wahrzeichen vom «wahren Lebm» dient ein ehemaliger Ziegelofen in Inzersdorf an der Ecke zur Neilreichgasse. Die Bezeichnung wurde gleich auf die ganze Gegend ausgedehnt: «Stoß im Himmel». Die Gastwirtschaft hielt sich bis Mitte der 1980er-Jahre, heute steht dort eine Bank-Filiale. Vor dem Lokal hat der kleine Fritz einmal gesehen, wie ein Betrunkener dort abgestochen wurde, so was prägt. «Alkohol, die Geißel der Arbeiterschaft», sagt Fritz Nussböck heute dazu. Aber ist das Leben, «s Lebm», wirklich gar so
hoart in Favoriten?
«In Bruada hot a Fisch dawischt», also Bekanntschaft mit einem Messer gemacht, wie man so sagt. Oder provokant im Liedtext: «Wia sa se so g’heat.» Es gibt nichts Grausameres, außer vielleicht einem Hackenattentat mit einer Axt oder einer Machete. «I hob amoi gesgn, wia s wen obgstochen hobm beim Stoß im Himmel. Mia braucht kana wos dazöhln. Net erst mit d Einwondra is s Verbrechn kumma. Des hot’s do scho immer geb’m». Hat auch was Gutes: Von Gott verlassen und von den Grünen (bisher) verschont geblieben, selbst für einen gottlosen Atheisten. «Owa i brauch kan Allah. Weu i bin froh, dass ma unsan Gott anbrocht hom.»
Die Gleichsetzung der Troststraße mit der «Trostlosstrossn» spitzt die Lebensverhältnisse zu, in diesem von Gott verlassenen Bezirk, in den demografisch Allah eingezogen ist. Heute würde die Aufzählung von Schicksalsschlägen als Fake News abgetan werden. So viel Schlechtes könne einem gar nicht zustoßen, würden die «Wohlfühllinken» behaupten. Die Bobos in den Grünbezirken würden Alarm schlagen. Diese geballte Häufung von Gewalt könnte instrumentalisiert werden. Skandal so ein Text? Fritz Nussböck bekümmert das nicht. «Des is ma wuascht. I bleib a Prolo, a Hackler und a Kummerl.» Weil was anderes würde sich jetzt gar nicht mehr auszahlen für ihn.
Radio Augustin sendet ein Porträt am Mo, 22. Mai, 15 bis 16 Uhr